»Was haben Sie mit Lizzie angefangen?« fragte Jerry. Wiederum war Ricardo ziemlich aufgebracht: »Lizzie, Lizzie, haben Sie einen Komplex, was diese Schneegans betrifft, Voltaire, daß Sie mir dauernd Lizzie ins Gesicht schleudern? Ich habe nie eine so unbedeutende Person gekannt. Hören Sie, ich hab' sie an Ko abgetreten, okay? Ich mache ihr Glück.« Verdrießlich griff er zum Glas und trank einen Schluck Whisky. Sie vertrat seine Interessen, dachte Jerry. Sie und Charlie Marshall. Die beiden liefen sich die Hacken ab, um Ricardo zu schützen.
»Sie haben mit weiteren einträglichen Aspekten des Falls geprahlt«, sagte Ricardo. »Bitte sagen Sie mir, welche das sind.« Der Sarratt-Mann hatte seine Antwort parat: »Punkt eins: Ko erhielt große Summen von der russischen Botschaft in Vientiane. Das Geld wurde über Indocharter geschleust und landete auf einem Schwindelkonto in Hongkong. Wir haben die Beweise. Wir haben Aufnahmen der Bankauszüge.«
Ricardo schnitt ein Gesicht, als schmeckte ihm der Whisky plötzlich nicht mehr, dann trank er weiter. Jerry fuhr fort: »Ob das Geld für die Wiedereinführung des Opiumlasters in Rotchina war oder für irgendeine andere Dienstleistung, das wissen wir nicht«, sagte Jerry. »Aber wir werden es herausbringen. Punkt zwei. Wollen Sie ihn hören oder halte ich Sie auf?« Ricardo hatte gegähnt.
»Punkt zwei«, sprach Jerry weiter. »Kohat einen jüngerer Bruder in Rotchina. Hieß früher Nelson. Ko behauptet, er sei tot, aber in Wirklichkeit ist er jetzt ein hohes Tier bei der Regierung in Peking. Ko versucht seit Jahren, ihn aus China herauszubringen. Ihr Auftrag lautete, Opium einzufliegen und ein Paket herauszubringen. Dieses Paket war Bruder Nelson. Deshalb wollte Ko Sie lieben wie seinen eigenen Sohn, wenn Sie es schaffen würden. Und deshalb wollte er Sie töten, wenn Sie es nicht zurückbrächten. Wenn das keine fünf Millionen Dollar wert ist, was dann?« Während Jerry ihn im schwindenden Licht beobachtete, geschah nichts Besonderes, außer daß das schlummernde Tier in Ricardo sichtlich erwachte. Er beugte sich ganz langsam vor, um sein Glas abzusetzen, aber das Straffen seiner Schultern und das Zusammenziehen seiner Bauchmuskeln konnte er nicht verbergen. Er wandte' sich betont träge zu Jerry, um ihm ein höchst freundschaftliches Lächeln zu schenken, aber in seinen Augen war ein Schimmer, der einem Angriffsignal glich; so daß Jerry, als Ricardo die Hand ausstreckte und ihm mit der Rechten einen liebevollen Klaps auf die Wange gab, auf dem Sprung war, sich nach hinten zu werfen, die Hand zu packen und Ricardo wenn möglich quer durchs Zimmer zu schleudern.
»Fünf Millionen Taler, Voltaire!« rief Ricardo in flammender Erregung, »fünf Millionen! Hören Sie, wir müssen was für den armen Charlie Marshall tun, okay? Aus Liebe. Charlie ist immer pleite. Vielleicht könnten wir ihn einmal den Fußballfond verwalten lassen. Moment. Ich hole uns noch eine Flasche Whisky, wir feiern.« Er stand auf, neigte den Kopf zur Seite und streckte die nackten Arme aus. »Voltaire«, sagte er sanft. » Voltaire!« Liebevoll kniff er Jerry in beide Backen und küßte ihn.
