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Nachdem so eine Stunde vertan war, brausten sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in südöstlicher Richtung über ebenes Ackerland. Der Junge ließ fünfmal »The lights are always out in Massachussetts« spielen, ehe Jerry ihn bat, aufzuhören.

Die Straße war geteert, aber unbefahren. Nur dann und wann kroch ein gelber Bus mit Schlagseite bergab auf sie zu, und sofort gab der Fahrer Gas und blieb auf der Mitte der Straße, bis der Bus um einen Fußbreit nachgegeben hatte und vorbeigedonnert war. Einmal nickte Jerry ein und schrak jäh durch das Krachen eines Bambuszauns auf, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie eine Fontäne von Splittern genau vor ihnen ins Sonnenlicht hochschoß und ein Lastwagen langsam in den Straßengraben rollte. Er sah, wie die Tür hochflog wie ein Laubblatt, der Fahrer hinterher und durch den Zaun und in das hohe Gras. Der Junge hatte nicht einmal das Gas weggenommen, obwohl er so lachen mußte, daß sie im Zickzack über die Straße schlingerten. Jerry schrie »Stopp!«, aber der Junge wollte davon nichts wissen. »Wollen Sie Blut auf den Anzug kriegen? Lassen Sie das den Doktors«, verwies er ihn streng. »Ich kümmere mich um Sie, okay? Dies hier sehr schlimmes Land. Menge Kommis.«

»Wie heißen Sie?« sagte Jerry resigniert. Der Name war unaussprechlich, also einigten sie sich auf Mickey. Zwei weitere Stunden vergingen, bis sie an die erste Absperrung kamen. Jerry döste wieder vor sich hin und probte seinen Part. Immer kommt nochmals eine Tür, in die man den Fuß stellen muß, dachte er. Er fragte sich, ob der Tag kommen würde - für der Circus, für das Comic -, an dem der alte Alleinunterhalter mit seinen Spaßen auf der Strecke bleiben würde: an dem der bloße Kraftaufwand, sich über die Schwelle zu mogeln, ihn fertig machen und er mit schlotternden Knien dastehen würde, sein freundliches Vertreterlächeln zur Schau tragen, während ihm die Worte in der Kehle stecken blieben. Lieber Gott, nicht diesmal, bitte.

Sie hielten, und ein junger Mönch kam unter den Bäumen hervorgeschusselt und hielt eine Schale hin, und Jerry ließ einige baht hineinfallen. Mickey öffnete den Kofferraum. Ein Polizeiposten linste hinein, befahl Jerry sodann, auszusteigen, und führte ihn zu einem Captain, der allein in einer schattigen Hütte saß. Der Captain ließ sich lange Zeit, ehe er Jerry überhaupt zur Kenntnis nahm.

»Er fragt, Sie Amerikaner?« sagte Mickey. Jerry zeigte seine Papiere vor.

Jenseits der Schranke lief die tadellose Teerstraße schnurgerade über das flache Buschland.

»Er sagt, was Sie hier wollen?« sagte Mickey.

»Geschäfte mit dem Colonel.«

Auf der Weiterfahrt kamen sie an einem Dorf und einem Kino vorbei. Sogar die neuesten Streifen hier sind noch Stummfilme, erinnerte sich Jerry. Er hatte einmal darüber geschrieben. Einheimische Schauspieler lieferten die Stimme und erfanden irgendeinen Text, der ihnen gerade einfiel. Er erinnerte sich an John Wayne mit quäkender Thai-Stimme, das Publikum raste, und der Dolmetscher erläuterte ihm, es handle sich um eine Imitation des Bürgermeisters, der eine stadtbekannte Tunte sei. Sie durchfuhren Wälder, aber zu beiden Seiten der Straße waren Streifen von fünfzig Yards Breite gerodet worden, um die Gefahr eines Hinterhalts zu verringern. Manchmal fuhren sie an scharf gezogenen weißen Linien entlang, die nichts mit dem Straßenverkehr zu tun hatten. Die Straße war von den Amerikanern im Hinblick auf eventuelle Landemöglichkeiten angelegt worden. »Kennen Sie diesen Colonel?« fragte Mickey. »Nein«, sagte Jerry.

Mickey lachte entzückt. »Warum wollen Sie ihn?« Jerry gab keine Antwort.

Die zweite Straßensperre kam nach zwanzig Meilen, inmitten eines kleinen Dorfs, das für die Polizei geräumt worden war. Eine Gruppe grauer Lastwagen stand im Hof des wat, vier Jeeps waren neben der Schranke geparkt. Das Dorf lag an einer Kreuzung. Im rechten Winkel zu ihrer Straße lief ein Feldweg quer über die Ebene und wand sich zu beiden Seiten bergan. Diesmal ergriff Jerry die Initiative. Er sprang sofort aus dem Wagen und rief forsch: »Bringen Sie mich zu Ihrem Chef!« Als ihr Chef erwies sich ein nervöser junger Captain mit dem finsteren Gesichtsausdruck eines Mannes, der sich alles vom Hals halten möchte, was über seine Erfahrung hinausgeht. Er saß im Wachlokal und hatte die Pistole vor sich auf dem Schreibtisch liegen. Das Wachlokal war nur behelfsmäßig, wie Jerry feststellte. Durchs Fenster sah er die zerbombte Ruine, die vermutlich das frühere gewesen war. »Mein Colonel ist ein sehr beschäftigter Mann«, erklärte der Captain über Mickey, den Fahrer. »Er ist auch ein sehr tapferer Mann«, sagte Jerry. Es folgte eine längere Pantomime, bis sie das Wort »tapfer« ausgedeutet hatten.

