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» Aber Drake, der sich sechs Jahre lang für ihn abgerackert hatte«, sagte Mr.  Hibbert - über Doris' neuerliche Bezugnahme auf die Triaden hinweg -, »Drake hielt durch, und er sah sich belohnt, genau wie Nelson. Er sah, wie dieses lebenswichtige Stück Papier in Nelsons Hand gelegt wurde, und er wußte, daß seine Arbeit jetzt getan war und er seiner eigenen Wege gehen konnte, wie er es immer geplant hatte.«

di Salis wurde vor Erregung ausgesprochen hemmungslos. In seinem häßlichen Gesicht waren noch mehr Farbflecke aufgesprungen, und er rutschte verzweifelt auf seinem Stuhl herum. »Und nach dem Examen - was kam dann?« drängte er. »Was tat er? Was wurde aus ihm? Erzählen Sie bitte weiter. Bitte, erzählen Sie weiter.«

Mr.  Hibbert lächelte amüsiert über soviel Enthusiasmus. Also, sagte er, laut Drake habe Nelson sich zunächst als Zeichner in der Schiffswerft verdingt, an Blaupausen und Bauplänen gearbeitet und wie verrückt alles gelernt, was er den russischen Technikern abgucken konnte, die seit Maos Sieg ins Land strömten. Dann wurde Nelson, im Jahr dreiundfünfzig, wenn Mr.  Hibbert sich richtig erinnerte, die Auszeichnung einer weiteren Studiengenehmigung an der Universität Leningrad in Rußland zuteil, und er blieb dort, bis, nun, auf jeden Fall bis Ende der fünfziger Jahre. »Oh, er war glücklich wie ein Hund mit zwei Schwänzen, unser Drake, wenn man ihn hörte.« Mr.  Hibbert hätte nicht stolzer aussehen können, wenn er von seinem eigenen Sohn gesprochen hätte.

di Salis beugte sich plötzlich vor und ging sogar so weit, trotz Connies mahnender Blicke, mit seinem Stift auf den alten Mann zu deuten: »Und nach Leningrad, was haben sie dann mit ihm gemacht?«

»Wieso? Er kam natürlich zurück nach Schanghai«, sagte Mr.  Hibbert lachend. »Und er wurde befördert, klar, nach diesem langen Studium, war jetzt ein angesehener Mann: Schiffsbauer, Ausbildung in Rußland, Technologe, Manager: Ach, er war ganz begeistert von den Russen! Besonders nach Korea. Sie hatten Maschinen, Macht, Ideen, Philosophie. Rußland war sein Gelobtes Land. Er blickte zu ihm auf, wie . . . « Seine Stimme und sein Eifer erstarben gleichzeitig. »Ach ja«, murmelte er und schwieg, zum zweitenmal, seit sie ihm zuhörten, seiner selbst unsicher geworden. »Trotzdem, es konnte nicht ewig dauern, wie? Rußland bewundern: wie lange war das modern in Maos Neuem Wunderland? Doris, Kind, hol mir einen Schal.«

»Du trägst ihn schon«, sagte Doris.

di Salis bohrte rücksichtslos, mit schriller Stimme weiter. Nichts interessierte ihn mehr, außer den Antworten. Auch das Notizbuch nicht, das aufgeschlagen auf seinen Knien lag: »Er kam zurück«, piepste er. »Sehr schön. Er brachte es zu etwas. Er war in Rußland ausgebildet, nach Rußland hin orientiert. Sehr schön. Was kommt dann?«

Mr. Hibbert sah di Salis lange an. Ohne Arglist in Gesicht und Augen. Er sah ihn an, wie ihn vielleicht ein kluges Kind angesehen hätte, ohne hemmende Spitzfindigkeit. Und es wurde plötzlich klar, daß Mr. Hibbert di Salis nicht mehr traute, ja, daß er ihn nicht mochte.

»Er ist tot, junger Mann«, sagte er endlich und starrte wieder hinaus aufs Meer. Im Zimmer war es jetzt fast dunkel, das meiste Licht kam vom Gasfeuer. Der graue Strand war leer. Auf dem Weidenzaun thronte eine einzelne Möwe, schwarz und groß vor den letzten Streifen des Abendhimmels. »Aber Sie sagten, er habe noch immer diesen krummen Arm«, fuhr di Salis auf ihn los. »Sie sagten, vermutlich habe er ihn noch immer. Und um ein Haar hätten Sie es jetzt nochmals gesagt, ich hörte es Ihrer Stimme an!«

»Also ich finde, daß wir Mr. Hibbert lang genug belästigt haben«, sagte Connie strahlend, warf di Salis einen scharfen Blick zu und bückte sich nach ihrer Handtasche. Aber di Salis ging nicht darauf ein.

»Ich glaube ihm nicht!« rief er mit seiner schrillen Stimme. »Wie und wann starb Nelson? Geben Sie uns genaue Daten!« Aber der alte Mann zog nur den Schal enger um die Schultern und wandte die Augen nicht vom Meer.

