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»Okay.«

»Aber er schickt trotzdem einen verdammt langen persönlichen Brief an Drake Ko.«

Charlie Marshall holte so tief und so lang Atem, als könnte seine schmale Brust nicht genug Luft für ihn kriegen. »Diese Lizzie. Tolle Frau, Lizzie, sie geht selber persönlich zu Drake Ko. Auch auf sehr privater Basis. Und sie sagt zu ihm: >Mr. Ko, Sie müssen Ric aus seinem Malheur helfen.< Das hier ist eine sehr kitzlige Situation, Voltaire. Wir alle müssen fest zusammenhalten, oder wir fallen runter von dem blöden Berg, verstanden? Voltaire, lassen Sie mich los. Ich bitt' Sie! Ich fleh' Sie direkt an um Gottes willen, je m'abime, hören Sie? Das ist alles, was ich weiß!« Während Jerry ihn beobachtete, seinen gequälten Ausbrüchen lauschte, sah, wie er zusammenklappte, einen Anlauf nahm, wieder schlappmachte und der nächste Anlauf mäßiger ausfiel, hatte er das Gefühl, Zeuge der letzten Zuckungen eines gemarterten Freundes zu sein. Seine instinktive Regung war, Charlie langsam weiterzulotsen und ihn abschweifen zu lassen soviel er wollte. Sein Dilemma war, daß er nicht wußte, wieviel Zeit noch blieb, bis passierte, was immer mit einem Süchtigen passieren mochte. Er stellte Fragen, aber meist schien Charlie sie gar nicht zu hören. Dann wieder beantwortete er offenbar Fragen, die Jerry überhaupt nicht gestellt hatte. Und manchmal warf ein mit Verzögerung arbeitender Mechanismus die Antwort auf eine Frage aus, die Jerry längst abgeschrieben hatte. In Sarratt sagten sie, ein gebrochener Mann sei gefährlich, denn er zahle dir Geld, das er nicht habe, nur um deine Liebe zu erkaufen. Aber ganze kostbare Minuten hindurch konnte Charlie überhaupt nichts zahlen.

»Drake Ko war nie in seinem Leben in Vientiane!« schrie Charlie plötzlich. »Sie verrückter Voltaire! Ein großer Mann wie Ko und macht sich in einem asiatischen Drecknest zu schaffen? Drake Ko ist ein Philosoph, Voltaire! Den Jungen sollten Sie sich genau ansehn!« Wie es schien, war jeder ein Philosoph - oder jeder, außer Charlie Marshall. »In Vientiane hat niemand auch nur den Namen Ko gehört! Verstanden, Voltaire?« Dann weinte Charlie Marshall und ergriff Jerrys Hände und fragte unter Schluchzen, ob Jerry auch einen Vater gehabt habe. »Ja, altes Haus, hab' ich gehabt«, sagte Jerry geduldig. »Und er war auf seine Art auch ein General.«

Zwei weiße Leuchtkugeln ergossen jähes Tageslicht über den Fluß und lösten in Charlie Marshall die Erinnerung an die Mühsal ihrer gemeinsamen Anfänge in Vientiane aus. Er setzte sich kerzengerade aufrecht und zeichnete den Aufriß eines Hauses in den Dreck, Hier haben Lizzie und Ric und Charlie Marshall gewohnt, sagte er stolz: in einer stinkenden Flohhütte am Stadtrand, einer so lausigen Bude, daß sogar die Gekkos krank wurden. Ric und Lizzi hatten die Fürstensuite, will heißen, das einzige Zimmer, das die Flohhütte enthielt, und Charlies Aufgabe bestand darin, ihnen nicht in die Quere zu kommen und die Miete zu zahlen und den Schnaps zu besorgen. Aber die Rückschau auf ihre schrecklich wirtschaftliche Lage bewegte Charlie plötzlich zu einem erneuten Tränenausbruch.

»Und wovon habt ihr dann gelebt, altes Haus?« fragte Jerry, ohne sich von der Frage etwas zu erhofften. »Na los. Jetzt ist's vorbei. Wovon habt ihr gelebt?«

Noch mehr Tränen, während Charlie eine monatliche Zuwendung von seinem geliebten und verehrten Vater eingestand.

»Diese verrückte Lizzie«, sagte Charlie tief bekümmert, »diese verrückte Lizzie, die macht Trips nach Hongkong für Mellon.« Mit Mühe unterdrückte Jerry seine Erregung, um Charlie nicht aus dem Tritt zu bringen.

»Mellon. Wer ist dieser Mellon?« fragte er. Aber der sanfte Tonfall machte Charlie schläfrig und er fing an, mit dem Haus im Dreck zu spielen, zeichnete einen Kamin und Rauch hinzu.

