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Auf Fidelmas Gesicht erschien ein schelmisches Grinsen. «Habt Ihr Bruder Ronan schon vergessen? Ihr zweifelt doch nicht etwa an seiner Schuld?»

Der sächsische Mönch blinzelte verlegen. Er hatte sich tatsächlich von der Befragung Bruder Sebbis so ablenken lassen, daß er den Hauptverdächtigen fast aus den Augen verloren hätte.

«Natürlich nicht», erwiderte er. «Schließlich sprechen die Tatsachen für sich. Aber es ist doch merkwürdig ...» Er verstummte.

«Merkwürdig?» fragte Fidelma nach einer Weile.

Eadulf stieß einen leisen Seufzer aus, kam aber nicht dazu, sich noch weiter zu erklären, weil Furi-us Licinius ins Zimmer trat, ein Tablett mit einem Krug Wein, etwas Brot, kaltem Braten und frischem Obst in der Hand.

«Das war alles, was ich noch auftreiben konnte», verkündete er und stellte das Tablett auf den Tisch. «Ich habe schon gegessen, Ihr könnt Euch also nach Herzenslust bedienen. Übrigens bin ich auf dem Rückweg zufällig dem Mann begegnet, den Ihr vorhin gesucht habt: dem sub-praetor vom mumm peregrinitatis, bei dem Ronan Ragallach gearbeitet hat.»

Mit einem Seufzer des Bedauerns wandte sich Fidelma an Eadulf.

«Dann werden wir erst essen, nachdem wir mit dem Bruder gesprochen haben», verkündete sie entschlossen.

Eadulf verzog das Gesicht, widersprach aber nicht.

Licinius führte einen schlanken, jungen Mann herein, der auf den ersten Blick fast noch knabenhaft wirkte. Er hatte blasse Haut, volle rote Lippen und große, dunkle Augen, die er ständig zusammenkniff, weil er dann offenbar besser sehen konnte. Sein Kopf war vollkommen kahlgeschoren.

«Der sub-praetor vom mumm peregrinitatis», verkündete Licinius.

Fidelma war verblüfft. Sie hatte einen älteren Mann erwartet. Dieser Junge konnte kaum älter als zwanzig Jahre sein.

Nach einigen Schritten blieb er stehen und musterte die beiden Geistlichen mit kurzsichtigem Blick.

«Wie heißt Ihr?» fragte Fidelma.

«Osimo Lando», antwortete der Junge mit einem seltsam lispelnden Akzent.

«Ihr stammt nicht aus Rom?»

«Nein, ich bin Grieche und in Alexandria geboren, aber in Syrakus aufgewachsen.»

«Setzt Euch, Bruder Osimo.» Fidelma deutete auf einen leeren Stuhl. «Hat tesserarius Furius Lici-nius Euch von unserer Aufgabe erzählt?»

Bruder Osimo nahm Platz und zupfte mit einer unerwartet mädchenhaften Geste die Falten seines Gewandes zurecht.

«Ja.»

«Uns wurde gesagt, daß Bruder Ronan Ragal-lach in Eurem Amt gearbeitet hat?»

Der sub-praetor nickte.

«Vielleicht könnt Ihr mir zunächst einmal erklären, womit das munera peregrinitatis beschäftigt ist?» bat ihn Fidelma.

Mit einer graziösen Bewegung lehnte Osimo sich auf seinem Stuhl zurück.

«Durch uns hält der Heilige Vater Verbindung mit unseren Missionen auf der ganzen Welt.»

«Und Bruder Ronan Ragallach ist Euch unterstellt?»

«Ja. Als sub-praetor bin ich für alles zuständig, was unsere Kirchen in Afrika betrifft. Bruder Ronan geht mir bei dieser Aufgabe zur Hand.»

«Und wie lange arbeitet er schon in Eurem Amt?»

«Soweit ich weiß, ist er vor einem Jahr als Pilger nach Rom gekommen, Schwester. Er besitzt eine besondere Begabung für fremde Sprachen, also ist er in Rom geblieben und hat sich in den letzten neun Monaten unter meiner Anleitung in den Dienst unserer Sache gestellt.»

«Was für ein Mensch ist dieser Ronan Ragal-lach, Bruder?»

Osimo Lando schürzte die Lippen und starrte nachdenklich ins Leere. Eine leichte Röte erschien auf seinen blassen Wangen.

«Ein sehr ruhiger Mensch, der weder zur Gereiztheit noch zu Wutausbrüchen neigt. Still und friedfertig, würde ich sagen. Gewissenhaft, was die Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben betrifft. Es hat mit ihm nie irgendwelche Schwierigkeiten gegeben.»

«Und seine Ansichten?» warf Bruder Eadulf ein.

Osimo sah ihn verständnislos an. «Was für Ansichten?»

