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Fidelma sah ihn aufmerksam an. «Und Ihr?»

«Ich? Ich habe Vitalian versprochen, Theodorus als scriptor und Berater in allen Fragen des sächsischen Rechts zur Seite zu stehen. Aber es wird eine Weile dauern, bis wir soweit sind, daß wir die Rückreise nach Canterbury antret en können. Theodorus hat nicht nur vieles zu lernen, er ist bisher auch nur ein einfacher Mönch. Er muß erst zur Kirche Roms konvertieren und danach zum Priester, Diakon und Bischof geweiht werden.»

Fidelma betrachtete die Holzplanken des Stegs so angestrengt, als besäßen sie eine geheimnisvolle Anziehungskraft. Eine Weile lang schwiegen sie beide.

«Ihr werdet also hierbleiben, bis Theodorus bereit ist, sein Amt in Canterbury anzutreten?»

«Ja. Und Ihr werdet für immer nach Kildare zurückkehren?»

Fidelma verzog das Gesicht. «Ihr werdet mir fehlen, Eadulf ...», sagte sie anstelle einer Antwort.

Vom Ende des Stegs waren laute Rufe zu hören. Als Fidelma und Eadulf sich umdrehten, sahen sie Äbtissin Wulfrun auf sich zukommen. Sie hatte zwei verschüchterte Nonnen im Schlepptau, die sich mit ihrem umfangreichen Gepäck abmühten, während sie ihnen mit gewohnt barscher Stimme Befehle erteilte. Bei Fidelmas und Eadulfs Anblick wandte sie sich um. Offenbar zog sie es vor, in der glühenden Sonne zu stehen, als sich zu Fidelma in den Schatten des Sonnensegels zu setzen.

«<Wer zugrundegehen soll, der wird zuvor stolz, und Hochmut kommt vor dem Fall>», zitierte Fidelma.

Eadulf grinste. «Wulfrun scheint wirklich nichts dazugelernt zu haben», sagte er. «Daß die Wahrheit ans Licht gekommen ist, war ein herber Schlag für sie. Lieber würde sie als Prinzessin in einer Traumwelt leben, als sich zu ihrer Vergangenheit als Sklavin zu bekennen.»

«Veritas odium parit», gab Fidelma eine Zeile von Terenz wieder. «Wahrheit zeugt Haß. Und doch tut sie mir leid. Es muß traurig sein, wenn man so wenig Selbstvertrauen hat, daß man glaubt, die Achtung seiner Mitmenschen nur mit einer er-fandenen Geschichte erlangen zu können. Viel zuviel Leid auf dieser Welt geht auf Menschen zurück, die sich ständig wichtig machen und andere beeindrucken müssen.»

«Wie lauten noch Epiktets spöttische Worte?» fragte Eadulf, während er stirnrunzelnd überlegte.

«Ihr denkt wohl an seine Frage: <Meinst du, die Welt stürzt ein, wenn du stirbst? > Tatsächlich ein äußerst feiner Spott», sagte Fidelma lächelnd. «Wie auch immer, offenbar hat Äbtissin Wulfrun ein paar bedauernswerte Seelen gefunden, die bereit sind, in die Fußstapfen der armen, traurigen Schwester Eafa zu treten. Ich muß gestehen, ich empfinde noch immer Mitleid für sie.»

Sie deutete auf Wulfrun, die vollauf damit beschäftigt war, die beiden jungen Nonnen herumzukommandieren.

«Sie wird sich nicht ändern», meinte Eadulf. «Ich hoffe nur, Ihr braucht sie nicht die ganze Reise über zu ertragen.»

«Ich werde versuchen, sie einfach nicht zu beachten.»

Fidelma suchte Eadulfs Blick, aber seine Augen richteten sich bereits auf einen weiteren Neuankömmling am Ende des Stegs.

Ein kleines Bündel unter dem Arm, schritt tesserarius Furius Licinius an Äbtissin Wulfrun und ihren Dienerinnen vorbei und ging direkt auf das große Sonnensegel zu.

«Ich habe erst heute morgen gehört, daß Ihr Rom verlassen wollt, Schwester», begrüßte er Fidelma sichtlich verlegen.

Fidelma lächelte bescheiden. «Ich hätte nicht gedacht, daß die Reisepläne einer armen irischen Schwester für einen Offizier der custodes am römischen Lateranpalast von Bedeutung sein könnten, Furius Licinius», sagte sie ernst.

«Ich . » Licinius biß sich auf die Unterlippe und warf einen kurzen Seitenblick auf Eadulf, der so tat, als interessiere er sich brennend für das rasch dahinfließende Wasser des mächtigen Tiber. «Ich habe Euch ein Geschenk mitgebracht . Ein Andenken an Eure Zeit in Rom.»

