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Der Hang des Esquilin war dünn besiedelt, es war eine wohlhabende Gegend mit großen Häusern, Weinbergen und Gärten. Hier hatte Servius Tullius seinen Eichenhain anlegen lassen, Fagutalis Birken gepflanzt, der Dichter Vergil ein Anwesen besessen, Nero sein «Goldenes Haus» erbaut und Pompeius seine Feldzüge gegen Julius Cäsar ersonnen. Während seines zweijährigen Aufenthalts in Rom hatte Eadulf diese Gegend gründlich kennengelernt.

«Habt Ihr schon viel von Rom gesehen?» brach Eadulf ihr freundschaftliches Schweigen.

«Seitdem ich hier bin, versuche ich zu verstehen, warum eine Kirche der Armen sich mit soviel Reichtum schmückt ... Nein», sie lachte, als sie sah, wie seine Augenbrauen sich zusammenzogen, «nein, ich werde nicht mehr davon sprechen. Was sollte ich mir Eurer Meinung nach anschauen?»

«Nun, an allererster Stelle sicherlich die Basilika des Heiligen Petrus auf dem Monte Vaticano, wo der große Fischer, der den Schlüssel zum himmlischen Königreich in Händen hält, begraben liegt. Ganz in der Nähe befindet sich auch das Grab des Heiligen Paulus. Aber man muß sich den heiligen Grabstätten mit großer Demut nähern, andernfalls können einem schreckliche Dinge widerfahren.»

«Was für schreckliche Dinge?» fragte Fidelma argwöhnisch.

«Es heißt, daß Bischof Pelagius - nicht der Ketzer, der niemals römischer Bischof war, sondern der zweite Heilige Vater dieses Namens -während seiner Amtszeit die silberne Abdeckung über den Leichnamen erneuern wollte. Als er sich den Gräbern näherte, hatte er eine schreckliche Erscheinung. Der Anführer der für die Arbeiten zuständigen Männer starb auf der Stelle, und alle Mönche und Diener der Kirche, die der Leichen ansichtig wurden, waren innerhalb von zehn Tagen tot. Man sagt, all das sei deshalb geschehen, weil der Heilige Vater den Namen eines Ketzers trug. Deshalb hat man auch sogleich die Anordnung erlassen, daß nie wieder ein Papst den Namen Pelagius wählen darf.»

Argwöhnisch musterte Fidelma die selbstzufriedenen Züge des jungen Mönchs an ihrer Seite. War diese Geschichte die Retourkutsche für ihre Angriffe?

«Pelagius ...», begann sie streng, doch Eadulf konnte nicht länger ernst bleiben und lachte laut.

«Laßt uns damit aufhören, Fidelma, auch wenn ich schwöre, daß es eine wahre Geschichte ist. Aber ich möchte, daß zwischen uns Frieden herrscht.»

Fidelma lächelte gezwungen. «Wir werden uns die Pilgerreise zum Grabmal des heiligen Petrus für ein andermal aufbewahren», erwiderte sie. «Diakonin Epiphania hat mich und einige andere Pilger zu der Stelle geführt, wo Petrus der Überlieferung nach verhaftet wurde. Es war erstaunlich. In der Zelle lag eine dicke Eisenkette, und ein Priester stand mit einer Feile bereit, um den Besuchern für einen unerhörten Preis ein paar Späne abzufeilen. Natürlich handelte es sich, wie er uns eifrig versicherte, um die Kette, die der heilige Petrus während seiner Gefangenschaft getragen hat. Die Pilgerreisen nach Rom scheinen ein Geschäft geworden zu sein, bei dem sich viele eine goldene Nase verdienen.»

Sie hatte bemerkt, daß der sächsische Mönch schon seit einer Weile gelegentlich über die Schulter blickte.

«Schwester, da ist ein mondgesichtiger Mönch mit keltischer Tonsur, der uns anscheinend folgt. Wenn Ihr Euch rasch nach rechts umschaut, könnt Ihr ihn auf der anderen Straßenseite im Schatten einer Zypresse stehen sehen. Kennt Ihr ihn?»

Verwundert wandte sich Fidelma in die angegebene Richtung.

Kurz traf sich ihr Blick mit dem eines dunkeläugigen Mannes im mittleren Alter. Er sah aus, wie Eadulf ihn beschrieben hatte. Seine Tonsur ließ auf eine irische oder britische Herkunft schließen, denn der vordere Teil seines Kopfes war vollständig glattrasiert. Er trug ein schäbiges Gewand und hatte ein Mondgesicht. Als er bemerkte, daß Fidelma ihn entdeckt hatte, erstarrte er und lief tiefrot an. Dann drehte er sich um und verschwand in der Menschenmenge.