«Ronan Ragallach ist Ire. Wie man uns sagte, trägt er die irische Tonsur anstelle unserer römischen corona spinea. Das heißt, daß er die Lehre Roms ablehnt und sich zur Kirche Columbans bekennt.»

Bruder Osimo schüttelte heftig den Kopf. «Bruder Ronan ist ein Mann der Gewohnheit, das ist alles. Wie viele andere irische und britische Mönche trägt er die Tonsur so, wie es dort Sitte ist. Für uns hat das nie eine Rolle gespielt. Es kommt darauf an, was ein Mensch im Herzen hat, nicht darauf, wie er sich die Haare rasiert.»

Fidelma schaute zu Boden und hielt eine Hand vor den Mund, um nicht zeigen zu müssen, daß Eadulfs beschämtes Erröten sie unwillkürlich lächeln ließ.

«Und was hat Ronan im Herzen?» fragte Ea-dulf, der seinen Ärger darüber, wegen eines Vorurteils öffentlich getadelt worden zu sein, nicht verbergen konnte.

Bruder Osimo schürzte die Lippen. «Wie ich schon sagte, Bruder, ist er ein äußerst verträglicher, friedvoller Mann.»

«Ihr habt ihn niemals schlecht über Rom sprechen hören?»

«Nein. Weshalb auch? Schließlich ist er freiwillig in Rom geblieben.»

«Und Ihr habt ihn auch niemals über Canter-bury schimpfen hören? Was hielt er zum Beispiel vom Ausgang der Synode von Witebia, bei der die sächsischen Königreiche sich für die Lehren Roms und gegen die irischen Mönche entschieden haben?»

Durch sein Lächeln machte Osimo deutlich, daß er dies für eine abwegige Frage hielt.

«Er hat nie irgendeine Meinung dazu geäußert. Er war mit den afrikanischen Kirchen, nicht mit den Kirchen Irlands und Britanniens beschäftigt. Bruder Ronan ist ein ausgezeichneter Kenner des Griechischen und Aramäischen und hat seine Aufgaben stets zu größter Zufriedenheit erfüllt. Sie wird zunehmend schwieriger, seitdem die Araber sich mit ihrem neuen, fanatischen Glauben an den Propheten Mohammed an der afrikanischen Küste ausgebreitet haben.»

Eadulf unterdrückte ein ärgerliches Aufstöhnen.

«Erstaunt es Euch denn nicht, Bruder Osimo, daß man Bruder Ronan Ragallach des Mordes an Wighard von Canterbury beschuldigt und den Ausgang der Synode von Witebia dabei als Hauptmotiv angibt?» fragte er.

Zu seiner Überraschung legte Osimo den Kopf in den Nacken und stieß ein silberhelles Lachen aus.

«Ich habe davon gehört und gebe nicht das geringste darauf.» Er wurde ernst. «Als ich die Nachricht von dem Mord bekam und hörte, daß man Bruder Ronan verhaftet hat, konnte ich es nicht fassen. Und ich werde auch in Zukunft nicht an seine Schuld glauben. Wenn Ihr den wahren Mörder finden wollt, müßt Ihr woanders suchen.»

Fidelma betrachtete ihn aufmerksam.

«Wieso?» fragte sie. «Warum seid Ihr so sicher, daß Ronan nicht der Mörder ist?»

«Weil ...» Osimo schaute sich im Zimmer um, als suche er dort nach einer Antwort. «Weil es nicht seinem Wesen entspricht. Wenn Ihr mir sagen würdet, der Heilige Vater habe am Bacchusfest teilgenommen und - Gott verzeihe mir - nackt im Bacchustempel an der Sacra Via getanzt, würde ich Euch eher glauben, als wenn Ihr mir erzähltet, Bruder Ronan sei eines Mordes fähig.»

Ein Lächeln spielte um Fidelmas Lippen.

«Ihr setzt Euch ja mächtig für Euren Mitarbeiter ein, Bruder Osimo.»

«Und es ist meine feste Überzeugung», ergänzte der sub-praetor mit fester Stimme.

«Und doch wurde Ronan festgenommen, als er nach Wighards Tod aus dessen Gemächern floh. Bei seiner Festnahme hat er einen falschen Namen angegeben und später ist er aus dem Wachhaus der custodes entwichen», warf Eadulf ein. «Nennt Ihr das die Handlungsweise eines unschuldigen Mannes, Bruder Osimo?»

Osimo sah unglücklich drein, ließ sich aber nicht beirren. «Es könnte die Handlungsweise eines verzweifelten Mannes sein - eines Mannes, der erfahren mußte, wie sich trotz seiner Unschuld alles gegen ihn verschwor. Um seine Unschuld zu beweisen, mußte er als erstes seine Freiheit wiedererlangen.»