Выбрать главу

Jerry fiel nichts dazu ein. Er blickte auf die beiden großen Ringe, die Seite an Seite an den mittleren Fingern von Ricardos schwerer rechter Hand steckten, und verglich sie im Geist mit den Zwillingsnarben an Lizzies Kinn. Es war ein Schlag von oben nach unten, dachte er, ein regelrechter Abwärtshaken, während sie vor ihm stand. Ein Wunder, daß er ihr nicht den Kiefer gebrochen hatte. Vielleicht hatte er ihn ihr auch wirklich gebrochen, und die Reparatur war besonders geglückt.

»Sind Sie auf einmal taub, Voltaire? Ich hab' gesagt, ich möchte mir Ihren geschäftlichen Vortrag anhören. Ganz unvoreingenommen, ja? Nur daß ich kein Wort davon glaube.« Jerry goß sich noch einen Whisky ein: »Ich dachte, wenn Sie mir vielleicht erzählen würden, was Drake Ko damals wollte, als Sie für ihn flogen, und wenn Lizzie mich mit Ko zusammenbringen könnte, und wenn wir nicht versuchen, einander übers Ohr zu hauen, dann hätten wir gute Aussichten, ihn kräftig zu rupfen.« Als er es laut sagte, klang es sogar noch lahmer als bei seinen Rollenproben, aber es war ihm ziemlich egal. »Sie sind verrückt, Voltaire. Verrückt. Sie phantasieren sich was zusammen.«

»Nicht, wenn Ko Sie wirklich, in seinem Auftrag zum chinesischen Festland fliegen ließ, dann nicht. Ko kann meinetwegen ganz Hongkong besitzen, aber falls der Gouverneur jemals von diesem kleinen Ausflug erfahren sollte, dann dürfte es zwischen ihm und Ko über Nacht aus sein mit der Freundschaft. Das wäre das eine. Es gibt noch mehr.«

»Was reden Sie da, Voltaire? China-? Was soll dieser Unsinn? Das chinesische Festland?« Er zuckte die schimmernden Schultern, trank und feixte dabei in sein Glas. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Voltaire. Sie reden wie ein Mann ohne Kopf. Wie kommen Sie darauf, daß ich für Ko nach China geflogen bin? Grotesk. Lächerlich.«

Als Lügner, fand Jerry, war Ricardo noch ungefähr drei Plätze auf der Landesligaliste unter Lizzie, und das wollte etwas heißen. »Mein Verleger ist darauf gekommen, altes Haus. Mein Verleger ist ein alter Fuchs. Eine Menge einflußreiche Freunde, alles Leute, die sich auskennen. Sie sagen ihm so allerlei. Jetzt zum Beispiel hat mein Verleger ganz entschieden das Gefühl, daß Sie nicht lang nach Ihrem so tragischen Tod bei diesem Flugzeugabsturz eine verdammt große Ladung Rohopium an einen befreundeten amerikanischen Kunden verkauft haben, der an der Bekämpfung gefährlicher Drogen beteiligt ist. Und dem Verleger sagt sein Gefühl des weiteren, daß dieses Opium, das Sie verkauft haben, keineswegs Ihnen gehörte, sondern Ko, und daß. es für das chinesische Festland bestimmt war. Nur daß Sie es vorzogen, sich zu verkrümeln.« Er fuhr unbeirrt fort, während Ricardos Augen ihn über das Whiskyglas hinweg beobachteten. »Nun, wenn dem so wäre, und wenn Ko den Ehrgeiz hätte, sagen wir, das Opiumrauchen in China wiedereinzuführen - langsam, aber stetig neue Märkte zu schaffen, Sie verstehen -, well, dann dürfte er es sich schätzungsweise einiges kosten lassen, daß diese Meldung nicht auf den Titelseiten der Weltpresse erscheint. Aber auch das ist noch nicht alles. Es bleibt noch ein weiterer, sogar noch einträglicherer Aspekt.«

»Welcher denn, Voltaire?« fragte Ricardo und starrte ihn an, als hätte er ihn im Visier seines Gewehres. »Von welchem anderen Aspekt sprechen Sie? Würden Sie es mir bitte sagen.«

»Ich glaube, den behalte ich zunächst noch für mich«, sagte Jerry mit offenem Lächeln. »Ich glaube, ich halte ihn warm, bis Sie mir eine kleine Gegenleistung zukommen lassen.« Ein Mädchen kam lautlos mit Schüsseln voll Reis und Zitronenbartgras und Hühnerfleisch. Sie war adrett und vollendet schön. Man hörte Stimmen von unterhalb des Hauses, darunter auch Mickeys Stimme und das Lachen des Babys. »Wer hat Sie hierher gebracht, Voltaire?« fragte Ricardo zerstreut, nur halb aus seinem Nachsinnen erwacht. »Haben Sie einen verdammten Leibwächter oder so?«

»Nur den Chauffeur.«

»Hat er Waffen?«

Als er keine Antwort erhielt, schüttelte Ricardo verwundert den Kopf. »Sie sind mir ein verrückter Bursche«, bemerkte er und schickte das Mädchen mit einer Handbewegung weg. »Sie sind wirklich ein verrückter Bursche.« Er reichte Jerry eine Schüssel und Eßstäbchen. »Heilige Maria. Dieser Tiu ist ein ziemlich harter Mann. Ich bin selber auch ein ziemlich harter Mann. Aber diese Chinesen können sehr unangenehm werden, Voltaire. Wenn Sie sich mit einem Mann wie Tiu anlegen, kommen Sie in Teufels Küche.«

