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»Vielleicht Phnom Penh, vielleicht Vientiane«, sagte sie - aber Charlies Ziel, dessen war sie sicher, sei immer nur Saigon, und er komme nie nach Bangkok. Jerry blätterte im Telefonbuch, Indocharter war nicht aufgeführt. Wider alle Hoffnung suchte er auch den Namen Marshall, fand einen - sogar einen Marshall, C. - und rief ihn an, bekam jedoch nicht den Sohn eines Kuomintang-Kriegsherrn, der sich einen hohen militärischen Rang zugelegt hatte, an den Apparat, sondern einen verwirrten schottischen Geschäftsmann, der immer wieder sagte: »Hören Sie, Sie müssen mal vorbeikommen.« Er ging zum Gefängnis, wo die farangs eingesperrt werden, wenn sie nicht zahlen können oder gegen einen General unhöflich waren, und sah die Liste der Insassen durch. Er marschierte die Galerien entlang und linste durch Käfigtüren und sprach mit einigen übergeschnappten Hippies. Sie wußten zwar eine Menge über ihre Inhaftierung zu sagen, aber Charlie Marshall hatten sie nicht gesehen, sie hatten nie von ihm gehört und sie scherten sich auch, um es fein auszudrücken, einen feuchten Staub um ihn. In düsterer Stimmung fuhr er zu dem sogenannten Sanatorium, wo Drogenabhängige ihre Entziehungskur machten, und dort herrschte große Aufregung, weil es einem Mann trotz der Zwangsjacke gelungen war, sich mit den Fingern die Augen auszustechen, aber es war nicht Charlie Marshall, und, nein, sie hatten keine Piloten hier, auch keine Korsen oder korsischen Chinesen und bestimmt keinen Sohn eines Kuomintang-Generals.

Also machte Jerry sich an die Hotels, in denen Piloten bei Zwischenlandungen herumlungern mochten. Er tat es nicht gern, denn es war eine stumpfsinnige Arbeit und überdies wußte er, daß Ko hier eine große Interessenvertretung unterhielt. Er zweifelte nicht ernsthaft daran, daß Frost ihn verraten hatte; er wußte, daß die meisten reichen Überseechinesen legitimerweise mehrere Pässe benutzen, und die Swatonesen mehr als mehrere; er wußte, daß Ko einen thailändischen Paß in der Tasche hatte und wahrscheinlich auch ein paar thailändische Generale. Und er wußte, daß die Thais, wenn sie erzürnt waren, bedeutend rascher und gründlicher töteten als andere Leute, auch wenn sie bei einer Exekution durch ein Erschießungskommando den Delinquenten durch ein ausgespanntes Laken hindurch erschossen, um die Gebote Buddhas nicht zu verletzen. Aus diesen und noch ein paar weiteren Gründen fühlte Jerry sich nicht ausgesprochen behaglich, als er Charlie Marshalls Namen in sämtlichen großen Hotels heraustrompetete.

