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Als sie das officium betrat, hob Bischof Gelasius grüßend die Hand und schenkte ihr ein müdes Lächeln. Der nomenclator des Lateranpalasts wirkte erschöpft.

«Nun, Schwester», begann der Bischof und ließ die Hand wieder sinken, als er bemerkte, daß sie mehrere Schritte vor seinem Stuhl stehenblieb. Inzwischen hatte er sich fast daran gewöhnt, daß sie die römische Sitte, seinen Amtsring zu küssen, standhaft mißachtete. «Ich glaube, wir können uns die ausführlichen Erklärungen sparen, denn Ean-reds Tod scheint all unsere Fragen zu beantworten. Also bleibt uns nur noch, Euch und Bruder Eadulf zu Eurem Scharfsinn zu beglückwünschen.»

Marinus, Sebbi und Ine murmelten zustimmend, während Wulfrun und Eafa keinerlei Regung zeigten.

Mit einem kühlen Lächeln sah Fidelma sich in der Runde um.

«Und uns bleibt die Aufgabe, Bischof Gelasius», sagte sie und wählte sorgfältig ihre Worte, «den Mord an Wighard aufzuklären, indem wir die Person benennen, die ihn getötet hat. Denn die gleiche Peron hat auch Bruder Ronan Ragallach und Abt Puttoc auf dem Gewissen.»

In Marinus’ officium herrschte auf einmal Anspannung, und alle Augen richteten sich aufmerksam auf Fidelma. Die Anwesenden blickten erstaunt und fragend drein. Hinter einem dieser Gesichter verbarg sich eine gequälte Seele, auf der schwer die Schuld lastete. Fidelma hoffte, daß ihre Schlußfolgerungen zutrafen, aber sie mußte den Sprung ins kalte Wasser wagen.

Schwester Fidelma stellte sich mit dem Rücken zum Kamin zwischen Gelasius und Marinus und faltete bescheiden die Hände.

Bischof Gelasius, der bestürzt schien, betrachtete sie schweigend, dann räusperte er sich. «Das verstehe ich nicht ganz, Schwester. Habt Ihr Bruder Eanred nicht auf frischer Tat ertappt? Ich habe Li-cinius so verstanden, daß Eanred sich noch über die Leiche seines Opfers beugte, als Ihr und Bruder Eanred in Puttocs Zimmer kamt. Oder hat es sich anders zugetragen?»

«Bitte schenkt mir ein wenig von Eurer kostbaren Zeit», sagte Fidelma, ohne auf seine Frage einzugehen. «Wighards Tod hat uns zahlreiche Rätsel aufgegeben. Und es ist vieles geschehen, das uns den Blick auf die Wirklichkeit verstellte. Das alles müssen wir nun prüfen und dabei die Spreu vom Weizen trennen.»

Hilfesuchend sah Gelasius den Superista an, doch Marinus verzog keine Miene. Offenbar wollte er sich seine Ungeduld nicht anmerken lassen. Mit einer Handbewegung, die zugleich auch seine Verwirrung zum Ausdruck brachte, forderte Gela-sius die irische Nonne auf weiterzusprechen.

«Nun gut», sagte Fidelma. «Wie Ihr sicherlich bereits wißt, gab es im Grunde zwei Fälle zu lösen. Diese Tatsache hat zu Beginn unserer Ermittlungen Bruder Eadulf und mir viel Kopfzerbrechen bereitet, denn wie alle anderen auch hielten wir sie für zwei Gesichtspunkte ein und desselben Falles. In Wirklichkeit hatten sie jedoch nichts miteinander zu tun, sondern fielen nur zufällig zeitlich zusammen.»

Die anderen sahen sie verdutzt an. Fidelma begann zu erklären: «Der erste Fall war eindeutig. Wighard war ermordet worden. Von wem? Erst der zweite Fall machte den ersten so verworren. Wig-hard war auch bestohlen worden. Die kostbaren Geschenke, die er für Seine Heiligkeit mitgebracht hatte, und die Kelche aus den sächsischen Königreichen, die der Bischof von Rom segnen sollte, waren verschwunden. Wer war der Dieb? Zuerst gingen wir von einem einzigen Täter aus: Der Mörder hatte Wighard bestohlen - oder besser: Der Dieb hatte Wighard umgebracht. In Wirklichkeit brachte uns diese Annahme der Lösung kein bißchen näher. Wie sich herausstellte, handelte es sich um zwei völlig eigenständige Verbrechen.»

«Ihr wollt uns sagen, daß die Person, die Wig-hards Schätze an sich genommen hat, mit dem Mord an Wighard nichts zu tun hatte?» fragte Ge-lasius erstaunt.

