»George und ich arbeiten großartig zusammen, Saul«, erklärte Martello großmütig. »Ganz großartig.«
»Wäre viel sauberer, verstehen Sie, George«, fuhr Enderby mit einem frischen Streichholz im Mund fort. »Viel sicherer, wenn es ganz in Yankee-Händen wäre. Wenn Martys Leute einen Bock schießen, brauchen Sie sich bloß beim Gouverneur zu entschuldigen, ein paar Kamele in die Wüste schicken und versprechen, daß Sie's nie wieder tun. Das wär's. Mehr erwartet ohnehin niemand von ihnen. Sind die Vorteile eines schlechten Rufs, wie, Marty? Keiner wundert sich, wenn Sie das Zimmermädchen vögeln.«
»Aber SauU, sagte Martello und lachte ausgiebig über den köstlichen britischen Sinn für Humor.
»Viel komplizierter, wenn wir die Bösewichter sind«, fuhr Enderby fort. »Oder besser gesagt, Sie, George. Der Gouverneur könnte Sie mit einem Puster vom Tisch fegen, so wie die Dinge im Moment stehen. Wilbraham weint schon seinen ganzen Schreibtisch naß.«
Gegen Smileys heillose Verstocktheit war indessen nichts auszurichten, also trat Enderby für eine Weile von der Bühne ab, und sie nahmen ihre Diskussion der Modalitäten wieder auf. Aber ehe sie fertig waren, machte Enderby noch einen letzten Vorstoß, um Smiley aus dem Sattel zu heben. Er wählte dazu wiederum die Frage nach der sachdienlichsten Behandlung und Nachbehandlung des Falls.
»George, wer wird denn die Verhöre und so weiter besorgen? Setzen Sie Ihren komischen kleinen Jesuiten an, den mit dem possierlichen Namen?«
»di Salis wird für die chinesischen Aspekte der Einvernahme zuständig sein, und unsere Soviet Research Section für die russische Seite.«
»Ist das die invalide Akademikerin, George, die der verdammte Bill Haydon wegen Trunksucht gefeuert hat?«
»Diese beiden haben das Unternehmen bis zu seinem augenblicklichen Stand gefördert«, sagte Smiley. Wie immer sprang Martello in die Bresche. »Also George, das lasse ich nicht zu! Sir, das nicht! Saul, Oliver, nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich das Unternehmen Delphin - in allen seinen Aspekten, Saul - als persönlichen Triumph für unseren George betrachte, und für George allein!« Nach reichlichem Applaus für den lieben alten George fuhren sie zurück zum Cambridge Circus.
»Himmelarschundzwirn!« platzte Guillam los. »Warum will dieser Enderby Sie abschießen? Was soll dieser ganze Quatsch von wegen:_das Schreiben verloren?«
»Ja«, sagte Smiley nach einer langen Pause von weit her. »Ja, das ist sehr nachlässig von ihnen. Ich glaube, ich schicke ihnen eine Abschrift. Unsigniert, von Hand, nur zur Information. Enderby wirkte so wollig, wie? Würden Sie das übernehmen, Peter, die Mütter bitten?«
Die Erwähnung des Schreibens - Hauptpunkt des Abkommens, wie Lacon es nannte - weckte Guillams schlimmste Befürchtungen von neuem. Er erinnerte sich, wie er es törichterweise durch Sam Collins hatte überbringen lassen und wie Sam, laut Fawn, unter dem Vorwand der Ablieferung mehr als eine Stunde zusammen mit Martello in dessen Büro verschwunden war. Er erinnerte sich auch daran, wie er Sam Collins in Lacons Vorzimmer gesehen hatte, den geheimnisvollen Vertrauten Lacons und Enderbys, der in Whitehall herumlungerte wie die verflixte Edamer Katze aus »Alice im Wunderland«. Er erinnerte sich an Enderbys Vorliebe für Backgammon, wobei er um sehr hohe Einsätze spielte, und während er versuchte, der Verschwörung auf den Grund zu kommen, dachte er sogar daran, daß Enderby Stammkunde in Sam Collins' Club sein mochte. Er wies diesen Gedanken als geradezu absurd sofort wieder von sich. Ironischerweise stellte er sich später als zutreffend heraus. Und er erinnerte sich an seine aufblitzende Überzeugung - die sich lediglich auf den Gesichtsausdruck der drei Amerikaner stützen konnte und daher gleichfalls wieder verworfen wurde -, daß sie bereits wüßten, was Smiley ihnen bei der Besprechung mitzuteilen hatte.