Er probierte es mit dem Erawan, dem Hyatt, dem Miramar und dem Oriental und ungefähr dreißig weiteren, und im Erawan trat er besonders behutsam auf, weil er sich erinnerte, daß China Airsea hier eine Suite hatte und Craw gesagt hatte, Ko benutze sie häufig. Er stellte sich vor, wie die blondhaarige Lizzie für ihn Hostesse spielte oder ihre langen Glieder draußen am Swimmingpool sonnte, während die Bosse Whisky schlürften und überlegten, wieviel man für eine Stunde von Lizzies Zeit wohl anlegen müsse. Während er herumfuhr, prasselte ein jäher Regenschauer in dicken Tropfen herab, die so verschmutzt waren, daß sie das Gold der Straßentempel schwärzten. Der Taxifahrer geriet auf den überschwemmten Straßen ins Schleudern, so daß er die Wasserbüffel um Zentimeter verfehlte, die grellfarbenen Autobusse klingelten schrill und fuhren auf sie los, bluttriefende Kung-Fu-Plakate schrien auf sie ein, aber der Name Marshall - Charlie Marshall - Captain Marshall, sagte niemandem etwas, obwohl Jerry freigebig Trinkgelder verteilte. Er hat ein Mädchen, dachte Jerry. Er hat ein Mädchen und ist bei ihr untergekrochen, genau wie ich es auch machen würde. Im Oriental bestach er den Portier, daß er für ihn Nachrichten entgegennehme, außerdem durfte er das Telefon benutzen und erhielt, was das Beste von allem war, eine Quittung für zwei Übernachtungen, ein Schlag für Stubbs. Aber das Abklappern der Hotels hatte an seinen Nerven gezerrt, er fühlte sich ausgesetzt und gefährdet, also schlief er, für einen Dollar pro Nacht und im voraus zu bezahlen, in einem obskuren Logierhaus gleich um die Ecke, wo man auf Anmeldeformalitäten verzichtete: es bestand aus einer Reihe von Strandhütten, bei denen alle Türen sich direkt zur Straße öffneten, Marke sturmfrei, vor den offenen Garagen hingen nur Plastikvorhänge, die die Nummernschilder der Autos verhüllten. Am Abend blieben ihm nur noch die Luftfrachtspeditionen abzuklappern, und ohne große Begeisterung fragte er überall nach einer Firma namens Indocharter, und überlegte bereits ernstlich, ob er nicht doch der Hostesse von Air Vietnam Glauben schenken und die Fährte in Saigon aufnehmen solle, als ein chinesisches Mädchen in einem der Büros sagte: »Indocharter? Das ist Captain Marshalls Gesellschaft.« Sie verwies ihn an eine Buchhandlung, wo Charlie Marshall sich mit Lektüre versorgte und seine Post abholte, wenn er in der Stadt war. Auch die Buchhandlung gehörte einem Chinesen, und als Jerry den Namen Marshall erwähnte, lachte der alte Besitzer laut auf und sagte, Charlie sei seit Monaten nicht mehr hiergewesen. Der Alte war sehr klein und feixte über seine sämtlichen falschen Zähne.

»Er Ihnen Geld schulden? Charlie Marshall Ihnen Geld schulden, Ihr Flugzeug in Blüche gefahlen?« Wieder brüllte er vor Lachen, und Jerry stimmte mit ein:

»Super. Großartig. Hören Sie, was machen Sie mit seiner ganzen Post, wenn er nicht herkommt? Schicken Sie sie ihm nach?« Charlie Marshall, er bekam keine Post nicht, sagte der Alte. »Ah, aber, altes Haus, wenn morgen ein Brief kommt, wohin schicken Sie ihn dann?«

Nach Phnom Penh, sagte der Alte, steckte seine fünf Dollar ein und fischte einen Zettel aus seinem Schreibtisch, damit Jerry die Adresse abschreiben konnte.

»Vielleicht sollte ich ihm ein Buch kaufen«, sagte Jerry und sah sich um. »Was liest er gern?«

»Flanzösisch«, sagte der Alte automatisch, führte Jerry nach oben und zeigte ihm sein Allerheiligstes für Euro-Kultur. Für die Engländer Pornographie, in Brüssel gedruckt. Für die Franzosen reihenweise zerfledderte Klassiker: Voltaire, Montesquieu, Hugo. Jerry kaufte ein Exemplar von Candide und steckte es in die Tasche. Wer diesen Raum besuchte war offenbar ex officio eine Berühmtheit, denn der Alte brachte ein Gästebuch zum Vorschein, und Jerry trug sich ein: / Westerby, Presse. In der Spalte für Anmerkungen standen zumeist Witze, also schrieb er »Ein erlesenes Etablissement«. Dann blätterte er zurück und fragte: »Hat sich Charlie Marshall auch hier eingetragen, altes Haus?« Der Alte zeigte ihm Charlie Marshalls Unterschrift mehrere Male - »Adresse: hier«, hatte er geschrieben. »Und was macht sein Freund?«

»Fleund?«

»Captain Ricardo.«

Daraufhin wurde der Alte sehr ernst und nahm ihm sanft das Buch aus der Hand.