»Hören Sie, Ihr Jungens habt da allerhand ausgegraben! Der Verleger, für den Sie arbeiten, ist ein cleverer Bursche. Sie sollen mein Geschäftspartner sein. Sie haben das Sagen. Okay? Ich brauche einen Engländer in meinem Leben. Ich muß noch wie Lizzie werden, einen Schulmeister heiraten. Tun Sie das für Ricardo, Voltaire? Halten Sie mich ein bißchen im Zaum?«
»Kein Problem«, sagte Jerry und erwiderte das Lächeln. »Spielen Sie einen Moment mit den Ballermännern, okay?«
»Klar.«
»Muß den Mädchen eine Kleinigkeit sagen.«
»Klar.«
»Familienangelegenheit.«
»Ich bleibe hier.«
Jerry sah ihm durch die Falltür gespannt nach. Mickey, der Chauffeur, wiegte das Baby auf den Armen und kitzelte es hinterm Ohr. In einer irren Welt muß man die Fiktion aufrechterhalten, dachte er. Bis zum bitteren Ende dabei bleiben, und ihm den ersten Biß überlassen. Jerry ging zum Schreibtisch zurück, nahm Ricardos Stift, seinen Schreibblock und schrieb eine nichtexistente Adresse in Hongkong darauf, wo er jederzeit erreichbar wäre. Ricardo war noch immer nicht zurück, aber als Jerry aufstand, konnte er ihn aus den Bäumen hinter dem Wagen hervorkommen sehen. Er hat eine Schwäche für Verträge, dachte er. Geben wir ihm was zu unterschreiben. Er nahm ein neues Blatt Papier: Ich, Jerry Westerby, versichere hiermit an Eides statt, daß ich mit meinem Freund Captain Tiny Ricardo den gesamten Ertrag aus unserer gemeinsamen Auswertung seiner Lebensgeschichte teilen werde, schrieb er, und setzte seinen Namen darunter. Ricardo kam jetzt die Treppe herauf. Jerry war versucht, sich aus dem privaten Armeemuseum zu bedienen, aber er mutmaßte, daß Ricardo genau das von ihm erwartete. Während Ricardo nochmals die Gläser vollgoß, überreichte Jerry ihm die beiden Papiere.
»Ich werde einen amtlich beglaubigten Vertrag aufsetzen«, sagte er und blickte Ricardo direkt in die Augen. »Ich kenne einen englischen Anwalt in Bangkok, dem ich absolut vertraue. Er soll den Vertrag prüfen und Ihnen zur Unterschrift bringen. Danach wollen wir die Marschroute festlegen, und ich werde mit Lizzie sprechen. Okay?«
»Klar. Hören Sie, draußen ist es schon dunkel. In den Wäldern stecken eine Menge Banditen. Bleiben Sie über Nacht. Ich spreche mit den Mädchen. Die mögen Sie. Sagen, Sie sind ein sehr starker Mann. Nicht so stark wie ich, aber stark.« Jerry sagte etwas, daß er keine Zeit verlieren dürfe. Er wolle morgen in Bangkok sein, sagte er. Für seine eigenen Ohren klang es so lahm wie ein dreibeiniges Muli, vielleicht gut genug, um irgendwo reinzukommen, aber nie wieder raus. Aber Ricardo schien zufrieden, ja erfreut. Vielleicht ein Hinterhalt, dachte Jerry, irgendwas, das der Colonel arrangiert. »Gott befohlen, Pferdeschreiber. Gott befohlen, mein Freund.« Ricardo legte beide Hände um Jerrys Nacken und ließ die Daumenspitzen auf Jerrys Kiefer ruhen, dann zog er Jerrys Kopf nach vorn und zu sich heran und küßte ihn. Jerry ließ es zu. Obwohl sein Herz hämmerte und sein nasses Rückgrat bei der Berührung mit dem Hemd wie eine Wunde schmerzte, ließ Jerry es zu. Draußen war es fast dunkel. Ricardo begleitete sie nicht zum Wagen, sondern sah ihnen milde von dem Platz unter den Pfählen aus nach, und die Mädchen saßen zu seinen Füßen, während er mit beiden nackten Armen winkte. Vor dem Wagen blieb Jerry stehen, drehte sich um und winkte zurück. Die letzten Sonnenstrahlen lagen sterbend in den Teakbäumen. Mein allerletzter Sonnenuntergang, dachte er.
»Nicht starten«, sagte er ruhig zu Mickey. »Ich möchte den Ölstand prüfen.«
Vielleicht bin bloß ich hier der Verrückte. Vielleicht habe ich wirklich einen guten Handel abgeschlossen, dachte er. Mickey, der auf dem Fahrersitz saß, öffnete die Halterung, und Jerry hob die Kühlerhaube, aber da war kein kleiner Sprengsatz, kein Abschiedsgeschenk von seinem neuen Freund und Partner. Er zog den Ölstab heraus und tat, als prüfte er ihn. »Brauchen Sie Öl, Pferdeschreiber?« schrie Ricardo den Weg entlang.