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Widerstrebend schlug sie die Augen auf und sah die verschwommenen Umrisse einer dunklen, gebeugten Gestalt. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie Cornelius von Alexandria. Der dunkelhäutige Chirurgus musterte sie mit besorgten Blicken. «Schwester Fidelma, erkennt Ihr mich?»

Fidelma verzog das Gesicht. «Ja, aber mein Kopf tut höllisch weh.»

«Ihr habt einen Schlag auf den Schädel bekommen, ein großer Bluterguß über der Schläfe, aber die Haut ist nicht verletzt. Es wird bald ganz verheilen.»

«Mir ist schlecht.»

«Das ist nur der Schock. Bleibt eine Weile liegen, und trinkt einen Schluck Wasser.»

Fidelma lehnte sich zurück und sah sich um. Hinter dem griechischen Chirurgus stand der kleine Antonio und machte ein ängstliches Gesicht. Im Hintergrund hörte sie besorgte Stimmen. Stimmen! War das nicht der scharfe, durchdringende Ton von Äbtissin Wulfrun, die Schwester Eafa anwies, ihr zu folgen? Oder bildete sie sich das nur ein?

Als Fidelma sich aufrichten wollte, hielt sie der griechische Chirurgus sanft zurück.

«Wo bin ich?» fragte sie.

«Am Eingang der Katakomben», antwortete Cornelius. «Ihr wart bewußtlos, und wir haben Euch hinaufgetragen.»

Langsam kehrte Fidelmas Erinnerung zurück. «Jemand hat mich niedergeschlagen!» sagte sie und versuchte erneut, sich aufzusetzen, aber Cornelius hinderte sie auch diesmal daran.

«Nicht so hastig», mahnte er. «Ihr dürft jetzt nichts überstürzen.» Er musterte sie neugierig. «Warum hätte Euch jemand niederschlagen sollen?» fragte er zweifelnd. «Seid Ihr sicher, daß Ihr Euch nicht den Kopf an einem Stein gestoßen habt? So etwas soll dort unten schon öfter vorgekommen sein.»

«Nein, nein!» Fidelma sah ihn eindringlich an. «Was macht Ihr eigentlich hier?»

Der Chirurgus zuckte die Achseln. «Ich kam zufällig am Friedhofstor vorbei, als ich jemanden nach einem Medikus rufen hörte. In den Katakomben sei jemand verletzt worden, erklärte er mir. Ich folgte ihm und fand Euch am Fuß der Treppe.»

«Und wer hat Alarm geschlagen?» wollte Fidelma erstaunt wissen.

Nachdem Cornelius sich davon überzeugt hatte, daß es ihr besser ging, half er ihr vorsichtig auf. «Irgendein Pilger. Keine Ahnung.»

«Ja, es war ein Pilger, Schwester», mischte sich der kleine Antonio ein. «Er kam aus den Katakomben und sagte, dort unten liege eine Schwerverletzte. Als ich zufällig die lecticula des Medikus am Friedhofstor entdeckte, schickte ich jemanden los, um ihn zu holen.»

«Und als ich dann kam, fand ich Euch am Fuß der Treppe», wiederholte Cornelius. «Es sah ganz so aus, als hättet Ihr Euch an einem der vorstehenden Steine an der Seite des Ganges den Kopf gestoßen.»

Antonio, der sehr erleichtert darüber war, daß Fidelma nicht schwer verletzt zu sein schien, grinste schelmisch. «Die Katakomben bringen Euch kein Glück, Schwester.»

Fidelma lächelte reuevoll. «Das war sehr weise gesprochen, kleiner Antonio.»

Der Schwindel und die Übelkeit hatten ein wenig nachgelassen, so daß sie vorsichtig aufstehen konnte. «Wer ist dieser Pilger, dem ich meine Rettung verdanke?»

Es hatten sich mehrere Schaulustige eingefunden, die sich jedoch rasch wieder zerstreuten, als das erhoffte Spektakel ausblieb. Fidelma fragte sich, ob Äbtissin Wulfrun tatsächlich unter ihnen gewesen war.

Der Junge blickte sie ratlos an. «Er ist schon fortgegangen.»

«Weißt du, wie er hieß oder wie er aussah? Ich möchte mich wenigstens bei ihm bedanken.»

Der Junge schüttelte den Kopf. «Er war ein ganz gewöhnlicher Pilger in morgenländischem Gewand.»

Fidelma betrachtete ihn nachdenklich und fragte sich, ob es einer der dunkelhäutigen Männer gewesen sein konnte, die sie in Aurelia Restutus’ Grabkammer beobachtet hatte.

«Wie viele Fremde sind denn hier gewesen, Antonio, seitdem ich die Treppe hinuntergestiegen bin?»