»Wir kriegen sie schon klein«, sagte Jerry. »Wir nehmen englische Anwälte. Wir ziehen die Sache so auf, daß nicht einmal ein Bischofskollegium uns an den Karren fahren kann. Wir sammeln Zeugen. Charlie Marshall, Sie, jeden, der etwas weiß. Geben für alles, was er gesagt und getan hat, Daten und Zeit an. Wir zeigen ihm eine Kopie, und die anderen deponieren wir auf der Bahk, und wir setzen eine Vertrag mit ihm auf. Unterschrieben, gesiegelt und ausgefertigt. Alles höllisch legal. So hat er's gern. Ko ist versessen auf Legalität. Ich habe Einblick in seine Geschäfte. Ich habe seine Bankauszüge gesehen, ich kenne sein Kapitalvermögen. Die Geschichte ist schon jetzt recht gut fundiert. Aber mit den anderen Aspekten, die ich erwähnte, dürfte sie mit fünf Millionen nicht zu hoch bezahlt sein. Zwei für Sie. Zwei für mich. Eine für Lizzie.«

»Für die? Gar nichts.«

Ricardo hatte sich über den Aktenschrank gebeugt. Er zog eine Schublade auf und fing an, in ihrem Inhalt herumzustöbern, Schriftstücke und Briefe zu studieren. »Waren Sie schon mal auf Bali, Voltaire?« Er setzte feierlich eine Lesebrille auf, nahm wieder am Tisch Platz und begann das Studium der Unterlagen. »Ich habe vor ein paar Jahren dort Grund gekauft. Ein Geschäft abgeschlossen. Ich schließe viele Geschäfte ab. Ich gehe, reite, ich habe eine Honda dort, ein Mädchen. In Laos bringen wir alle um, in Vietnam machen wir verbrannte Erde, also kaufe ich dieses Land auf Bali, ein Stück Land, das wir ausnahmsweise nicht verbrennen, und ein Mädchen, das wir nicht umbringen, verstehen Sie, was ich meine? Fünfzig Morgen Gestrüpp. Hier, kommen Sie hierher.« Jerry lugte über seine Schulter und sah die Vervielfältigung eines Lageplans, eine Landenge, in viele numerierte Bauparzellen aufgeteilt, und in der linken unteren Ecke die Worte »Ricardo & Worthington GmbH, Niederländische Antillen.«

»Werden Sie mein Geschäftspartner, Voltaire. Wir betreiben diese Sache da gemeinsam, okay? Bauen fünfzig Häuser, behalten jeder eines für sich, nette Leute, setzen Charlie Marshall als Manager hin, holen uns ein paar Mädchen zusammen, machen vielleicht eine Kolonie, Künstler, manchmal Konzerte: Mögen Sie Musik, Voltaire?«

»Ich brauche harte Fakten«, sagte Jerry energisch. »Daten, Zeitangaben, Ortsangaben, Zeugenaussagen. Wenn Sie es mir erzählt haben, will ich mit Ihnen verhandeln. Ich werde Ihnen diese anderen Aspekte erklären - die einträglichen. Ich erkläre Ihnen das ganze Geschäft.«

»Klar«, sagte Ricardo abwesend und beugte sich weiter über die Karte. »Wir legen ihn rein. Klar tun wir das.« So also haben die beiden zusammen gelebt, dachte Jerry: mit einem Fuß im Märchenland und mit dem anderen im Knast, so haben sie sich gegenseitig in ihre Phantastereien hineingesteigert, eine Dreigroschenoper mit drei Darstellern. Danach gab Ricardo sich liebevoll seinen Sünden hin, und Jerry hatte keine Möglichkeit, ihn zum Schweigen zu bringen. In Ricardos schlichter Welt mußte man über sich selber sprechen, wenn man den anderen besser kennenlernen wollte. Also sprach er von seiner großen Seele, seiner großen sexuellen Potenz und seiner Besorgnis um deren Erhaltung, aber am meisten sprach er von den Greueln des Krieges, ein Thema, das er kannte wie niemand sonst: »In Vietnam verliebe ich mich in ein Mädchen, Voltaire. Ich, Ricardo, ich verliebe mich. Das ist für mich sehr selten und sehr heilig. Schwarzes Haar, gerader Rücken, Gesicht wie eine Madonna, kleine Brüste. Jeden Morgen halte ich den Jeep an, wenn sie zur Schule geht, jeden Morgen sagt sie >nein<. >Hör zu<, sage ich zu ihr. »Ricardo ist kein Amerikaner. Er ist Mexikaner.« Sie hat von Mexiko noch nicht mal gehört. Ich werde verrückt, Voltaire. Wochenlang lebe ich, Ricardo, wie ein Mönch. Die anderen Mädchen faß ich nicht mehr an. Jeden Morgen, dann, eines Tages, hab' ich schon den ersten Gang drinnen, da wirft sie den Arm hoch - stopp! Sie steigt zu mir ein. Sie verläßt die Schule, zieht in ein kampong, später einmal sag ich Ihnen den Namen. Die B 52er kommen und machen das Dorf dem Erdboden gleich. Irgendein Held kann nicht gut Landkarten lesen. Die kleinen Dörfer sind wie Steine am Strand, eines wie das andere. Ich bin im Hubschrauber dahinter. Nichts kann mich aufhalten. Charlie Marshall sitzt neben mir und brüllt mich an, daß ich verrückt bin. Ich hör nicht auf ihn. Ich gehe runter, lande, ich finde sie. Das ganze Dorf tot. Ich finde sie. Sie ist auch tot, aber ich finde sie. Ich fliege zur Basis zurück, die Militärpolizei schlägt mich zusammen, ich kriege sieben Wochen Dicken, werde degradiert. Ich, Ricardo.«