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di Salis hatte sich ebenfalls erhoben, stand dicht neben Mr.  Hibbert und kläffte seine Fragen auf das weiße Haupt des alten Mannes hinunter, als wäre er bei einem Planspiel über Verhörtechnik in Sarratt.

»Sie waren sehr freundlich«, sagte Connie überschwenglich zu Doris. »Wir haben wirklich alles, was wir irgend benötigen könnten, und noch mehr. Ich bin überzeugt, mit der Adelsverleihung wird alles glatt gehen«, sagte sie, und ihre Stimme triefte von Warnungen zur Vorsicht an di Salis' Adresse. »Jetzt gehen wir aber, und tausend Dank Ihnen beiden.« Aber diesmal machte der Alte selber ihr Bemühen zunichte: »Und ein Jahr danach verlor er auch seinen zweiten Nelson, Gott tröste ihn, seinen kleinen Jungen«, sagte er. »Er wird ein einsamer Mann sein, unser Drake. Das war sein letzter Brief an uns, wie, Doris? >Beten Sie für meinen kleinen Nelson, Mr.  Hibbert<, schrieb er. Und das taten wir. Wollte, daß ich rüberfliege, um das Begräbnis zu übernehmen. Aber ich konnte nicht, ich weiß nicht warum. Ehrlich gesagt, hab' ich nie viel dafür übriggehabt, daß man Geld für Begräbnisse ausgibt.«

Hier stürzte di Salis sich buchstäblich auf seine Beute, und dies mit wahrhaft furchterregender Jagdlust. Er beugte sich über den alten Mann und war so in Fahrt, daß er mit seiner fiebrigen kleinen Hand ein Stück des Schals packte:

»Ah! Aha! Aber hat er Sie jemals gebeten, für Nelson senior zu beten? Antworten Sie.«

»Nein«, sagte der Alte nur. »Nein, hat er nicht.«

»Warum nicht? Natürlich weil er nicht wirklich tot war! In China kann man auf vielerlei Weise sterben, nicht wahr, und nicht jede ist unbedingt tödlich! In Ungnade gefallen: ist das nicht das bessere Wort?«

Seine Quäklaute flogen im Zimmer herum wie häßliche böse Geister.

»Doris, sie sollen gehen«, sagte der alte Mann ruhig zum Meer. »Sieh nach dem Fahrer, ja, mein Kind? Bestimmt hätten wir ihn reinholen sollen, aber es macht nichts.«

Sie standen in der Diele, um sich zu verabschieden. Der alte Mann war in seinem Lehnstuhl sitzengeblieben, und Doris hatte die Zimmertür geschlossen. Manchmal war Connies sechster Sinn erschreckend.

»Der Name Liese sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, wie, Miss  Hibbert?« fragte sie, während sie ihr Kostüm glattstrich. »In Mr. Kos Lebenslauf wird eine gewisse Liese erwähnt.« Doris verzog ärgerlich das ungeschminkte Gesicht. »Das ist Mutters Name«, sagte sie. »Sie war deutsch-lutherisch. Der Schuft hat sogar ihren Namen gestohlen, wie?« Mit Toby Esterhase am Steuer rasten Connie Sachs und Doc di Salis mit ihren erstaunlichen Neuigkeiten zurück zu George. Unterwegs jedoch kabbelten sie sich zunächst über di Salis' Mangel an Zurückhaltung. Besonders Toby Esterhase war empört, und Connie fürchtete ernstlich, daß der alte Mann an Ko schreiben könnte. Aber bald siegte das Gewicht ihrer Entdeckung über alle Ängste, und sie langten triumphierend vor den Toren ihrer geheimen Stadt an.

In seiner sicheren Burg feierte nun di Salis die Stunde seines Ruhms. Wieder einmal trommelte er die bleiche Schar seiner Gelben Gefahren zusammen und setzte sie auf eine ganze Palette von Erkundigungen an, so daß sie unter dem einen oder anderen Vorwand ganz London heimsuchten und Cambridge dazu. Im Herzen war di Salis ein Einsiedler. Niemand kannte ihn, außer vielleicht Connie, und wie Connie ihn nicht mochte, so mochte ihn auch niemand sonst. Er war ein schlechter Gesellschafter und manchmal lächerlich. Aber an seiner Jagdleidenschaft hatte niemand je gezweifelt.

