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Auch die Housekeepers hatten keinen Grund zur Panik - jedenfalls behaupten sie das noch heute. Jerrys Instruktionen lauteten, er solle sich, sobald er in Bangkok eintreffe, ein Flugzeug suchen, irgendeins, seine Flugnetzkarte vorzeigen und nach London kommen. Es wurde kein Datum genannt, auch keine Fluglinie. Zweck des Ganzen war lediglich, die Sache in Bewegung zu halten. Höchstwahrscheinlich hatte er irgendwo eine Erholungspause eingelegt. Das taten die meisten heimreisenden Außenagenten, und Jerry war als großer Sexkonsument aktennotorisch. Also hielten sie wie üblich ein Auge auf die Fluglisten und meldeten ihn provisorisch in Sarratt zur zweiwöchentlichen Desinstruktions- und Wiedereinschleusungszeremonie an, woraufhin sie sich wieder der weitaus dringenderen Aufgabe widmeten, das sichere Haus für »Delphin« vorzubereiten. Es war eine reizende alte Mühle, sehr abgelegen, aber in der Nähe der Pendlerstadt Maresfield in Sussex, und beinah immer fanden sie einen Vorwand, hinzufahren. Außer di Salis und einem beträchtlichen Teil seines China-Archivs mußte eine kleine Armee von Übersetzern und Transskriptions-Spezialisten untergebracht werden, ganz zu schweigen von den Technikern, Babysittern und einem chinesischsprechenden Arzt. Es dauerte nicht läng, bis die Bürger des Orts sich bei der Polizei lautstark über den Zustrom von Japanern beklagten. Die Regionalzeitung schrieb, es handle sich um eine Tanztruppe auf Tournee. Der Tip stammte von den Housekeepers.

Jerry hatte nichts im Hotel abzuholen, und zudem hatte er überhaupt kein Hotel, aber er schätzte, daß er eine Stunde Zeit haben würde, um sich aus dem Staub zu machen. Er zweifelte nicht daran, daß die Amerikaner die ganze Stadt abgeriegelt hatten, und er wußte, nichts würde - falls London es verlangen sollte - für Major Masters einfacher sein, als Jerrys Namen und Personenbeschreibung als die eines amerikanischen Deserteurs, der mit falschem Paß reiste, über den Rundfunk durchzugeben. Daher ließ er das Taxi, sobald es weit genug vom Tor entfernt war, zum südlichen Stadtrand fahren, dann wartete er eine Weile, nahm ein zweites Taxi und dirigierte es nach Norden. Feuchter Nebel hing über den Reisfeldern, und die schnurgerade Straße lief endlos in diesen Nebel hinein. Aus dem Radio leierten die Stimmen von Thaifrauen, es klang wie ein langgezogener, nicht endender Kinderreim. Sie fuhren an einer elektronischen Überwachungsanlage der Amerikaner vorbei, einem kreisförmigen Drahtzaun von einer Viertelmeile Durchmesser, der im Nebel schwamm und bei den Einheimischen der Elefantenkäfig hieß. Der Umkreis war mit riesigen Pfählen abgesteckt, und in der Mitte brannte, umgeben von Spinnennetzen aus gespanntem Draht, ein einzelnes höllisches Licht wie die Verheißung eines künftigen Krieges. Er hatte gehört, hier hausten zwölfhundert Sprachenstudenten, aber keine Menschenseele war zu sehen. Er brauchte Zeit, und es gelang ihm sogar, sich mehr als eine Woche zu verschaffen. Sogar jetzt brauchte er so viel Zeit, um zu sich selbst zu kommen; denn im Herzen war Jerry Soldat und dachte mit den Füßen. Im Anfang war die Tat, pflegte Smiley, wenn er in seiner Predigerstimmung war, aus einem seiner deutschen Dichter zu zitieren. Für Jerry war diese schlichte Maxime zur Säule seiner unkomplizierten Philosophie geworden. Was man denkt, ist jedermanns Privatsache. Wichtig ist, was man tut.

Als er am frühen Abend den Mekong erreichte, suchte er sich ein Dorf und streunte ein paar Tage lang müßig am Flußufer entlang, schleppte seine Umhängetasche und kickte mit den Zehen seines Wildlederstiefels leere Coca-Cola-Dosen vor sich her. Jenseits des Flusses, hinter den braunen Bergen, die wie Ameisenhügel aussahen, lag der Ho-Chi-Minh-Pfad. Er hatte einmal von genau dieser Stelle aus beobachtet, wie eine B 52 drei Meilen entfernt in Zentral-Laos angriff. Er erinnerte sich, wie der Boden unter seinen Füßen geschwankt, der Himmel sich geleert und gebrannt hatte, und ihm wurde bewußt, einen Augenblick lang klar bewußt, was es bedeutete, mittendrin zu sein.

