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Die Ruderer stimmten ein Lied an, das ihnen bei ihrer harten, von der heißen Mittagssonne noch erschwerten Arbeit half:

Der Himmel klart auf, der Sturm hat sich gelegt,

unsre Mühe zähmt alles, was sich bewegt .

Heia ulri! Nostrum reboans echo sonet heia!

Holt auf, Männer! Ein schallendes Echo

soll unsre Schläge vorwärts tragen!

Fidelma seufzte leise, lehnte sich auf ihrer Bank zurück und ließ den Blick über das vorüberziehende Flußufer schweifen. Bald hatten sie die Hügel Roms mit ihren dichtgedrängten Häusern und Anlegeplätzen hinter sich gelassen. Das Land war kahl und baumlos, und auch der Fluß hatte nichts mehr von der Schönheit des großen Tiber an sich, die man Fidelma einst so eindringlich gepriesen hatte.

Nur hin und wieder kamen sie an einer von Kiefern gekrönten Anhöhe vorbei, und auf den wenigen Feldern wuchs spärliches Korn. Fidelma hielt sich vor Augen, daß die Armee Kaiser Con-stans’ erst vor kurzem durch diese Gegend gezogen war. Menschen, nicht die Natur, hatten diese Ödnis geschaffen.

Wie Fidelma sich erinnerte, teilte sich der Fluß um die Isola Sacra genannte Insel und ergoß sich zwischen den Hafenstädten Ostia und Porto ins Mittelmeer. Die Einfahrt nach Rom durch die tiefliegenden stagni oder salzigen Sümpfe konnte man zwar nicht gerade malerisch nennen, aber Ostia und Porto waren nun einmal von alters her die beiden Häfen Roms, in denen Schiffe aus allen Ländern der Welt vor Anker gingen.

Die Landschaft veränderte sich, und das Sonnenlicht spiegelte sich im silbrigen Grün unzähliger Olivenbäume. Anders als die brachen Getreidefelder hatten die Olivenhaine Constans’ Plünderungen unbeschadet überstanden. Doch in welchem Gegensatz stand diese helle, silbrige Farbe zu dem Grün, das Fidelma aus ihrem Heimatland kannte, zu den üppigen, schattenspendenden Bäumen, die im gemäßigten Klima Irlands so prächtig wuchsen und gediehen. Sie dachte an die von Fuchsienbüschen gesäumten Wege, die safrangelb gefleckten, grauen Granitfelsen an der steinigen Küste, an die breiten, grünen Hügel und tiefen, dunklen Täler, an die von Brombeerhecken, Heidekraut und Nesseln gesäumten Wälder, an Eiben, Haselnüsse und Geißblatt.

Erstaunt stellte Fidelma fest, daß sie Heimweh hatte. Ihr wurde klar, wie sehr sie sich darauf freute, in ihr Heimatland zurückzukehren, ihre eigene Sprache zu hören, sich geborgen zu fühlen, zu Hause zu sein. Was hatte Homer geschrieben? «Kann ich für mein Teil, als das eig’ne Land, doch sonst nichts Süßeres erblicken.» Vielleicht hatte er recht.

Sie betrachtete die vorüberziehende Landschaft, und ihre Gedanken wanderten zurück zu Eadulf. Warum hatte sie beim Abschied solche Trauer empfunden? Versuchte sie, aus ihrer Freundschaft mit Eadulf mehr zu machen, als in Wirklichkeit vorhanden war? Hatte Aristoteles recht, wenn er sagte, daß Freundschaft nur eine einzige Seele kennt, die in zwei Körpern wohnt? Hatte sie deshalb das Gefühl, daß ihr etwas fehlte? Wütend auf sich selbst, preßte sie die Lippen zusammen. Wie so oft versuchte sie, ihren Gefühlen durch vernünftige Überlegungen auf den Grund zu kommen, anstatt ihnen einfach nachzuspüren. Die Empfindungen anderer Menschen zu verstehen fiel ihr hingegen meist nicht schwer. Wer sagte noch gleich: «Arzt, hilf dir selbst»? Fidelma konnte sich nicht erinnern. Es gab ein altes Sprichwort in ihrer eigenen Sprache: «Jeder Kranke ist zugleich auch Arzt.» Eine Wahrheit, die sie sich zu Herzen nehmen sollte.

Fidelmas Blick schweifte über das Flußufer und seine blaßgrüne Pflanzenwelt. Wieder dachte sie an den starken Gegensatz zu dem satten Grün Irlands. Sie wandte sich zu der Biegung um, hinter der Rom verschwunden war, und dachte wieder an Ea-dulf.

Sie lächelte traurig. Horaz hatte recht: Vestigia ... nulla retrorsum - keinen Schritt zurück. Nein, es gab kein Zurück mehr. Die Heimat erwartete sie.

