Er trug ein ölverschmiertes, weißes kurzärmeliges Hemd und so viel goldene Streifen auf den Achselstücken, daß es in jeder Luftwaffe für einen Viersterne-General gereicht hätte. Zwei amerikanische Kampfabzeichen waren an die Hemdbrust geheftet, inmitten einer erstaunlichen Kollektion von Ordensbändern und kommunistischen roten Sternen. Auf einem der Abzeichen stand »Töte einen Kommi für Christus«, und auf dem anderen »Christus war im Herzen Kapitalist«. Er hielt den Kopf gebeugt und sein Gesicht wurde von seiner riesigen Schiffermütze beschattet, die über seinen Ohren hin und herschwappte. Jerry wartete, bis er aufblickte. Die Kulis schrien Jerry bereits zu, er solle abhauen, nur Charlie Marshall hielt den Kopf hartnäckig gesenkt, während er sein Verzeichnis ergänzte, abhakte und wütend zurückquäkte.
»Captain Marshall, ich schreibe eine Story über Ricardo für eine Londoner Zeitung«, sagte Jerry ruhig. »Ich möchte mit Ihnen bis Phnom Penh fliegen und Ihnen ein paar Fragen stellen.« Während er das sagte, legte er behutsam den Cai dide auf das Warenverzeichnis, und aus dem Buch lugten, diskret aufgefächert, drei Einhundertdollar-Banknoten hervor. Wenn man will, daß jemand in eine bestimmte Richtung schaut, sagt die Zauberlehrlingsschule in Sarratt, muß man ihn immer in die andere weisen.
»Ich habe gehört, Sie mögen Voltaire«, sagte er.
»Ich mag überhaupt niemand«, erwiderte Charlie Marshall in heiserem Falsett und beugte sich noch tiefer über sein Verzeichnis, so daß ihm die Mütze noch weiter ins Gesicht rutschte. »Ich hasse die ganze menschliche Rasse, hören Sie?« Trotz des chinesischen Tonfalls war seine Schmährede eindeutig frankoamerikanisch. »Herrgott, ich hasse die Menschheit so verdammt gründlich, daß sie sich endlich selber in die Luft sprengen muß, wenn ich mir nicht aus eigener Tasche ein paar Bomben anschaffe und es persönlich erledige!«
Er hatte sein Publikum verloren. Jerry war schon halbwegs die Eisenleiter hinauf, ehe Charlie Marshall seine Absichtserklärung beendet hatte.
»Voltaire hat keinen blauen Dunst begriffen!« plärrte er den nächsten Kuli an. »Er hat den ganz falschen Krieg ausgefochten, hörst du? Leg's dort drüben hin, du faules Stinktier und hol dir das nächste! Depeche-toi, cretin, oui?«
Aber er stopfte den Voltaire dennoch in die hintere Tasche seiner ausgebeulten Hose.
Im Inneren des Flugzeugs war es dunkel, geräumig und kühl wie in einer Kathedrale. Die Sitze waren ausgebaut worden. An den Wänden waren grüne Regale auf durchlöcherten Längsstangen wie aus einem Stabilbaukasten montiert. Von der Decke baumelten Schweinekadaver und tote Perlhühner. Die übrige Ladung war die Gangway entlang gestaut, angefangen vom Schwanzende - was Jerry ein mulmiges Gefühl bereitete, wenn er an den Start dachte -, und bestand aus Obst, Gemüse und jenen Rupfensäcken, die Jerry in den Armeelastwagen bereits gesehen hatte. Jetzt waren sie säuberlich mit »Getreide«, »Reis«, »Mehl« in so großen Buchstaben beschriftet, daß sie sogar der kurzsichtigste Drogenfahnder lesen konnte. Aber der süßliche Geruch nach Hefe und Sirup, der sich bereits im Laderaum ausgebreitet hatte, bedurfte keiner Etikettierung. Ein paar Säcke dienten als Sitze für Jerrys Mitreisende. Da waren vor allem zwei ernste Chinesen, sehr ärmlich in Grau gekleidet, aus deren Uniformität und strenger Überlegenheit Jerry sofort auf Fachleute irgendwelcher Art schloß. Er erinnerte sich an Sprengmeister und Entschärfervirtuosen, die er gelegentlich ins Kampfgebiet oder heraus befördert hatte, ohne ihren Dank zu ernten. Dann, in respektvollem Abstand, vier bis an die Zähne bewaffnete Bergbewohner, die rauchten und aus ihren Reisschalen spachtelten. Jerry tippte auf Miaos oder Leute aus den Shan-Staaten an der Nordgrenze, wo Charlie Marshalls Vater seine Armee hatte. Aus ihrer ungezwungenen Haltung schloß er, daß sie zur ständigen Mannschaft gehörten. Die VIPs saßen getrennt von den gewöhnlichen Passagieren: der Artillerieoberst höchstselbst, der so zuvorkommend Transport und Eskorte gestellt hatte, und sein Kompagnon, ein höherer Zollbeamter, ohne den das Ganze nicht geklappt hätte. Sie thronten auf eigens aufgestellten Sesseln königlich in der Gangway, sahen voll Stolz beim Beladen zu, das noch immer nicht beendet war, und trugen, wie es die festliche Gelegenheit erheischte, ihre beste Uniformen.
