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Doris senkte errötend den Kopf über ihr Strickzeug. »Natürlich hat sie recht. Nelson hat tatsächlich die Mission zertrümmert. Und auch seinen Glauben verleugnet.« Eine Wolke des Kummers hing sekundenlang über seinem alten Gesicht, bis das Lachen plötzlich den Sieg davontrug. »Und du liebe Güte, hat Drake den Jungen ins Gebet genommen! Hat der ihm vielleicht die Leviten gelesen! Ach Gott, ach Gott! >Politik<, sagt Drake, >kannst du nicht essen, nicht verkaufen und, mit Verlaub, Doris, du kannst nicht mit ihr schlafen! Alles was du mit ihr tun kannst, ist die Tempel kaputtschlagen und die Unschuldigen töten !< Ich hab' ihn noch nie so zornig gesehen. Und er hat Nelson eine Tracht Prügel verabreicht, jawohl! Drake hat einiges gelernt, drunten in den Docks, das kann ich Ihnen sagen!«

»Und Sie müssen es uns sagen«, zischte di Salis wie eine Schlange ins Dämmerlicht. »Sie müssen uns alles sagen. Es ist Ihre Pflicht.«

»Ein Studentenaufmarsch«, fuhr Mr.  Hibbert fort. »Fackelzug nach der Sperrstunde, Gruppen von Kommunisten draußen auf den Straßen, wollen Krawall machen. Anfang neunundvierzig, muß im Frühling gewesen sein, die Lage fing gerade an, brenzlig zu werden.« Im Gegensatz zu seiner früheren Weitschweifigkeit war Mr. Hibberts Erzählstil überraschend bündig geworden: »Wir saßen am Feuer, wie, Doris? Vierzehn war Doris damals, oder war's fünfzehn? Wir hatten gern ein Feuer, auch wenn's nicht nötig war, erinnerte uns an zu Hause, an Macclesfield. Und wir hören draußen den Klamauk und das Grölen. Becken, Pfeifen, Gongs, Glocken, Trommeln, ein gräßlicher Krach. Ich hatte schon eine Ahnung, daß so etwas passieren könnte. Nelson hat mich die ganze Zeit in der Englischstunde gewarnt: »Sie gehen heim, Mr.  Hibbert. Sie sind ein guter Mensch«, sagte er, >Sie sind ein guter Mensch, aber wenn die Dämme brechen, ertrinken die Guten und die Schlechten in den Fluten.< Er konnte sich so hübsch ausdrücken, wenn er wollte, dieser Nelson. Kam von seiner Überzeugung. Nicht erfunden, empfunden. >Daisy<, sagte ich, >Daisy Fong, du und Doris, ihr geht in den Hinterhof, ich glaube, wir kriegen bald Besuch.< Im nächsten Moment, päng, flog ein Stein durchs Fenster. Wir hörten natürlich Stimmen, Gebrüll, und sogar hier konnte ich unseren Nelson herauskennen, nur an der Stimme. Er sprach natürlich Chiu Chow und schanghainesisch, aber bei diesem Haufen redete er selbstverständlich schanghainesisch. >Tod den Imperialistenknechten!<, brüllt er! »Nieder mit den Tempelhyänen!« Ach, die Slogans, die sie sich ausgedacht haben! In Chinesisch klingen sie noch einigermaßen, aber sagen Sie's auf englisch, und es ist schierer Blödsinn. Dann geht die Tür auf, und sie kommen rein.«

»Sie haben das Kreuz zerschlagen«, sagte Doris, hörte auf zu stricken und starrte auf ihr Muster.

Diesmal erstaunte Mr. Hibbert, nicht seine Tochter, die Zuhörer durch handfeste Ausdrücke.

»Sie haben noch verflixt mehr zerschlagen, Doris!« erwiderte Mr. Hibbert fidel. »Sie haben den ganzen Laden kaputtgeschlagen. Kirchenbänke, den Altar, das Klavier, Stühle, Lampen, Gesangbücher, Bibeln. Oh, sie haben richtig losgelegt, das kann ich Ihnen sagen. Richtige kleine Schweine waren das. >Nur zu<, sag ich. »Bedient euch. Was der Mensch geschaffen hat, ist vergänglich, aber das Wort Gottes werdet ihr nicht aus der Welt schaffen, und wenn ihr sein Haus zu Kleinholz schlagt.« Nelson, der wollte mich gar nicht ansehen, der arme Kerl. Ich hätte für ihn weinen können. Wie sie fort waren, sah ich mich um, und da stand die alte Daisy Fong unter der Tür und Doris hinter ihr. Sie hatte sich alles angesehen, unsere Daisy. Hatte es genossen. Ich hab es aus ihren Augen gelesen. Sie war im Herzen auch eine von denen. Glücklich. >Daisy<, sagte ich. >Raus mit dir. Pack deine Sachen und ab. In diesem Leben kannst du mittun oder dich draushalten, ganz wie du willst. Aber du darfst dich nicht verdingen. Sonst bist du schlimmer als ein Spion.<«

Während Connie ihn zustimmend anstrahlte, gab di Salis ein durchdringendes empörtes Krächzen von sich, aber der alte Mann genoß seine Erzählung.

