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Sie öffnete die Tasche und zählte den Inhalt einer dicken Geldbörse nach.

»Das habe ich Tiu beim Mah jong abgewonnen«, sagte sie, und aus irgendeinem Grund wußte er, daß sie wieder einmal schwindelte. Der Fahrer setzte sie am Ende der Gasse ab, und sie gingen den kurzen Weg bis zu dem niedrigen Gitter zu Fuß. Im Haus brannten keine Lichter. Als sie zur Tür kamen, flog sie auf und ein Pärchen flitzte an ihnen vorbei und verschwand im Dunkeln. Sie traten ein, die Tür schloß sich hinter ihnen, sie folgten einem Lämpchen, das vor ihnen hergetragen wurde, bis zu einer eleganten Halle, in der Flötenmusik ertönte. Auf dem geschwungenen Sofa in der Mitte thronte eine adrette chinesische Dame, einen Stift in der Hand und ein Notizbuch auf dem Schoß, für alle Welt das Muster einer Chatelaine. Sie sah Jerry und lächelte, sie sah Lizzie, und ihr Lächeln wurde breiter. »Für die ganze Nacht«, sagte Jerry. »Selbstverständlich« erwiderte sie.

Sie folgten ihr die Treppe hinauf zu einem schmalen Korridor. Durch die offenen Türen sah man seidene Bettdecken, gedämpftes Licht und Spiegel. Jerry wählte das am wenigsten wollüstige Zimmer, lehnte das Angebot eines zweiten Mädchens - aller guten Dinge seien drei - ab, gab der Frau Geld und bestellte eine Flasche Remy Martin. Lizzie trat hinter ihm ein, warf die Umhängetasche auf das Bett und brach, noch während die Tür offen war, in ein nervöses Lachen der Erleichterung aus.

»Lizzie Worthington«, verkündete sie, »genau hier, sagten sie, würdest du einmal enden, du schamloses Weibsstück, und ich will verdammt sein, wenn sie nicht recht hatten!« Das Zimmer enthielt eine Chaiselongue, und Jerry legte sich darauf, kreuzte die Beine, hielt das Brandyglas in der Hand und starrte an die Decke. Lizzie legte sich ins Bett, und eine Weile sprach keiner von ihnen. Das Haus war sehr still. Dann und wann hörten sie aus dem oberen Stockwerk einen Lustschrei oder unterdrücktes Lachen, einmal eine Klage. Lizzie ging zum Fenster und sah hinaus.

»Was ist da draußen?« fragte er.

»Eine Ziegelmauer, ungefähr drei Dutzend Katzen, und mehrere Stapel von leeren Kisten.«

»Neblig?«

»Gräßlich.«

Sie schlenderte ins Badezimmer, kramte herum und kam wieder herein.

»Altes Haus«, sagte Jerry ruhig.

Sie war sofort auf der Hut.

»Bist du nüchtern und zurechnungsfähig?«

»Warum?«

»Ich möchte, daß du mir alles erzählst, was du ihnen erzählt hast. Und danach möchte ich, daß du mir alles sagst, was sie dich gefragt haben, ob du es beantworten konntest oder nicht. Und wenn du damit fertig bist, dann wollen wir's mit einem kleinen Spielchen versuchen, das sich Rückpeilung nennt, und gemeinsam herausfinden, wo diese ganze Schweinebande ihre Plätze im Weltenplan hat.«

»Es ist die Wiederaufführung eines alten Stücks«, sagte sie schließlich. _ »Welches Stück?«

»Das weiß ich nicht. Es soll alles genauso ablaufen, wie es schon einmal war.«

»Und was war schon einmal?«

»Was immer es war«, sagte sie müde, »es wird sich genauso noch einmal abspielen.«

 

Nelson

Es war ein Uhr morgens. Sie hatte ein Bad genommen. Sie kam aus dem Badezimmer, in ein weißes Laken gehüllt, ein Handtuch ums Haar geschlungen und war barfuß, so daß ihre Proportionen plötzlich ganz anders wirkten.

»Sogar Papierbanderolen sind über dem Klodeckel«, sagte sie. »Und die Zahnputzbecher in Cellophan verpackt.« Sie döste auf dem Bett, er auf dem Sofa. Einmal sagte sie: »Ich möchte schon, aber es ist nichts zu machen«, und er antwortete, nach Fawns gezieltem Fußtritt sei auch seine eigene Libido ein wenig angeschlagen. Sie erzählte ihm von ihrem Schulmeister - Mr. Bloody Worthington, nannte sie ihn - und ihrem »einzigen Versuch, auf dem Pfad der Tugend zu wandeln«, und von dem Kind, das sie ihm aus Höflichkeit geboren habe. Sie sprach von ihren schrecklichen Eltern und von Ricardo und was für ein Schwein er gewesen sei und wie sie ihn geliebt habe und wie ein Mädchen in der Constellation Bar ihr geraten habe, ihn mit Cytisin zu vergiften und daß sie ihm eines Tages, nachdem er sie halbtot geprügelt hatte, eine »verdammt große Dosis in seinen Kaffee getan« habe. Aber vielleicht hatte sie nicht das richtige Mittel erwischt, sagte sie, denn es sei weiter nichts passiert, als daß er tagelang krank gewesen sei, und »wenn es etwas Schlimmeres gibt als den gesunden Ricardo, dann ist es ein Ricardo an der Schwelle des Todes«. Wie sie ihm ein anderesmal tatsächlich einen Messerstich beigebracht habe, als er in der Badewanne saß, aber er habe einfach ein Stück Heftpflaster drübergeklebt und sie aufs neue verdroschen.