Und noch ein Mann war mit von der Partie. Er hockte allein im Heck hoch droben auf den Kisten, so daß sein Klbpf fast an die Decke stieß. Es war unmöglich, ihn im einzelnen auszumachen. Er trug eine Fidel-Castro-Kappe und einen Vollbart. An den dunklen Armen funkelten goldene Kettenglieder, damals bei jedermann (außer bei denen, die sie trugen) als CIA-Armbänder bekannt, da man optimistischerweise annahm, ein Mann, der in Feindesland in der Patsche saß, könne sich den Weg in die Sicherheit dadurch erkaufen, daß er jeweils ein Kettenglied herausrückte. Aber die Augen des Mannes, die Jerry über den wohlgeölten Lauf einer automatischen AK 47 hinweg fixierten, blickten starr und klar. »Er hat durch den Einstieg auf mich gezielt«, dachte Jerry. »Er hat mich schon aufs Korn genommen, als ich den Lagerschuppen verließ.«
Die beiden Chinesen waren Köche, befand er in einer plötzlichen Eingebung: Köche, wie man in der Unterwelt die Chemiker nennt. ; Keller hatte gesagt, die Air-Opium-Gesellschaften seien dazu übergegangen, die Rohsubstanz einzufliegen und in Phnom Penh aufbereiten zu lassen, aber sie müßten Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit die Köche sich bereit fänden, herzukommen und unter Belagerungsbedingungen zu arbeiten. »He, Sie, Voltaire!«
Jerry lief an die Ladeluke. Als er hinunterschaute, sah er die alten Bauersleute am Fuß der Leiter stehen, während Charlie Marshall versuchte, des Schweins habhaft zu werden und die alte Frau die eiserne Leiter hinaufzuschieben.
»Wenn sie raufkommt, dann langen Sie raus und packen sie, verstanden?« rief er und hielt das Schwein umarmt. »Sie fällt runter, bricht sich den Arsch, und wir haben noch mehr Scherereien mit diesen Niggern. Sind Sie vielleicht auch so ein verdammter Rauschgiftzwerg, Voltaire?«
»Nein.«
»Gut, also Sie packen die Alte richtig fest, verstanden?« Die alte Frau machte sich an den Aufstieg. Nach ein paar Sprossen fing sie an zu lamentieren, und Charlie Marshall klemmte sich das Schwein unter den Arm, versetzte ihr eins auf den Hintern und schrie sie auf chinesisch an. Ihr Mann kletterte hinter ihr her, und Jerry hievte beide sicher an Bord. Schließlich tauchte Charlie Marshalls Clownskopf im Einstieg auf, und obwohl die Mütze das Gesicht fast verdeckte, konnte Jerry doch einen ersten Blick darauf erhaschen: ausgemergelt und braun, mit schläfrigen chinesischen Augen und einem großen französischen Mund, der sich nach allen Seiten verzog, wenn er quakte. Charlie schob das Schwein durch die Luke, Jerry packte es und schleppte das quiekende und strampelnde Tier zu den alten Bauersleuten. Dana zog sich Charlies fleischloses Gestell an Bord wie eine Spinne, die aus einem Abfluß klettert. Sofort erhoben sich der Zollbeamte und der Artillerieoberst, staubten die Hosenböden ihrer Uniformen ab und begaben sich eiligen Schritts die Gangway entlang zu dem Mann mit der Castro-Kappe, der im Halbdunkel auf den Versandkisten hockte. Als sie bei ihm angelangt waren, warteten sie respektvoll, wie Kirchendiener, die den Klingelbeutel zum Altar zurücktragen.