Der Junge zuckte die Achseln. «Keine Ahnung. Mehrere. Nur Fremde kommen hierher, um die Toten zu sehen. Außerdem gibt es noch drei andere Eingänge zu den Katakomben.»

Fidelma lächelte. Wie dumm von ihr, zu glauben, daß der Junge zwischen ihr und den beiden dunkelhäutigen Männern, die sie in den Katakomben gesehen hatte, unterscheiden könnte.

«Und wie viele Männer aus ...»

Cornelius unterbrach sie mit mahnender Stimme. «Ich glaube, Ihr solltet Euch später darüber Gedanken machen, wie Ihr Eurem Retter danken könnt. Meine lecticula wird Euch zum Lateranpalast zurückbringen, wo ich Eure Wunde richtig versorgen kann. Den Rest des Tages solltet Ihr Euch unbedingt ausruhen.»

Am liebsten hätte Fidelma seinen Vorschlag abgelehnt, doch als sie ein paar vorsichtige Schritte wagte, wurde ihr sofort wieder schwindelig, und sie mußte sich eingestehen, daß der Chirurgus wahrscheinlich recht hatte. Sie setzte sich auf den nächsten Stein und hielt sich stöhnend den schmerzenden Kopf.

Cornelius hob die Hand, und sofort kamen kräftige Männer herbeigelaufen. Sie trugen einen seltsam geformten Stuhl auf zwei langen Stangen. Fidelma hatte diese merkwürdigen Sänften schon mehrfach in Rom gesehen und wußte, daß man sie lecticula nannte. In ihrem Heimatland gab es diese absonderlichen Geräte nicht, in denen Menschen von ihren Sklaven oder Dienern durch die Straßen getragen wurden.

Sie wollte widersprechen, doch ihr war klar, daß sie in ihrem jetzigen Zustand nicht in der Lage gewesen wäre, zu Fuß zum Lateranpalast zu gehen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als Cornelius’ Anweisungen Folge zu leisten. Sie wollte gerade auf den Stuhl steigen, als ihr einfiel, was sie vergessen hatte.

«Deine Lampe muß noch unten am Fuß der Treppe liegen, Antonio», rief sie dem Jungen zu.

Aber der Junge schüttelte nur den Kopf und hielt ihr grinsend die Lampe entgegen. «Als wir Euch hochtrugen, habe ich sie gleich mitgebracht», sagte er.

«Und der Silberkelch, den ich in der anderen Hand hatte?»

Antonio sah sie ratlos an. «Von einem Silberkelch habe ich nichts bemerkt, Schwester. Und ich glaube auch nicht, daß Ihr einen mit hinuntergenommen habt.»

Voller Schreck griff Fidelma nach ihrem marsu-pium. Ihre Zunderbüchse und ihre Münzen waren noch da, aber von dem Papyrusstück, das sie bei Bruder Ronan gefunden hatte, fehlte jede Spur. Nur das durchtrennte Stück Sackleinen war ihr geblieben.

Sie stellte fest, daß Cornelius sie argwöhnisch beäugte.

«Einen Augenblick», sagte sie, stieg noch einmal aus der lecticula, und ging unsicheren Schrittes auf den Jungen zu. Dicht vor ihm kniete sie nieder und raunte ihm mit leiser Stimme zu: «Antonio, in der Katakombe der Aurelia Restutus liegt eine Leiche. Nein», erklärte sie, als sie sah, wie er grinste, weil das in einer Grabkammer nichts Besonderes war, «ich meine eine ganz frische Leiche - ein irischer Mönch, der gerade erst ermordet worden ist. Ich habe ihn gefunden. Sobald ich zum Lateranpalast zurückgekehrt bin, werde ich die custodes schicken, um ihn zu holen ...»

Antonio sah sie mit großen Augen an. «Ihr solltet es dem praetor uranis melden», riet er ihr.

Fidelma nickte. «Mach dir keine Sorgen. Die zuständigen Behörden sollen auf jeden Fall benachrichtigt werden. Ich möchte nur, daß du die Augen offenhältst und ganz genau darauf achtest, wer hier kommt und geht. Du sollst wissen, daß ich bei dem Toten einen Silberkelch und ein Stück Papyrus gefunden habe. Beides wurde mir gestohlen, als ich bewußtlos war. Wenn du also jemanden siehst, der sich verdächtig verhält, vor allem zwei Männer aus dem Morgenland, die eine fremde Sprache sprechen, möchte ich, daß du sie dir ganz genau ansiehst und dir merkst, wohin sie gehen.»

«Ja, Schwester», versprach der Junge. «Aber die Katakomben haben noch viele andere Ein- und Ausgänge.»

Fidelma stöhnte. Diese Tatsache machte das Ganze natürlich noch schwieriger. Dennoch griff sie in ihr marsupium und warf einige Münzen in den Korb des Jungen.