»Er hat viele Kommunisten erschossen«, sagte Jerry. »Meine Zeitung möchte über diesen tapferen Thai-Colonel berichten.« Der Captain redete längere Zeit, und plötzlich begann Mickey, vor Lachen zu brüllen.

»Der Captain sagen, wir haben keine Kommis nicht. Wir haben bloß Bangkok. Arme Leute hier herum, wissen nichts, weil Bangkok keine Schulen, also kommen die Kommis bei Nacht zu ihnen, rechen mit ihnen, sagen, alle ihre Söhne gehen alle nach Moskau und lernen große Doktors, und so haben sie Polizeistation in die Luft gesprengt.«

»Wo kann ich den Colonel finden?«

»Captain sagen, wir bleiben hier.«

»Wird er den Colonel bitten, zu uns zu kommen?«

»Colonel sehr beschäftigter Mann.«

»Wo ist der Colonel?«

»Er nächstes Dorf.«

»Wie heißt das nächste Dorf?«

Wiederum brach der Fahrer vor Lachen fast zusammen.

»Es heißt gar nicht. Ganzes Dorf ganz tot.«

»Wie hat das Dorf geheißen, als es noch nicht tot war?«

Mickey nannte den Namen.

»Ist die Straße bis zu diesem toten Dorf frei?«

»Captain sagen, militärisches Geheimnis. Das heißt, er weiß es nicht.«

»Wird der Captain uns hinfahren lassen?« fragte Jerry. Ein langes Palaver folgte.

»Klar«, sagte Mickey endlich. »Er sagen, wir gehen.«

»Wird der Captain an den Colonel funken und ihm sagen, daß wir kommen?«

»Colonel sehr beschäftigter Mann.«

»Wird er ihm funken?«

»Klar«, sagte der Fahrer, als könne nur ein widerlicher farang von einer solchen selbstverständlichen Kleinigkeit soviel Wesens machen.

'Sie stiegen wieder ein. Der Schlagbaum ging hoch, und sie fuhren weiter auf der tadellosen Teerstraße mit den gerodeten Seitendämmen und den aufgemalten Landestreifen. Zwanzig Minuten lang fuhren sie, ohne auf irgend etwas Lebendiges zu stoßen, aber Jerry war die Leere nicht geheuer. Er hatte gehört, auf jeden bewaffneten kommunistischen Guerilla in den Bergen kämen fünf in den Ebenen, die den Reis und die Munition beschafften und den Nachschub sicherten, und dies hier war die Ebene. Sie kamen zur Einmündung einer Landstraße zu ihrer Rechten, und das Erdreich war über den Teer verstreut, also war die Landstraße erst kürzlich befahren worden. Mickey bog in den Weg ein, folgte den tiefen Reifenspuren und ließ trotz Jerrys Einspruch »The lights are always out in Massachussetts« in voller Lautstärke spielen. »Dann glauben die Kommis, wir viele Leute«, erklärte er unter lautem Lachen. Zu Jerrys Überraschung brachte er aus der Tasche unter seinem Sitz eine riesige langläufige 0.45er Pistole zum Vorschein. Jerry befahl ihm barsch, die Waffe wieder verschwinden zu lassen. Bald darauf kam der Brandgeruch, dann fuhren sie durch Holzrauch, dann erreichten sie, was von dem Dorf noch übriggeblieben war: Grüppchen verängstigter Menschen, ein paar  Morgen verbrannter Teakbäume, die wie ein versteinerter Wald aussahen, drei Jeeps, einige zwanzig Polizisten und in ihrer Mitte einen untersetzten Lieutenant-Colonel. Dörfler wie Polizisten starrten auf einen sechzig Yards entfernten, schwelenden Aschenhaufen, aus dem einige verkohlte Balken die Umrisse der abgebrannten Häuser andeuteten. Der Colonel beobachtete, wie Jerry und der Fahrer ausstiegen und herüberkamen. Er war ein Kämpfer. Jerry sah das sofort. Er war vierschrötig und kräftig und blickte ihnen weder lächelnd noch drohend entgegen. Seine Gesichtshaut war dunkel, das Haar ergrauend, und wenn sein Körper weniger dick gewesen wäre, hätte er Malaye sein können. Er trug Fallschirmspringerabzeichen und Fliegerabzeichen und mehrere Reihen Ordensbänder, einen Kampfanzug und eine Automatic im Lederhalfter am rechten Schenkel. Die Verschlußlasche hing offen.