Jerry ging hinüber zum Auslandskorrespondenten-Club im Oriental und fand ihn leer bis auf eine Schar Japaner, die soeben aus Kambodscha zurückgekommen waren. Sie teilten ihm den gestrigen Spielstand mit, und er betrank sich ein bißchen. Und als er gerade weggehen wollte, tauchte zu seinem jähen Entsetzen der Zwerg auf, der zwecks Besprechungen mit dem örtlichen Büro in der Stadt war. Er hatte einen Thai-Jungen im Schlepptau und war daher besonders impertinent: »Sieh mal an, Westerby! Na, wie geht's dem Geheimdienst heute?« Diesen Witz machte er faat bei jedem, aber Jerrys Seelenfriede wurde dadurch nicht gefördert. In der Absteige trank er wiederum eine Menge Whisky, doch die Rührigkeit seiner Mitbewohner hielt ihn wach. Schließlich ging er, in Notwehr, hinaus und suchte sich ein Mädchen, ein sanftes kleines Geschöpf aus einer Bar an der Straße, aber als er wieder allein war, kehrten seine Gedanken zu Lizzie zurück. Es half alles nichts, sie war seine Bettgefährtin. Wie weit mochte sie bewußt in die Sache verwickelt sein? Wußte sie, womit sie spielte, als sie Tiu auf Jerry ansetzte? Wußte sie, was Drakes Jungens mit Frost angestellt hatten? Wußte sie, daß Jerry das gleiche passieren konnte? Es ging ihm sogar durch den Sinn, daß sie dabeigewesen sein könnte, als Frost in Behandlung war, und dieser Gedanke entsetzte ihn. Kein Zweifeclass="underline" Frosts Leiche war in seiner Erinnerung noch sehr frisch. Eine seiner schlimmsten Erinnerungen. Um zwei Uhr morgens kam er zu dem Schluß, daß er Fieber haben müsse, er schwitzte und wälzte sich dauernd herum. Einmal hörte er das Geräusch leiser Schritte im Zimmer, warf sich in eine Ecke und hielt eine Tischlampe aus Teakholz, die er aus dem. Sockel gerissen hatte, schlagbereit in der Hand. Um vier Uhr weckte ihn die erstaunliche Geräuschkulisse Asiens: eine Art heiseres Schweinequieken, Glocken, Schreie alter Menschen in extremis, das Krähen von tausend Hähnen hallte in den Korridoren aus Beton und Kacheln. Er kämpfte mit der schadhaften Installation und machte sich an das mühsame Geschäft der Reinigung mit dünn tröpfelndem kaltem Wasser. Um fünf Uhr wurde das Radio zum Wecken auf volle Lautstärke gedreht, und wimmernde asiatische Musik verkündete, daß der Tag ernsthaft begonnen habe. Inzwischen hatte er sich rasiert, als wäre es sein Hochzeitstag, und um acht kabelte er seine Pläne, damit der Circus sie abfangen könne. Um elf bestieg er die Maschine nach Phnom Penh. Als er an Bord der Air Cambodge Caravelle kletterte, wandte ihm die Bodenstewardesse ihr liebliches Gesichtchen zu und wünschte ihm mit melodischem Singsang sehr korrekt einen »guten Frag«. »Danke. Ja. Super«, sagte er und wählte den Platz über der Tragfläche, wo man die meisten Chancen hat. Als sie abhoben, sah er eine Gruppe fetter Tha's auf erstklassigem Rasen direkt neben der Rollbahn lausiges Golf spielen.