Noch in der gleichen Nacht hieb Jerry Westerby, um seine eigene Redewendung zu gebrauchen, tüchtig auf die Pauke, ziemlich genau so, wie die Housekeepers es von ihm erwarteten, wenn auch unter etwas anderen Umständen. In einer Bar am Fluß, wo eine Musikbox alte Weisen plärrte, trank er Schwarzmarktwhisky aus dem PX, Nacht für Nacht, bis das Vergessen sich einstellte, führte eines der lachenden Mädchen nach dem anderen die unbeleuchtete Treppe in ein schäbiges Schlafzimmer hinauf, bis er schließlich dort wirklich einschlief und nicht mehr herunterkam. Erwachte er dann ruckartig und mit relativ klarem Kopf in der Morgendämmerung am Krähen der Hähne und dem Lärm auf dem Fluß, so zwang er sich, lang und liebevoll an seinen Kumpel und Mentor George Smiley zu denken. Es war ein reiner Willensakt, beinah ein Akt des Gehorsams. Er wollte ganz einfach die Glaubensartikel seines Credos hersagen, und sein Credo war bisher der gute alte George gewesen. Die Leute in Sarratt haben viel Verständnis für die Motive eines Außenagenten, und gar nichts übrig für den augenrollenden Fanatiker, der mit den Zähnen knirscht und »Ich hasse den Kommunismus« blökt. Wenn er ihn so sehr haßt, argumentieren sie, dann dürfte er bereits in ihn verliebt sein. Was sie wirklich gern hatten - und Jerry entsprach dieser Vorstellung -, war ein Mann, der nicht lang faselte, der seine Arbeit liebte und wußte - obwohl er um Himmels willen kein großes Trara darum machen sollte -, daß wir recht haben. Wobei wir ein notwendigerweise dehnbarer Begriff ist, aber für Jerry bedeutete er George und damit basta.

Alter George. Super. Guten Morgen.

Er sah ihn vor sich, so, wie er sich am liebsten an ihn erinnerte: bei ihrer ersten Begegnung in Sarratt kurz nach dem Krieg. Jerry war noch ein untergeordneter Dienstgrad bei der Army, - seine Dienstzeit war fast abgelaufen, Oxford drohte, und er langweilte sich tödlich. Es war ein Kursus für Gelegentliche: für Leute, die schon kleine Proben ihrer Geschicklichkeit geliefert hatten, ohne formell auf die Gehaltsliste des Circus zu kommen und als Reservetruppe geschliffen wurden. Jerry hatte sich bereits um eine reguläre Anstellung beworben, aber die Personalabteilung des Circus hatte ihn abgelehnt, was seine Stimmung auch nicht gerade hob. Als daher Smiley mit Wintermantel und Brille in die ölbeheizte Unterrichtsbaracke gewatschelt kam, hatte Jerry innerlich einen Seufzer ausgestoßen und sich auf weitere fünfzig Minuten gähnender Langeweile gefaßt gemacht - auf geeignete Plätze für tote Briefkästen vermutlich - anschließend einen geheimen Streifzug durch die Umgebung von Rickmannsworth, bei dem es galt, hohle Baumstämme auf Friedhöfen auszumachen. Es gab große Heiterkeit, als die Hausverwaltung sich abmühte, das Lesepult niedriger zu schrauben, damit George darüber wegsehen könne. Schließlich stellte er sich ein bißchen nervös daneben und erklärte, sein Thema heute nachmittag laute: »Probleme der Führung von Kurierverbindungen innerhalb feindlichen Territoriums«. Langsam dämmerte es Jerry, daß Smiley nicht aus Büchern lehrte, sondern aus Erfahrung: daß dieser eulenhafte kleine Pedant mit der schüchternen Stimme und der zwinkernden, wie um Entschuldigung bittenden Erscheinung drei Jahre in einer deutschen Provinzstadt durchgehalten hatte, die Fäden eines sehr bedeutenden Netzes in der Hand, während er ständig darauf wartete, daß ein Stiefel durch die Türfüllung fahren oder ein Pistolenknauf auf sein Gesicht niedersausen würde und er die Freuden eines Verhörs genießen dürfte. Als der Vortrag vorbei war, wollte Smiley ihn sprechen. Sie trafe sich in der Ecke eines leeren Lokals, unter den Hirschgeweihen, wo die Scheiben für das Pfeilwerfen hingen.