»Los, verdammt nochmal! Mellon. Mellon!« schrie Jerry ihm 1 direkt ins Gesicht und versuchte, ihm durch den Schock die Antwort zu entringen. »Mellon, du ausgeflipptes Wrack! Trips  nach Hongkong!« Er zog Charlie auf die Füße und schüttelte ihn wie eine Lumpenpuppe, aber er mußte sehr lang schütteln, bis die Antwort herauskam, und inzwischen beschwor Charlie Marshall ihn, doch zu begreifen, wie es sei, wenn man liebe, wirklich liebe, eine verrückte rundäugige Nummer, und dabei wisse, daß man sie nie kriegen würde, nicht mal für eine Nacht. Mellon sei ein schmieriger englischer Kaufmann gewesen, niemand habe gewußt, was er eigentlich tat. Ein bißchen dies, ein 1 bißchen das, sagte Charlie. Die Leute hatten Angst vor ihm. Mellon sagte, er könne Lizzie ins große Heroingeschäft bringen. »Mit Ihrem Paß und Ihrer Figur«, hatte Mellon offenbar zu ihr gesagt, »können Sie in Hongkong ein- und ausgehen wie eine Prinzessin.«

Erschöpft sank Charlie zu Boden und kauerte sich vor seinem Haus nieder. Jerry hockte sich neben ihn und packte Charlies Kragen, vorsichtig, um ihm nicht wehzutun.

»Das hat sie also für ihn getan, wie, Charlie? Lizzie hat für Mellon Stoff transportiert.« Mit der Handfläche drehte er behutsam Charlies Kopf herum, bis die blicklosen Augen direkt in die seinen starrten.

»Lizzie tut's nicht für Mellon, Voltaire«, verbesserte Charlie ihn. »Lizzie tut's für Ricardo. Lizzie liebt nicht Mellon. Sie liebt Ric und mich.«

Charlie starrte düster auf das Haus hinunter und brach unvermittelt in heiseres schmutziges Lachen aus, das er nach einiger Zeit kommentarlos wieder einstellte.

»Du hast es vermurkst, Lizzie!« rief Charlie tadelnd und stach mit dem Finger in die Haustür. »Du hast es vermurkst, wie üblich, Herzchen! Du redest zu viel. Warum sagst du allen, du bist die Königin von England? Warum sagst du jedem, du bist große Spionierdame? Mellon wird sehr sehr böse auf dich, Lizzie. Mellon wirft dich raus, glatt raus auf deinen Hintern. Ric wird auch ganz schön böse, weißt du noch? Ric verdrischt dich, und Charlie muß dich mitten in der verdammten Nacht zum Doktor bringen, weißt du noch? Du hast eine verteufelt große Klappe, Lizzie, hörst du? Du bist meine Schwester, aber du hast die verdammt größte Klappe von der Welt!« Bis Ricardo sie ihr geschlossen hat, dachte Jerry und sah die tiefen Narben an ihrem Kinn vor sich. Weil sie das Geschäft mit Mellon verpatzt hatte.

Während er noch immer neben Charlie hockte und ihn am Genick gepackt hielt, beobachtete Jerry, wie die Welt um ihn versank und an ihrer Stelle sah er Sam Collins unterhalb von Star Heights im Auto sitzen, mit freiem Ausblick auf die achte Etage, während er um elf Uhr nachts die Rennseite der Zeitung studierte. Nicht einmal das Aufplumpsen einer Rakete, die ziemlich nah niederging, konnte diese gespenstische Vision verscheuchen. Auch hörte er über das Donnern der Mörser hinweg Craws Stimme, die sich über das Thema von Lizzies Kriminalität ausließ. Wenn Ebbe in der Kasse war, hatte Craw gesagt, schickte Ricardo sie mit kleinen Päckchen über die Grenzen.

Und wie hat das die Stadt London erfahren, Ehrwürden - hätte er Old Craw gern gefragt -, wenn nicht von Sam ColJins, alias Mellon persönlich?

Ein dreißig Sekunden dauernder Wolkenbruch hatte Charlies in den Schmutz gekratztes Haus weggewaschen, und er war wütend darüber. Er patschte auf allen vieren herum und suchte es, schluchzte und fluchte wie ein Besessener. Der Anfall ging vorüber, und er fing wieder an, von seinem Vater zu sprechen und wie der alte Mann seinem unehelichen Sohn eine Anstellung bei einer angesehenen Luftfahrtgesellschaft in Vientiane verschafft hatte - obwohl Charlie damals die Fliegerei überhaupt hatte aufstecken wollen, weil seine Nerven nicht mehr mitmachten. Eines Tages hatte der General offenbar die Geduld mit seinem Charlie verloren. Er. trommelte seine Leibgarde zusammen und j stieg von seinem Horst in den Shangebirgen in eine kleine Opiumstadt namens Fang herab, unweit der Grenze innerhalb von Thailand. Dort blies der General Charlie den Marsch wegen seines verschwenderischen Wandels, wie es die Patriarchen auf der ganzen Welt tun.