»Wir waren in Durham«, sagte Doris und blickte noch immer auf ihre Strickarbeit, obwohl man bei diesem Licht nicht mehr stricken konnte, »Drake kam in seinem dicken Wagen mit Chauffeur vorgefahren und besuchte uns. Er hatte seinen Trabanten bei sich, Tiu nennt er ihn. Sie waren in Schanghai Kumpane gewesen. Wollte eine Schau abziehen. Brachte mir ein Platinfeuerzeug und tausend Pfund für Dads Kirche und hielt uns seinen O. B. E. im Etui unter die Nase; zog mich in eine Ecke und sagte, ich solle nach Hongkong kommen und seine Mätresse werden, direkt vor Dads Augen. Krampf mit Sauce! Er wollte Dads Unterschrift für irgend etwas. Eine Bürgschaft. Sagte, er wolle in Gray's Inn Jura studieren. In seinem Alter, nun sagen Sie mal! Zweiundvierzig! Späte Berufung! Hat es natürlich nie vorgehabt. War alles nur Unverfrorenheit und Geschwätz, wie üblich. Dad sagte zu ihm: >Was macht Nelson?<, und -«

»Moment bitte«, unterbrach di Salis wiederum höchst unklug. »Das Datum? Wann hat sich das alles ereignet, bitte. Ich muß Daten haben.«

»Siebenundsechzig. Dad war kurz vor der Pensionierung, nicht wahr, Dad?«

Der alte Mann bewegte sich nicht.

»Gut, siebenundsechzig. In welchem Monat? Bitte ganz genaue Angaben!«

Es hätte nur noch gefehlt, daß er »Ganz genaue Angaben, Weib«, gesagt hätte. Er machte Connie ernstlich besorgt. Aber als sie wiederum versuchte, ihn zurückzuhalten, ignorierte er sie wie zuvor.

»April«, sagte Doris nach einigem Nachdenken. »Wir hatten kurz vorher Dads Geburtstag gefeiert. Deshalb brachte er die tausend Lappen für die Kirche. Er wußte, daß Dad sie nicht für sich annehmen würde, denn Dad hatte immer mißbilligt, auf welche Weise Drake zu seinem Geld kam.«

»In Ordnung. Gut. Sehr schön. April. Nelson starb also vor dem April siebenundsechzig. Was hat Drake über die näheren Umstände berichtet. Wissen Sie das noch?«

»Nichts. Keine Einzelheiten. Sagte ich schon. Dad fragte, und er sagte nur >tot<, als wäre Nelson ein Hund. Soviel für die brüderliche Liebe. Dad wußte gar nicht, wohin er sehen sollte. Es brach ihm fast das Herz, und Drake stand da und tat keinen Pieps. >Ich habe keinen Bruder. Nelson ist tot.< Und Dad betete noch immer für Nelson, das stimmt doch, Dad?« Jetzt sprach der Alte. Mit der Dunkelheit hatte seine Stimme beträchtlich an Kraft gewonnen.

»Ich betete für Nelson, und ich bete noch heute für ihn«, sagte er offen. »Solange er lebte, betete ich, er möge auf die eine oder andere Art Gottes Werk in der Welt tun. Ich glaubte daran, daß er das Zeug für große Dinge hatte. Drake würde sich immer durchschlagen. Er ist zäh. Aber das Licht über der Tür von >Lord's Life Mission« hätte nicht vergebens gebrannt, so dachte ich immer, wenn es Nelson Ko gelänge, in China die Grundlagen für eine gerechte Gesellschaft zu schaffen. Nelson mochte es Kommunismus nennen. Konnte es nennen, wie er wollte. Aber drei lange Jahre hindurch schenkten deine Mutter und ich ihm unsere christliche Liebe, und ich erlaube niemandem zu sagen, Doris, dir nicht und auch sonst niemandem, daß man das Licht der göttlichen Liebe für immer auslöschen kann. Sei es durch die Politik, sei es durch das Schwert.« Er holte tief Atem. »Und jetzt ist er tot, und ich bete für seine Seele, so wie ich für die Seele deiner Mutter bete«, sagte er, und es klang seltsamerweise weit weniger überzeugt. »Wenn das Papismus ist, ist es mir auch egal.« Connie war jetzt tatsächlich aufgestanden. Sie kannte die Grenzen, sie hatte das Auge, und sie befürchtete das Schlimmste von di Salis' Unbeherrschtheit. Aber wenn di Salis Witterung aufgenommen hatte, war er nicht mehr zu halten. »Es war also ein gewaltsamer Tod, nicht wahr? Politik und Schwert, sagten sie. Welche Politik? Hat Drake Ihnen das gesagt! Wirkliche Morde waren relativ selten, wie Sie wissen. Ich glaube, daß Sie uns etwas vorenthalten!«