Выбрать главу

 »Es tut mir so leid, daß wir Sie nicht nehmen konnten«, sagte Smiley. »Ich glaube, wir waren der Ansicht, Sie hätten zuerst noch ein bißchen mehr Zeit draußen nötig.« Was heißen sollte, daß er unreif sei. Zu spät erinnerte Jerry sich, daß Smiley zu den wortlosen Mitgliedern des Prüfungsausschusses gehört hatte, von dem er abgelehnt worden war. »Vielleicht, wenn Sie Ihr Studium abschließen und es auf einem anderen Gebiet zu einigem Erfolg bringen könnten, würde man es sich anders überlegen. Bleiben Sie in Verbindung, ja?« «

Und seitdem war der alte George auf die eine oder andere Art eigentlich immer dagewesen. Nie überrascht, nie ungeduldig hatte der alte George Jerrys Leben gelenkt, bis es dem Circus gehörte. Das väterliche Imperium brach zusammen: George wartete mit ausgestreckten Händen, um ihn aufzufangen. Seine Ehen scheiterten: George saß nächtelang bei ihm und hielt ihm den Kopf. »Ich war diesem Amt immer dankbar, daß es mir Gelegenheit gibt, abzuzahlen«, hatte Smiley gesagt. »Ich bin überzeugt, daß wir so empfinden sollten. Ich glaube nicht, daß wir uns davor fürchten sollten, uns . . . aufzuopfern. Ist das altmodisch von mir?«

»Sie deuten in die Richtung, und ich zieh los«, hatte Jerry erwidert. »Sie geben mir die Schläge an, ich führe sie aus.« Noch war es Zeit. Er wußte es. Zug nach Bangkok, hopp rein in ein Flugzeug und heimfliegen, und das Schlimmste, was ihm passieren konnte, war, daß sie ihm tüchtig den Kopf waschen würden, weil er für ein paar Tage ohne Erlaubnis von Bord gegangen war. Heim, dachte er. Bißchen schwierig. Heim in die Toskana und in die gähnende Leere auf dem Hügel, ohne die Waise? Heim zur alten Pet, sich wegen der kaputten Tasse entschuldigen? Heim zum lieben alten Stubbsi, Desk-Jockey spielen mit Zuständigkeit für abgelehnte Manuskripte? Oder heim in den Circus: »Wir nehmen an, in der Bankabteilung fühlen Sie sich am wohlsten.« Oder sogar - großartiger Gedanke - heim nach Sarratt, als Ausbilder, Herzen und Seelen der Neuen erobern, und verbotene Abstecher in eine Maisonettewohnung in Watford unternehmen.

Am dritten oder vierten Morgen wachte er sehr früh auf. Über dem Fluß erschien das erste Tageslicht, färbte ihn zuerst rot, dann orange, dann braun. Eine Familie von Wasserbüffeln watete im Schlamm, ihre Glocken bimmelten. In der Mitte der Strömung waren drei Sampans durch ein langes und kompliziertes Schleppnetz verbunden. Er hörte ein Zischen und sah ein Netz sich verknäueln, dann wie Hagel auf das Wasser klatschen. Ich bin nicht hier, weil mir eine Zukunft fehlt, dachte er. Ich bin hier, weil ich keine Gegenwart habe.

Heim ist das, wo du hingehst, wenn du kein Heim mehr hast, dachte er. Womit ich bei Lizzie wäre. Verzwickte Sache. Verschieben wir's auf später. Erst mal frühstücken. Als er auf dem Teakholzbalkon saß und Eier und Reis mampfte, erinnerte er sich, wie George ihm die Nachricht über Haydon beigebracht hatte. El Vino's Bar, Fleet Street, regnerischer Mittag. Jerry war nie fähig gewesen, jemand lange Zeit zu hassen, und nachdem der erste Schock vorbei war, gab es kaum noch etwas zu sagen.

»Well, hat keinen Sinn, in den Schnaps zu flennen, wie, altes Haus? Können das Schiff nicht den Ratten überlassen. Weiterkämpfen ist das einzige.«

Smiley stimmte zu: ja, das war das einzige, weiterkämpfen, dankbar für die Gelegenheit, abzuzahlen. Jerry hatte sogar einen seltsamen Trost in der Tatsache gefunden, daß Bill zum Clan gehörte. Er hatte, auf seine unartikulierte Weise, nie ernstlich daran gezweifelt, daß sein Land sich im Zustand unwiderruflichen Niedergangs befinde und daß seine eigene Klasse die Schuld an der Katastrophe trug.

»Wir haben Bill gemacht«, lautete sein Argument, »also ist es nur recht, daß wir seinen Verrat ausbadei müssen.« Bezahlen hieß das. Bezahlen. Was der alte George schon die ganze Zeit tat.

Wieder bummelte Jerry den Fluß entlang, atmete die freie warme Luft und ließ flache Steine über das Wasser flitzen.

