Eine südamerikanische Stimme, tief und samtig aus dem Dunkel über ihm.
»Ich möchte Drake Ko erpressen. Schätze, wir zwei beide könnten ihn um ein paar Millionen Dollar erleichtern, und Sie könnten sich Ihre Freiheit erkaufen.«
In der schwarzen Öffnung der Falltür sah Jerry einen Gewehrlauf, gleich einem Zyklopenauge, das ein paarmal blinzelte und dann den Blick wieder fest auf ihn richtete.
»Jeder«, rief Jerry. »Zwei für Sie, zwei für mich. Ich hab' den Plan fix und fertig. Mit meinem Verstand und Ihrem Wissen und Lizzies Worthingtons Figur kann gar nichts schiefgehen.« Er begann, langsam die Stufen hinaufzusteigen. Voltaire, dachte er: wenn es darum ging, Nachrichten zu verbreiten, fackelte Charlie Marshall nicht lange. Und was das andere anging, nämlich daß er bereits tot sei, das war nur eine Frage der Zeit, dachte er.
Als Jerry durch die Falltür kletterte, kam er vom Dunkeln ins Helle, und die südamerikanische Stimme sagte: »Bleiben Sie dort.« Jerry tat, wie ihm geheißen. Von seinem Standort aus konnte er den Raum überblicken, der eine Mischung aus einem kleinen Waffenmuseum und einem amerikanischen PX darstellte. Auf dem Mitteltisch stand auf einem Dreifuß eine AK 47, ähnlich der, aus der Ricardo ihn schon einmal beschossen hatte, und wie Jerry vermutet hatte, gaben die vier Fenster das Feuer nach allen Richtungen frei. Trotzdem waren für alle Fälle ein paar Reservewaffen bereit, und neben jeder lag ein hübscher Haufen Munition. Granaten lagen herum wie Obst, in Bündeln zu drei oder vier Stück, und auf der scheußlichen Walnuß-Hausbar unter einer Madonnenstatue aus Plastik lag ein Sortiment von Pistolen und Maschinenpistolen für jede Gelegenheit. Es war nur ein einziger Raum, aber er war groß und enthielt ein niedriges Bett in einem Rahmen mit japanischer Lackmalerei, und Jerry überlegte einen albernen Augenblick lang, wie zum Teufel Ricardo das Ding jemals in seine Beechcraft gebracht hatte. Er sah zwei Kühlschränke und eine Eismaschine, und er sah mühsam gepinselte Ölgemälde nackter Thai-Mädchen, gemalt mit jener Ungenauigkeit im erotischen Detail, die im allgemeinen eine mangelnde Vertrautheit mit dem Sujet verrät. Er sah einen Aktenschrank mit einer Luger obendrauf, und ein Regal mit Büchern über Gesellschaftsrecht, Internationales Steuerrecht und Sexualtechniken. An den Wänden hingen mehrere Heiligenfiguren aus einheimischer Schnitzarbeit, die Jungfrau Maria und das Jesuskind. Auf dem Fußboden stand ein Ruderapparat mit Gleitsitz zum Fitness-Training.
Inmitten all dieser Requisiten saß, in fast der gleichen Haltung wie damals, als Jerry ihn zum erstenmal gesehen hatte, Ricardo auf einem Direktorendrehsessel. Er trug seine CIA-Armbänder, einen Sarong und ein goldenes Kreuz auf der schönen bloßen Brust. Sein Bart war weit weniger üppig als beim letztenmal, und Jerry vermutete, daß die Mädchen ihn gestutzt hatten. Er trug keine Kopfbedeckung, und das krause schwarze Haar war im Nacken mit einem kleinen goldenen Ring zusammengefaßt. Er war breitschultrig und muskulös, und seine Haut war gebräunt und ölig, die Brust dicht behaart.
Neben seinem Ellbogen standen eine Flasche Whisky und ein Krug mit Wasser, aber kein Eis, denn es gab keinen Strom für die Kühlschränke.
»Bitte nehmen Sie das Jackett ab, Voltaire«, befahl Ricardo. Jerry gehorchte, und mit einem Seufzer stand Ricardo auf, nahm eine Automatic vom Tisch und umkreiste Jerry langsam, begutachtete seinen Körperbau genau, während er ihn sanft nach Waffen abtastete.