Er durchschnüffelte alte Berichte der »Shanghai University of Communications«, chinesisch Chiao Tung genannt, deren Studenten nach dem Krieg von neununddreißig bis fünfundvierzig als militante Kommunisten bekannt waren, und konzentrierte sein Interesse auf das »Department of Marine Studies«, das in seinem Lehrplan sowohl Verwaltung wie Schiffsbau hatte. Aus beiden Sparten sortierte er Listen von führenden Parteimitgliedern vor und nach neunundvierzig heraus und schwitzte über den spärlichen Angaben zur Person jener, die mit der Leitung großer Unternehmen betraut wurden, Projekten, die technologisches Know-how erforderten: vor allem der Werft von Kiangnan, einer großen Sache, aus der die Kuomintang-Anhänger zu wiederholten Malen hatten ausgemerzt werden müssen. Nachdem er Listen mit mehreren tausend Namen beisammen hatte, legte er Akten über alle jene an, von denen man wußte, daß sie ihre Ausbildung an der Universität von Leningrad vervollkommnet hatten und danach in höheren Positionen wieder in der Werft aufgetaucht waren. Das Studium des Schiffsbaus dauerte in Leningrad drei Jahre. Nach di Salis' Berechnungen hätte Nelson sich mutmaßlich von dreiundfünfzig bis sechsundfünfzig dort aufgehalten und war danach offiziell dem Schanghaier städtischen Marinebauamt zugewiesen worden, das ihn dann an Kiangnan zurückgab. Ausgehend von der Annahme, daß Nelson nicht nur chinesische Vornamen hatte, die noch immer unbekannt waren, sondern sich höchstwahrscheinlich obendrein noch einen neuen Familiennamen zugelegt hatte, machte di Salis seine Gehilfen darauf aufmerksam, daß Nelsons Biographie aus zwei Teilen bestehen mochte, jeder unter einem anderen Namen. Sie sollten auf Abzweigungen achten. Er verschaffte sich auf Umwegen Listen von promovierten und eingeschriebenen Studenten sowohl an der Chiao Tung wie an der Leningrader Universität und brachte sie zur Deckung. Die Chinaspezialisten sind eine Rasse für sich, und ihre gemeinsamen Interessen überwinden Protokoll und nationale Unterschiede, di Salis hatte Verbindungen nicht nur in Cambridge und zu jedem Orient-Archiv, sondern auch nach Rom, Tokio und München. Er schrieb an sie alle, versteckte jedoch sein Anliegen unter einer Unmenge anderer Fragen. Sogar die Vettern hatten ihm, wie sich später herausstellte, unwissentlich ihre Akten zugänglich gemacht. Er stellte noch weitere und sogar noch geheimnisvollere Erkundigungen an. Er schickte Wühlmäuse zu den Baptisten, wo sie in den Berichten über ehemalige Zöglinge der Missionsschulen herumgruben, auf die geringe Chance hin, daß Nelsons chinesische Namen doch irgendwo aufgeschrieben und abgelegt sein könnten. Er ging allen Berichten über Todesfälle unter den mittleren Beamten der Schanghaier Schiffsbau-Industrie nach, deren er habhaft wurde.

Das war die erste Etappe seiner Mühen. Die zweite begann mit der, wie Connie sie nannte, Großen Barbarischen Kulturrevolution Mitte der sechziger Jahre und den Namen jener Beamten aus Schanghai, die aufgrund krimineller prorussischer Neigungen entfernt wurden, gedemütigt oder in die Schule des 7. Mai geschickt, wo sie die heilsame Wirkung der Landarbeit wiedererfahren konnten. Er konsultierte sogar die Listen der Leute, die in Umerziehungslager gesteckt worden waren - aber ohne viel Erfolg. Er prüfte, ob sich in den Ansprachen an die Roten Garden irgendwelche Anspielungen auf den verderblichen Einfluß einer baptistischen Erziehung auf diesen oder jenen in Ungnade gefallenen Beamten fänden, und er spielte komplizierte Spiele mit dem Namen Ko. Der Gedanke ließ ihn nicht los, daß Nelson bei seinem Namenswechsel auf ein anderes Schriftzeichen verfallen sein könnte, das den gleichen Laut- oder Bedeutungswert hatte wie das ursprüngliche. Aber als er Connie das erklären wollte, fand er kein Gehör.