Fidelma nickte. «Ja. Allerdings war uns das anfangs nicht klar, und die irrtümliche Verknüpfung von Raub und Mord stand uns im Wege. In Wirklichkeit hatten sich nämlich Bruder Ronan Ragallach und Bruder Osimo Lando verschworen, um die Schätze, die Wighard von Canterbury nach Rom gebracht hatte, zu stehlen. Sie wollten sie gegen einige sehr wertvolle Bücher eintauschen, die früher einmal in der Bibliothek in Alexandria standen. Wir wissen, daß die Anhänger Mohammeds die alexandrinische Bibliothek und mit ihr einige der kostbarsten Bücher der alten Welt vor etwas mehr als zwanzig Jahren gestürmt und zerstört haben.

Vor etwa einer Woche kam nun ein arabischer Kaufmann nach Rom. Er befand sich im Besitz einiger seltener medizinischer Werke, die auf wundersame Weise vor der Vernichtung gerettet wurden - Werke von Hippokrates, Galen von Pergamon und anderen, Bücher von unschätzbarem Wert, wie es sie nur in Alexandria gegeben hatte. Dieser findige Kaufmann wandte sich an den kundigsten Chirurgus in Rom, einen Mann, der in Alexandria gelebt, studiert und gelehrt hatte und die Stadt hatte verlassen müssen, als sie an die Anhänger Mohammeds fiel. Dieser Mann, wußte der Kaufmann, würde den Wert der Bücher zu schätzen wissen - und natürlich handelte es sich bei diesem Mann um keinen anderen als Cornelius von Alexandria.»

Sie hielt inne. Die anderen schwiegen. Die Kunde von Cornelius’ Verhaftung hatte sich im Lateranpalast bereits herumgesprochen.

«Als Vitalians Leibarzt genoß Cornelius viele Vergünstigungen. Dennoch war er bei weitem nicht wohlhabend genug, um den von dem Araber geforderten Preis zu zahlen. Die Summe, die der arabische Händler von ihm verlangte, überstieg seine Möglichkeiten um ein Vielfaches. Und doch wollte er die Bücher unbedingt haben. Er kannte den Wert dieser großen Werke, die für die zivilisierte Welt für immer verloren gewesen wären, wenn er nicht die Mittel gefunden hätte, sie dem arabischen Kaufmann abzukaufen.»

«Warum ist er mit seinem Anliegen nicht zu uns gekommen?» warf Gelasius ein. «Der Himmel weiß, wir sind immer knapp bei Kasse. Aber irgendwie hätten wir es schon geschafft, diese Werke für die Christenheit zu retten.»

Es war Eadulf, der ihm die Erklärung lieferte. Ohne sich von seinem Platz neben der Tür zu lösen, sagte er mit langsamer, gesetzter Stimme: «Dafür gibt es nur einen Grund - Habgier. Cornelius wollte die Bücher selbst besitzen. Er träumte von unermeßlichem Reichtum, wenn ihm diese Werke erst einmal gehörten. Dabei ging es ihm nicht um Geld, sondern um die kostbaren Werke an sich. Er mußte sie haben, ohne sie mit jemandem zu teilen.»

Fidelma nickte anerkennend und fuhr fort: «Deshalb zog er einen Landsmann, den Alexandriner Osimo Lando, ins Vertrauen. Cornelius spielte bereits mit dem Gedanken, einen reichen Mann zu bestehlen, um die Bücher kaufen zu können. Osimo, der als sub-praetor im Amt für ausländische Angelegenheiten tätig war, erfuhr aus erster Hand, welche ausländischen Würdenträger nach Rom kamen und welche Schätze sie bei sich führten.

Der Zufall wollte es, daß Wighard wenige Tage zuvor mit seinem Gefolge angekommen war und wertvolle Geschenke mitgebracht hatte, welche die Forderungen des arabischen Kaufmanns mit Sicherheit hätten befriedigen können. Gemeinsam beschlossen sie, diese Geschenke in ihren Besitz zu bringen. Vielleicht handelte Osimo in der Überzeugung, daß es gottgefällig sei, die wertvollen Bücher vor den Ungläubigen zu retten. Und wahrscheinlich hatte ihm Cornelius auch nicht erzählt, daß er die Bücher als seinen persönlichen Besitz betrachten würde.»

Als sie ihre verblüfften Gesichter sah, hielt sie lächelnd inne und fuhr nach kurzem Schweigen fort: «Osimo Lando hatte einen engen Freund, Bruder Ronan Ragallach. Osimo überredete Cornelius, seinen Freund in ihr Vorhaben einzuweihen. Drei Köpfe seien klüger als einer oder zwei. Sie beschlossen, Wighard im Schlaf auszurauben, und Ronan erklärte sich bereit, das domus hospitale auszukundschaften und einen entsprechenden Plan zu schmieden ...»