»Also, wir beide setzten uns hin, ich und Doris, und wir weinten ein bißchen zusammen, das gebe ich ohne weiteres zu, wie, Doris? Ich schäme mich der Tränen nicht, hab' ich nie getan. Wir vermißten deine Mutter bitterlich. Knieten nieder und beteten. Dann machten wir uns ans Aufräumen. Wußten wahrhaftig kaum, wo wir anfangen sollten. Und dann kommt Drake herein!« Er schüttelte verwundert den Kopf. »>Guten Abend, Mr. Hibbert<, sagt er mit seiner tiefen Stimme und einem kleinen bißchen von meinem Nordengland-Akzent, über den wir immer lachen mußten. Und hinter ihm steht der kleine Nelson mit Besen und Schaufel. Er hatte noch immer den krummen Arm, hat ihn wahrscheinlich noch, zerschossen, als er klein war, aber am Aufkehren hat er ihn nicht gehindert, kann ich Ihnen sagen. Damals ist Drake über ihn hergefallen, hat geflucht wie ein Seebär! Ich hab' ihn noch nie so gehört. Nun ja, er war ja eine Art Seebär, wie?« Er lächelte seine Tochter gelassen an. »Ein Glück, daß er Chiu Chow sprach, wie, Doris? Hab' selber nur die Hälfte davon verstanden, nicht mal das, aber, na, ich danke! Fluchte wie ein Fuhrknecht, der Junge!«

Er hielt inne und schloß kurz die Augen, im Gebet oder vor Müdigkeit.

»Es war natürlich nicht Nelsons Schuld. Das wußten wir bereits. Er war ein Anführer. Es ging um sein Gesicht. Sie waren einfach losmarschiert, ohne besonderes Ziel, und dann sagt einer zu ihm: >Heh! Missionskind! Zeig uns, wohin du jetzt gehörst!< Und er zeigt es ihnen. Muß er. Hat Drake aber nicht davon abgehalten, auf ihn einzudreschen. Sie räumten auf, wir gingen ins Bett, und die beiden schliefen in der Kapelle auf dem Boden, für den Fall, daß der Mob zurückkäme. Ich komme am nächsten Morgen runter, und da sind die Gesangbücher alle säuberlich aufgestapelt, soviel wie eben noch da waren, die Bibeln desgleichen. Sie hatten ein Kreuz aufgestellt, selber fabriziert. Sogar das Klavier zusammengeflickt, wenn auch nicht gestimmt natürlich.« di Salis schlang sich in einen neuen Knoten und stellte eine Frage. Wie Connie hatte er ein aufgeschlagenes Notizbuch vor sich, aber noch nichts hineingeschrieben.

»Was war damals Nelsons Disziplin?« fragte er in seiner näselnden unwilligen Art, und hielt den Stift schreibbereit.

Mr. Hibbert runzelte ratlos die Stirn:

»Nun, die Kommunistische Partei, natürlich.«

Als Doris »O Daddy« in ihr Strickzeug flüsterte, übersetzte Connie hastig. »Was hat Nelson studiert, Mr. Hibbert, und wo?«

»Ah, Disziplin. Diese Art Disziplin!« Mr. Hibbert verfiel wieder in seinen nüchternen Stil.

Er kannte die Antwort genau. Worüber hätten er und Nelson in ihren Englischstunden sonst sprechen können - abgesehen vom kommunistischen Evangelium, fragte er -, als über Nelsons Zukunftspläne? Nelsons Leidenschaft war der Ingenieurberuf. Nelson war überzeugt, daß die Technologie, nicht die Bibel, China aus dem Feudalismus führen könnte.

»Schiffsbau, Straßen, Eisenbahnen, Fabriken: das war Nelson. Der Erzengel Gabriel mit Rechenschieber, weißem Kragen und einem akademischen Grad. Das war er, nach seiner Vorstellung.« Mr. Hibbert blieb nicht lange genug in Schanghai, um Nelson diesen Glückszustand erreichen zu sehen, sagte er, denn Nelson machte sein Abschlußexamen erst im Jahr einundfünfzig -. di Salis' Feder kratzte wild über die Seiten des Notizbuchs.