Verwirrt wandte Fidelma sich wieder Bruder Ea-dulf zu. «Ich kenne ihn nicht. Und doch schien er uns zu beobachten. Ihr meint, er sei uns nachgegangen?»

Eadulf nickte. «Ich habe ihn schon auf den Stufen des Lateranpalasts bemerkt. Als wir die Via Me-rulana hinunterspazierten, folgte er uns in einigem Abstand. Anfangs dachte ich, es sei reiner Zufall, doch dann fiel mir auf, daß er, als wir vorhin stehenblieben, ebenfalls innehielt. Seid Ihr sicher, daß Ihr ihn noch nicht gesehen habt?»

«Nein. Vielleicht stammt er aus Irland und hat mich irisch sprechen hören. Möglicherweise wollte er mit mir über unsere Heimat reden, hatte aber nicht den Mut dazu.»

«Kann sein.» Eadulf klang nicht überzeugt.

«Wie auch immer, jetzt ist er verschwunden», sagte Fidelma. «Laßt uns weitergehen. Wovon hatten wir gesprochen?»

Zögernd gehorchte Eadulf. «Ich glaube, Ihr habt Euch wieder einmal mißbilligend über Rom geäußert, Schwester.»

Fidelmas Augen funkelten. «Ja», räumte sie ein. «Selbst in der Herberge, in der ich wohne, gibt es Bücher, die fremden Pilgern den Weg zu den unzähligen Sehenswürdigkeiten, Heiligtümern und Grabmalen weisen. Und dort bringt man sie dazu, sich von ihrer spärlichen Barschaft zu trennen, um Reliquien und Andenken zu kaufen. Eines dieser Bücher trägt den Titel Noticia Ecclesiarum Urbis Romae ...»

«Aber es ist doch notwendig weiterzugeben, wo die heiligen Stätten sich befinden und wer wo beerdigt worden ist», unterbrach Eadulf sie empört.

«Ist es auch notwendig, den Pilgern hohe Summen für kleine ampullae oder Fläschchen voller Öl abzuverlangen, das angeblich aus den Lampen der Katakomben und Heiligtümer stammt?» entgegne-te Fidelma. «Ich glaube kaum, daß man dem Lampenöl aus Katakomben, in denen tote Heilige begraben liegen, irgendwelche Zauberkräfte zuschreiben kann?»

Eadulf seufzte tief und schüttelte entmutigt den Kopf. «Vielleicht sollten wir den Besuch solcher Sehenswürdigkeiten ganz streichen.»

Sofort bedauerte Fidelma ihre harten Worte.

«Jetzt habe ich mir wohl schon wieder den Mund verbrannt. Verzeiht mir, Eadulf! Bitte!»

Der Sachse versuchte, eine mißbilligende Miene aufzusetzen, doch als er Fidelmas spitzbübisches Grinsen sah, streckte er die Waffen. «Also gut. Vielleicht finden wir ja doch etwas, worauf wir uns beide einigen können. Zum Beispiel steht nicht weit von hier die Kirche der Heiligen Maria vom Schnee.»

«Vom Schnee?»

«Ja. Es heißt, in einer Augustnacht sei Liberius, dem Bischof von Rom, und einem Patrizier namens Johannes die Heilige Jungfrau erschienen. Sie sagte, sie sollten auf den Esquilin genau an der Stelle, wo sie am nächsten Morgen ein Fleckchen Schnee finden würden, eine Kirche errichten. Die beiden Männer fanden den Schnee, und genau an dieser Stelle wurde die Kirche erbaut.»

«Solche Geschichten erzählt man sich von zahlreichen Kirchen, Eadulf. Was ist gerade an dieser so besonders?»

«Daß dort zum Gedenken an den Heiligen Ai-dan von Lindisfarne, der heute vor dreizehn Jahren gestorben ist, eine Messe gelesen wird. Viele irische und sächsische Pilger werden kommen.»

«Dann werde ich nicht fehlen», willigte Fidelma ein. «Aber vorher, Eadulf, würde ich gern das Colosseum besuchen. Ich möchte mit eigenen Augen den Ort sehen, wo so viele Märtyrer des Glaubens den Tod gefunden haben.»

«Gut. Und wir werden nicht mehr über die Unterschiede zwischen Rom, Canterbury und Armagh sprechen.»