Wie sie und Charlie Marshall nach Ricardos offiziellem Verschwinden nicht an seinen Tod hatten glauben wollen und eine, wie sie es nannten, »Ricardo-lebt-Campagne« gestartet hatten, und wie Charlie sich hinter seinen alten Herrn geklemmt habe, alles genau, wie er es Jerry geschildert hatte. Wie Lizzie ihren Rucksack gepackt und nach Bangkok gegangen sei, geradewegs in die Suite von China Airsea im Erawan, in der Absicht, sich Tiu vorzuknöpfen, und statt dessen an Ko geriet, den sie erst einmal und nur sehr kurz gesehen hatte: bei einer Teegesellschaft in Hongkong, die eine gewisse Sally Cale gegeben hatte, ein Mannweib mit blaugetöntem Haar, im Antiquitätenhandel und nebenbei im Heroingeschäft tätig. Und wie sie im Erawan ein richtiges Boulevardstück gespielt habe, das mit Kos barschem Befehl, sie solle sich rausscheren, anfing, und damit endete, daß, wie Lizzie fröhlich sagte, »die Natur ihren Lauf nahm«: »Wieder ein Schritt auf Lizzie Worthingtons unbeirrbarem Marsch ins Verderben.« Und wie sie langsam und umständlich, während »Charlie Marshalls alter Herr zog und Lizzie Worthington schob«, wie man sagen könnte, einen sehr chinesischen Vertrag zustande brachten, mit Ko und Charlies altem Herrn als Signatarmächten und als Gegenstand der Transaktion erstens Ricardo und zweitens dessen Lebensgefährtin a. D., Lizzie. Jerry erfuhr ohne große Überraschung, daß sowohl sie wie Ricardo dankbar in das Abkommen einwilligten. »Du hättest ihn verschimmeln lassen sollen«, sagte Jerry und dachte an die Zwillingsringe an Ricardos rechter Hand und an den in die Luft gesprengten Ford.

Aber Lizzie hatte die Sache ganz anders und gar nicht so gesehen und tat es auch heute noch nicht.

»Er gehörte zu uns«, sagte sie. »Auch wenn er ein Schwein war.« Aber nachdem sie ihm sein Leben erkauft hatte, fühlte sie sich nicht mehr an ihn gebunden.

»Die Chinesen arrangieren alle Tage Hochzeiten. Warum also nicht Drake und Liese?«

Was es mit diesem Liese auf sich habe? wollte Jerry wissen. Warum Liese anstatt Lizzie?

Sie wußte es nicht. Das sei etwas, worüber Drake nicht spreche, sagte sie. Er habe ihr nur erzählt, daß es einmal eine Liese in seinem Leben gegeben habe und daß sein Wahrsager ihm versprach, eines Tages werde er eine zweite finden, und er war der Meinung, Lizzie komme der Sache nahe genug, also halfen sie ein bißchen nach und nannten sie Liese, und weil sie schon einmal dabei war, stutzte sie ihren Familiennamen zu einem schlichten Worth.

»Blonde Biene«, sagte sie zerstreut.

 

Der Namenswechsel habe auch einen praktischen Zweck gehabt, sagte sie. Nachdem Ko ihr einen neuen Namen gegeben hatte, habe er dafür gesorgt, daß ihre auf den alten Namen lautende Polizeiakte vernichtet wurde.

»Bis dieses Schwein Mellon auftaucht und sagt, er läßt eine neue erstellen, und darin werde dann auch stehen, daß ich sein verdammtes Heroin befördert habe«, sagte sie. Was sie wieder darauf brachte, wo sie jetzt waren. Und warum. Sie redeten gelöst dahin, als ruhten sie von der Liebe aus. Jerry lag auf dem Diwan, er war hellwach, Lizzie hingegen schlief im Sprechen immer wieder ein und nahm danach ihre Erzählung dort wieder auf, wo sie eingeschlummert war, und er wußte, daß sie ihm die Wahrheit sagte, denn es kam nichts darin vor, was er nicht schon von ihr wußte und verstand. Er begriff auch, daß Ko für sie zum Lebensanker geworden war. Er wachte über ihrer Odyssee, ähnlich wie es der Schulmeister getan hatte. »Drake hat nie im Leben ein Versprechen gebrochen«, sagte sie einmal, drehte sich um und fiel wieder in unruhigen Schlummer. Jerry dachte an die Waise: lüg mich bloß nie an. Stunden, Ewigkeiten später erwachte sie durch einen ekstatischen Schrei aus dem Zimmer nebenan.