Lizzie, dachte er. Lizzie Worthington, Ausreißerin aus der Vorstadt, Ricardos Schülerin und Spielball. Charlie Marshalls große Schwester und große Mutter und unerreichbare Hure. Drake Kos gefangener Vogel. Meine Tischgefährtin vier ganze Stunden lang. Und für - Sam Collins - um nochmals auf diese Frage zurückzukommen - was war sie für ihn gewesen? Für Mr. Mellon, Charlies »schmierigen englischen Kaufmann« von vor eineinhalb Jahren, war sie der Kurier gewesen, der Heroin nach Hongkong schaffte. Aber sie war mehr als das gewesen. Irgendwann hatte Sam den Vorhang ein Stückchen gelüftet und ihr gesagt, er arbeite für Königin und Vaterland. Eine frohe Botschaft, die Lizzie umgehend ihrem bewundernden Freundeskreis mitteilte. Was Sam erzürnte, so daß er sie fallenließ wie eine heiße Kartoffel und sie schließlich als eine Art Lockziege verwendete. Als Köder auf Bewährung. In einer Hinsicht amüsierte dieser Gedanke Jerry sehr, denn Sam genoß den Ruf eines Staragenten, während Lizzie Worthington den Star einer Demonstration in Sarratt hätte abgeben können, Titeclass="underline" »Urtyp der Frau, die man niemals anwerben darf, solange sie noch sprechen oder atmen kann.« Weniger amüsant war die Frage, was sie jetzt für Sam bedeutete. Warum lauerte er in ihrem Schatten wie ein geduldiger Mörder und lächelte sein gußeisernes Lächeln? Diese Frage machte Jerry arg zu schaffen. Kurzum, er war von ihr besessen. Er wollte einfach nicht, daß Lizzie noch einen weiteren Reinfall erlebte. Wenn sie von Kos Bett irgendwo anders hinginge, dann sollte es Jerrys Bett sein. Immer wieder einmal - seit er sie zum erstenmal gesehen hatte - hatte er sich ausgemalt, wie gut Lizzie die kräftige Luft der Toskana bekommen würde. Es war ihm zwar nicht klar, was es mit Sams Anwesenheit in Hongkong auf sich hatte und was der Circus auf längere Sicht mit Drake Ko plante, aber eins - und dies war der Angelpunkt der ganze Sache - wußte er genau: daß er, wenn er in diesem Moment nach London abzischen würde, anstatt Lizzie auf seinem weißen Renner zu entführen, er sie auf einer sehr großen Bombe sitzend zurückließ. Was für ihn nicht in Frage kam. Zu anderen Zeiten hätte er vielleicht die Lösung dieses Problems den Eulen überlassen, wie so manches andere in seinem früheren Leben. Aber jetzt waren nicht andere Zeiten. Diesmal zahlten die Vettern die Zeche, wie er wußte, und wenn Jerry auch weiter nichts gegen die Vettern hatte, so machte ihre Anwesenheit das Spiel doch bedeutend rauher. Und deshalb spielten seine vagen Vorstellungen von Georges Menschlichkeit in diesem Fall keine Rolle.

Außerdem hing er an Lizzie. Über die Maßen. Hier waren seine Gefühle klar und eindeutig. Er sehnte sich nach ihr mit allen Fasern. Sie war ein Verlierer, wie fr, und erliebte sie. Er hatte über alles nachgedacht und den Schlußstrich gezogen, und war, nach tagelangem Hinundherüberlegen zu diesem genauen, unabänderlichen Resultat gelangt. Es erschreckte ihn ein wenig, aber es gefiel ihm ungemein.

Gerald Westerby, ermahnte er sich. Du warst bei deiner Geburt anwesend. Du warst bei deinen verschiedenen Eheschließungen anwesend und bei einigen deiner Scheidungen, und mit Sicherheit wirst du bei deiner Beerdigung anwesend sein. Höchste Zeit, unserer wohlerwogenen Meinung nach, daß du auch einmal an gewissen anderen entscheidenden Wendepunkten deiner Lebensgeschichte anwesend bist.

Er fuhr mit einem Bus ein paar Meilen flußaufwärts, ging dann ein Stück zu Fuß, fuhr in Rikschas, saß in Kneipen, ging mit den Mädchen ins Bett und dachte nur an Lizzie. Der Gasthof, in dem er logierte, war voller Kinder, und als er eines Morgens erwachte, saßen zwei von ihnen auf seinem Bett, staunten über die gewaltig langen Beine des farang und kicherten darüber, wie seine nackten Füße unten hervorguckten. Vielleicht bleibe ich einfach hier, dachte er. Aber das meinte er nicht ernst, denn er wußte, daß er zurück mußte und sie fragen: auch wenn die Antwort nur blauer Dunst sein würde. Er ließ für die Kinder Papierflugzeuge vom Balkon segeln, und sie klatschten in die Hände und tanzten und sahen zu, wie die papierenen Vögel davonschwebten.