Die Wangen des jungen Mannes röteten sich, als er ihr einen in Sackleinen gewickelten Gegenstand hinschob. Offenbar war es ein Holzkästchen. Fidelma nahm das Bündel feierlich entgegen und schlug das Tuch zurück. Tatsächlich, es war ein hübsches Kästchen aus einem tiefschwarzen Holz, wie Fidelma es noch nie zuvor gesehen hatte.

«Man nennt es ebenus», erklärte Licinius.

«Es ist wunderschön», sagte Fidelma und betrachtete die winzigen Silberbeschläge, die zu dem schwarzen Holz einen reizvollen Gegensatz bildeten. «Aber Ihr hättet nicht ...»

«Das Kästchen hat auch einen Inhalt», unterbrach Licinius sie eifrig. «Macht es auf.»

Feierlich öffnete Fidelma das schwarze Kästchen. In den mit Samt ausgeschlagenen Fächern steckten zwölf hübsche Fläschchen aus Glas.

«Sind das Kräutertinkturen?» fragte sie.

Eadulf reckte den Hals, um ihr über die Schultern zu schauen.

Noch tiefer errötend, beugte sich Licinius vor, nahm eine Flasche heraus und zog den winzigen Korkverschluß ab.

Vorsichtig roch Fidelma an dem Fläschchen, dann weiteten sich ihre Augen vor Erstaunen.

«Parfüm!» hauchte sie.

Licinius schluckte aufgeregt. «Bei den Damen Roms sind solche Duftwässer ganz groß in Mode. Ich hoffe, daß Ihr mein Geschenk als Zeichen meiner großen Hochachtung annehmt, Fidelma von Kildare.»

Fidelma fühlte sich plötzlich sehr verlegen.

«Ich glaube nicht ...», begann sie.

Licinius ergriff ungestüm ihre Hand. «Ich habe von Euch viel über die Frauen gelernt», sagte er ernst. «Ich werde es nicht vergessen. Bitte nehmt dieses Geschenk in Erinnerung an mich an.»

Fidelma wurde von plötzlicher Trauer übermannt, und zu ihrem Ärger traten ihr Tränen in die Augen. Sie dachte an Cian und an Eadulf und wünschte, sie wäre wieder ein junges Mädchen, das die aimsir togu, die Zeit der Wahl, und das ganze Leben noch vor sich hatte. Sie versuchte zu lächeln.

«Ich werde Euer Geschenk annehmen, Licinius, und es ebenso ehren wie den Geist, in dem Ihr es mir überreicht habt.»

Licinius bemerkte Eadulfs starren Blick. Ruckartig richtete er sich auf und wurde plötzlich förmlich. «Danke, Schwester. Ich wünsche Euch eine sichere Reise zurück in Eurer Heimatland. Gott sei mit Euch, Fidelma von Kildare.»

«Dia argach bothar a rachaidh tu, Licinius, wie wir in meiner Sprache sagen: Gott sei mit Euch auf allen Wegen.»

Der junge Offizier der Palastwache salutierte, drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon.

Mit offensichtlichem Mißbehagen sah Eadulf ihm nach. Dann wandte er sich in bemüht scherzhaftem Ton an Fidelma.

«Mir scheint, Ihr habt eine Eroberung gemacht.» Fidelma wandte sich ab, doch ihre ärgerliche Miene war ihm nicht entgangen, und er fragte sich, womit er diese ausgelöst hatte. Betreten stand er da, während sie das Ebenholzkästchen schloß, es wieder in das Sackleinen wickelte und in ihrem Gepäck verstaute.

«Fidelma ...», begann er verlegen, hielt inne und stieß einen heftigen Fluch in seiner Muttersprache aus.

Sie erschrak so über die ungewohnten Kraftausdrücke, daß sie erstaunt den Kopf hob. Eadulf blickte zum Ende des Stegs, wo gerade eine lecticula angehalten hatte. Begleitet wurde sie von einer Gruppe von custodes, deren Uniform eher wie ein Relikt aus dem heidnischen Rom der Kaiserzeit als wie ein Symbol der christlichen Gegenwart wirkte. Der hochgewachsene Bischof Gelasius kletterte aus der Sänfte. Er hieß seine Begleiter warten und trat allein auf den hölzernen Steg.

Äbtissin Wulfrun eilte ihm entgegen. Fidelma konnte ihre schrille, durchdringende Stimme hören.

«Ah, Bischof Gelasius! Es ist Euch also zu Ohren gekommen, daß ich Rom heute verlasse?» begrüßte sie ihn.