»Spielen Sie Tennis?« fragte er, während er hinter Jerry stand und ihm mit einer Hand sehr leicht den Rücken entlangfuhr. »Charlie sagt, Sie haben Muskeln wie ein Gorilla.« Aber Ricardo stellte Fragen eigentlich immer nur an sich selber. »Ich spiele sehr gern Tennis. Ich bin ein äußerst guter Spieler. Ich gewinne immer. Hier habe ich leider wenig Gelegenheit.« Er setzte sich wieder. »Manchmal muß man sich bei den Feinden verstecken, um vor den Freunden sicher zu sein. Ich reite, boxe, schieße, ich habe Preise gewonnen, ich fliege eine Maschine, ich weiß eine Menge vom Leben, ich bin hochintelligent, aber aufgrund unvorhergesehener Umstände lebe ich im Dschungel wie ein Affe.« Die Automatic lag lässig in seiner Linken. »Ist das, was Sie einen Paranoiker nennen würden, Voltaire? Jemand, der jeden für seinen Feind hält?«
»Das dürfte es wohl sein.«
Um den altbekannten Satz zu sprechen, legte Ricardo einen Finger auf die bronzebraune ölglänzende Brust: »Nun, dieser Paranoiker hier hat wirklich Feinde«, sagte er. »Mit zwei Millionen Dollar«, sagte Jerry, der noch immer dort stand, wo Ricardo ihn hatte stehenlassen, »könnte man vermutlich die meisten ausschalten.«
»Voltaire, ich muß Ihnen ehrlich sagen, ich betrachte Ihren geschäftlichen Vorschlag als Scheiß.«
Ricardo lachte. Das hieß, er stellte die prächtigen weißen Zähne hinter dem frischgestutzten Bart zur Schau, ließ die Bauchmuskeln ein bißchen spielen und hielt den Blick starr auf Jerrys Gesicht gerichtet, während er seinen Whisky trank. Er hat seine Instruktionen, dachte Jerry, genau wie ich. Wenn er auftaucht, dann horchst du ihn aus, hatte Tiu zweifellos gesagt. Und wenn Ricardo ihn ausgehorcht hatte - was dann? »Ich habe wirklich geglaubt, Sie hätten einen Unfall gehabt, Voltaire«, sagte Ricardo traurig und schüttelte den Kopf, als beklagte er die Unzuverlässigkeit seiner Information. »Möchten Sie was trinken?«
»Danke, ich bediene mich«, sagte Jerry. Die Gläser waren in einem Schränkchen, lauter verschiedene Farben und Formate. Jerry ging gemessenen Schritts hinüber und nahm sich einen hohen rosa Becher mit einem bekleideten Mädchen außen drauf und einem nackten Mädchen innen drin. Er goß ein paar Fingerbreit Whisky hinein, ein bißchen Wasser dazu und setzte sich Ricardo gegenüber an den Tisch, während Ricardo ihn interessiert beobachtete.
»Trainieren Sie, Gewichtheben oder sonstwas?« erkundigte er sich liebenswürdig.
»Nur Flaschenstemmen«, sagte Jerry.
Ricardo lachte unbändig und musterte Jerry dabei unentwegt sehr genau mit seinen flackernden Schlafzimmeraugen. »Das war wirklich sehr häßlich, was Sie mit dem kleinen Charlie gemacht haben, wissen Sie das? Es gefällt mir nicht, daß Sie meinen Freund im Dunkeln festhalten, wenn er seinen Stoff braucht. Charlie wird lang brauchen, bis er sich davon wieder erholt hat. So freundet man sich nicht mit Charlies Freunden an, Voltaire. Es heißt, Sie haben sich sogar gegen Mr. Ko schlecht benommen. Meine kleine Lizzie zum Dinner ausgeführt. Stimmt das?«
»Ich hab' sie zum Dinner ausgeführt.«
»Und sie gefickt?«
Jerry gab keine Antwort. Ricardo brach wiederum in Lachen aus, das so jäh aufhörte, wie es begonnen hatte. Er trank einen langen Schluck Whisky und seufzte.
» Well, ich hoffe nur, sie ist dankbar, sonst nichts.« Plötzlich war er der ach so mißverstandene Mann. »Ich verzeihe ihr. Okay? Wenn Sie Lizzie wiedersehen: sagen Sie ihr, ich, Ricardo, verzeihe ihr. Ich bilde sie aus. Ich bringe sie auf den rechten Weg. Ich bringe ihr eine Menge bei, Kunst, Kultur, Politik, Geschäft, Religion, ich bringe ihr bei, was sie im Bett kann, und ich schicke sie in die Welt'. Wo würde sie sein, ohne meine Verbindungen? Sie würde mit Ricardo im Dschungel leben, wie ein Affe. Sie verdankt mir alles. Pygmalion: kennen Sie den Film? Well, ich bin der Professor. Ich lehre sie ein paar Dinge - verstehen Sie, was ich meine? -, ich lehre sie, was nur Ricardo sie lehren kann. Sieben Jahre in Vietnam. Zwei Jahre in Laos. Viertausend Dollar im Monat von der CIA, und ich bin Katholik. Glauben Sie, ich kann sie nicht ein paar Dinge lehren? Dieses Mädchen von nirgendwo her, diese englische Schneegans? Sie hat einen Jungen, wissen Sie das? Einen kleinen Jungen in London. Hat ihn einfach sitzenlassen, stellen Sie sich das vor. Sowas will eine Mutter sein! Schlimmer als eine Hure.«