GLOSSAR

Aidan Heiliger und Apostel Northumbriens (gest. 651), zunächst Mönch in Iona, später erster Abt des von König Oswald gegründeten Klosters Lin-disfarne auf Holy Island an der Ostküste Schottlands. Sein Festtag ist der 31. August.

Antiochia 300 v. C. gegründete Stadt am Orontes in der südlichen Türkei, heute Antakya. Auf die Erwähnung der ersten heidenchristlichen Gemeinde in Antiochia in der Apostelgeschichte (11,19 ff.) gründete sich der spätere Titel des in der Rangfolge nach Rom, Konstantinopel und Alexandria hoch angesiedelten Patriarchen von Antiochia.

Aqua Claudia eine der wichtigsten Wasserleitungen im alten Rom, die das Wasser des Flusses Anio für die Stadt nutzbar machte. Der im Text beschriebene Aquädukt der Aqua Claudia wurde 38-53 n. C. erbaut und später in die aureliani-sche Stadtmauer integriert. Bis 1915 waren die beiden Bögen noch als Stadttore im Gebrauch.

Armagh Stadt in Nordirland, in der St. Patrick im 5. Jahrhundert seine Hauptkirche errichtete. Geistliches Zentrum Irlands, Sitz eines katholischen und eines anglikanischen Erzbischofs.

Augustinus von Hippo Augustinus Aurelius, bedeutendster Kirchenlehrer des christlichen Altertums und Verfasser der in seine innere Entwicklung Einblick gebenden Confessiones («Bekenntnisse»). Er wurde 453 in Tagaste (Numidien) geboren und starb 493 in Hippo Regius (Nordafrika).

Augustinus von Rom Heiliger und Apostel der Angelsachsen (gest. 604 n. C.). Als Abt 596 n. C. von Papst Gregor I. nach England gesandt, wurde er 597 erster Bischof von Canterbury. Sein Festtag ist der 28. Mai.

Aurelianische Mauer um 270 n. C. von Kaiser Aurelian (214-275 n. C.) gegen zunehmende Barbareneinfälle neu errichtete Stadtbefestigung Roms. Die Mauer war 18,80 km lang und 7,50 bis 7,80 in hoch, hatte 381 Türme und diente bis 1870 zur Verteidigung der Stadt. Die Tore sind mit wenigen Ausnahmen erhalten. Das im Text erwähnte Metronia-Tor liegt zwischen der Porta Asinaria und der Porta Latina. Die Wölbung des seit dem Mittelalter zugemauerten Tordurchgangs ist bis heute deutlich zu sehen.

Brehon altirisches Gesetz mit eigener Gerichtsbarkeit, deren Schriften in altem Gälisch zum Teil noch erhalten sind und aufschlußreiche Einblicke in eine von Clanstrukturen beherrschte, komplexe Gesellschaft geben.

Calixtus römischer Papst (217-222 n. C.) und Heiliger. Begründete bereits als Erzdiakon unter seinem Vorgänger Zephyrin den berühmten Ca-lixtus-Friedhof in Rom. Sein Festtag ist der 14. Oktober.

Columban (auch Columban der Jüngere) Heiliger und irischer Missionar (ca. 530-615), der in England, Frankreich, in der Schweiz und in Italien wirkte. In der Emilia-Romagna in Norditalien gründete er 612 das Kloster Bobbio, das später zu einem wichtigen Zentrum mittelalterlicher Gelehrsamkeit wurde und vor allem für seine große Bibliothek berühmt war. Columbans Grabmal kann bis heute in Bobbio besichtigt werden. Sein Festtag ist der 23. November.

Constans II. oströmischer Kaiser (630 - 668 n. C.), Sohn Konstantins III., der nach dem Tod des Vaters mit elf Jahren den Thron bestieg. Seine Regentschaft war durch den Verlust der südlichen und östlichen Provinzen Roms an die Araber gekennzeichnet. 663 verließ er Konstantinopel und zog durch Norditalien nach Rom, wo ihn Papst Vitalian mit allen Ehren empfing. Die Beschlagnahmung zahlreicher Bronzegegenstände durch seine Soldaten ist historisch verbürgt. Constans ließ sich schließlich in der sizilianischen Hafenstadt Syrakus nieder, die er zu seiner Hauptstadt und wichtigsten Festung zur Verteidigung des römischen Reiches gegen die Araber ausbauen wollte - Pläne, die durch seine Ermordung vereitelt wurden.

Erasistratus von Ceos griechischer Arzt und Anatom, der um 250 v. C. in Alexandria wirkte und von manchen als Begründer der Physiologie angesehen wird. Er entdeckte den Unterschied zwischen sensorischen und motorischen Nerven, glaubte jedoch, daß es sich bei beiden Nerventypen um mit Flüssigkeit gefüllte Hohlgefäße handele.