Aber die Idee, daß Sam Collins bei diesem Festmahl die Rolle des Steinernen Gasts spielte, gab Guillam nicht auf, und als er auf dem Londoner Flugplatz die Maschine bestieg, erschöpft von seinem langen und gründlichen Abschied von Molly, grinste ihn das Gespenst durch den Rauch von Sams teuflischer brauner Zigarette an.
Der Flug verlief ereignislos, mit einer Ausnahme. Sie waren zu dritt, und in Sachen Sitzordnung hatte Guillam in seinem Dauerkrieg mit Fawn eine kleine Schlacht gewonnen. Über die Leichen der Housekeepers hinweg flogen Smiley und Guillam in der Ersten Klasse, während Fawn, der Babysitter, einen vorderen Eckplatz am Mittelgang der Touristenklasse bekam, Wange an Wange mit der Wachmannschaft der Fluglinie, die fast während der ganzen Reise schlief, während Fawn schmollte. Glücklicherweise war nie der Vorschlag aufgetaucht, daß Martello und seine schweigsamen Männer mit ihnen fliegen könnten, denn Smiley war entschlossen, daß dies auf gar keinen Fall passieren dürfe. Und so flog Martello gen Westen, machte in Langley Station, um sich Instruktionen zu holen, und setzte seine Reise über Honolulu und Tokio fort, um bei ihrer Ankunft in Hongkong zur Stelle zu sein. Als unbewußt ironische Fußnote zu ihrer Abreise hinterließ Smiley einen langen, handgeschriebenen Brief an Jerry, der diesem bei seiner Ankunft im Circus ausgehändigt werden sollte und worin er ihm zu seiner erstklassigen Leistung gratulierte. Der Durchschlag liegt noch immer in Jerrys Akte. Niemand kam auf den Gedanken, ihn zu entfernen. Smiley spricht von Jerrys »unbeirrbarer Loyalität« und davon, daß er »einer mehr als dreißigjährigen Dienstzeit die Krone aufgesetzt« habe. Er schließt einen nicht unbedingt authentischen Gruß von Ann ein, »die Ihnen, ebenso wie ich, eine gleicherweise ruhmreiche Karriere als Romancier wünscht«. Und er endet ziemlich ungeschickt mit dem Ausdruck seiner Überzeugung, wonach »eines der Privilegien unserer Arbeit darin besteht, daß sie uns mit so wundervollen Kollegen zusammenbringt. Ich darf Sie versichern, daß wir alle in diesem Sinn an Sie denken«-.
Manche Leute fragen sich noch immer, warum den Circus vor dem Aufbruch kein Wort der Besorgnis über Jerrys Verbleib erreichte. Schließlich war er seit mehreren Tagen überfällig. Auch hier will man Smiley die Schuld in die Schuhe schieben, aber es gibt keinen Beweis dafür, daß der Circus sich einen Lapsus geleistet hätte. Für die Weitergabe von Jerrys Bericht aus dem Luftstützpunkt in Nordost-Thailand - seinem letzten - hatten die Vettern einen direkten Kanal über Bangkok nach London und in den Annex freigemacht. Aber das Arrangement galt nur für ein einziges Funktelegramm und eine einzige Rückantwort, ein Nachfaß-Telegramm war nicht vorgesehen. Entsprechend wurde Major Masters' Meldung, als sie erstattet wurde, zuerst über das militärische Nachrichtennetz nach Bangkok geleitet, von dort nach Hongkong über deren Nachrichtennetz an die Vettern - da man der Ansicht war, Hongkong habe totales Zurückhalterecht auf alles Material im Zusammenhang mit dem »Unternehmen Delphin« - und erst danach, mit dem Vermerk »Routine« versehen, von Hongkong an London, wo sie in mehreren rosenholzfurnierten Einlaufkästen zu liegen kam, ehe irgend jemand ihre Bedeutung erkannte. Übrigens hatte bereits der langsame Major Masters dem Nicht-Auftritt, wie er sich später ausdrückte, einer x-beliebigen englischen Reisetante sehr wenig Bedeutung zugemessen. »ERKLÄRUNG VERMUTLICH BEI IHNEN«, lautet der Schluß seiner Meldung. Major Masters lebt jetzt in Norman, Oklahoma, wo er eine kleine Autoreparaturwerkstatt betreibt.