»Vielen Dank, Marty«, sagte Smiley geduldig.
»Scheint, daß Ricardo doch noch lebt«, erklärte Sol. »Scheint, wir haben da ein erstklassiges Snafu.«
»Ein was?« fragte Smiley scharf, vielleicht ehe die volle Bedeutung von Sols Äußerung eingesickert war. Martello übersetzte flugs: »Völlige Verwirrung, George, menschliches Versagen. Passiert jedem von uns. Snafu. Auch Ihnen, okay?«
Guillam betrachtete Cys Schuhe, die einen gummiartigen Glanz und dicke Wülste hatten. Smileys Blick hatte sich zur Längswand gehoben, von wo Präsident Nixons wohlwollende Züge ermutigend auf den Dreibund herniederblickten. Nixon war vor einem guten halben Jahr zurückgetreten, aber Martello schien rührenderweise entschlossen zu sein, ihm die Treue zu halten. Murphy und sein stummer Begleiter saßen still wie Konfirmanden in Gegenwart des Bischofs. Nur Sol war in ständiger Bewegung, kratzte sich den krausen Skalp oder nuckelte an der Zigarette, wie eine sportliche Ausgabe von di Salis. Er lächelt nie, dachte Guillam abgelenkt: er hat vergessen, wie man das macht. Martello fuhr fort: »Ricardos Tod wird in unseren Akten formell als am oder um den einundzwanzigsten August eingetreten verzeichnet, George. Richtig?«
»Richtig«, sagte Smiley.
Martello holte Atem und neigte den Kopf nach der anderen Seite, während er seine Notizen verlas. »Aber, im September, äh, am zweiten - etwa vierzehn Tage nach seinem Tod, richtig? -, scheint Ricardo, äh, persönlichen Kontakt mit jemandem vom Drogendezernat im asiatischen Raum aufgenommen zu haben, damals als BNDD bekannt, aber ursprünglich die gleiche Firma, okay? Sol würde, äh, lieber nicht erwähnt haben, welche Stelle es genau war, und ich respektiere das.« Die Manie mit dem Äh, überlegte Guillam, war Martellos Masche, im Sprachfluß zu bleiben, während er nachdachte. »Ricardo bot dieser Stelle gegen Bezahlung Informationen bezüglich eines, äh, Opiumauftrags an, den er, wie er behauptete, erhalten habe: er sollte über die Grenze fliegen, nach, äh, Rotchina.«
Eine kalte Hand schien in diesem Augenblick nach Guillams Magen zu greifen und dort zu bleiben. Die Enthüllung wirkte um so drastischer auf ihn, als sie der langweiligen Einleitung aus so vielen nebensächlichen Einzelheiten folgte. Er sagte später zu Molly, es sei gewesen, als hätten sich »alle Fäden des Falls plötzlich zu einem einzigen Strang verflochten«. Aber das war in der Rückschau, und er übertrieb ein bißchen. Dennoch, der Schock - nach all der Geheimnistuerei und den Spekulationen und den Schnitzeljagden -, der durch nichts abgemilderte Schock, fast körperlich auf das chinesische Festland geschleudert zu werden, der war ganz bestimmt real und bedurfte keiner Übertreibung. Martello schlüpfte wieder in die Rolle des würdigen Anwalts. »George, ich muß hier für Sie noch einiges vom, äh, Familienbackground nachtragen. Während der Sache in Laos verwendete unsere Firma einige der nördlichen Bergstämme für kriegerische Zwecke, Sie wissen das vielleicht. Gleich droben in Burma, kennen Sie diesen Teil, die Shan-Staaten? Freiwillige, Sie verstehen? Eine Menge dieser Stämme waren Dörfer mit Ein-Frucht-Anbau, äh, Opiumdörfer, und im Interesse des dort herrschenden Krieges mußte unsere Firma - äh, well, ein Auge zudrücken bei etwas, das wir ohnehin nicht ändern konnten, Sie verstehen? Diese guten Leutchen mußten leben, und viele kannten gar nichts anderes und sahen auch nichts Böses darin, als diese, äh, Frucht anzubauen. Sie verstehen?«
»Herrgott«, sagte Sol leise. »Hast du gehört, Cy?«
»Hab's gehört, Sol.«
Smiley sagte, daß er verstehe.
»Dieses Verhalten der, äh, unserer Firma verursachte eine sehr kurze, sehr vorübergehende Verstimmung zwischen unserer Firma einerseits und den, äh, Rauschgiftfachleuten hier andererseits, vormals Bureau of Narcotics genannt. Weil, well, während Sols Jungens sich draußen herumschlugen, um den Drogenmißbrauch abzustellen, was absolut richtig ist, und um die Transporte, äh, abzufangen, was ihr Job ist, George, und ihre Pflicht, erforderte das Interesse unserer Firma - das heißt, das Interesse des Krieges - zu diesem Zeitpunkt, Sie verstehen, George, daß wir, well, äh, ein Auge zudrückten.«
»Die Firma hat für die Bergstämme den guten Onkel gespielt«, knurrte Sol. »Männer waren alle weg, kämpften im Krieg, die Leute von der Firma flogen hinauf zu den Dörfern, kassierten ihren Mohn, vögelten ihre Weiber und flogen mit ihrem Stoff davon.«
Martello war nicht so leicht aus dem Sattel zu heben: »Well, wir meinen, das stellt die Dinge ein bißchen zu kraß dar, Sol, aber die, äh, Verstimmung war in der Tat da, und das ist der Punkt, der unseren Freund George betrifft. Ricardo, der ist ein harter Brocken. Er flog eine Menge Einsätze für die Firma in Laos, und als der Krieg zu Ende war, zahlte unsere Firma ihn aus, machte Winke-Winke und zog die Leiter hoch. Niemand will solche Burschen auf dem Hals haben, wenn es keinen Krieg mehr für sie gibt. So wurde, äh, vielleicht zu diesem Zeitpunkt aus dem, äh, Wildhüter Ricardo der, äh, Wilderer Ricardo, wenn Sie mich verstehen.«
»Nicht vollständig«, gestand Smiley zahm. Sol hatte keine derartigen Skrupel in bezug auf bittere Wahrheiten. »Solang der Krieg dauerte, hat Ricardo die Drogenflüge für die Firma gemacht, damit oben in den Bergdörfern der Ofen nicht ausging. Nach dem Krieg flog er auf eigene Rechnung. Er hatte die Verbindungen, und er wußte, wo die Leichen im Keller lagen. Er machte sich selbständig, da? ist alles.«
»Vielen Dank«, sagte Smiley, und Sol fing wieder an, seinen Bürstenkopf zu kratzen.
Zum zweitenmal ging Martello zu der Geschichte von Ricardos verdrießlicher Auferstehung über.
Sie müssen es untereinander abgesprochen haben, dachte Guillam. Martello führt das Wort. »Smiley ist unser Kontaktmann«, hatte Martello vermutlich gesagt. »Wir drillen ihn nach unserer Fasson.«
Am zweiten September dreiundsiebzig, sagte Martello, habe ein namentlich nicht genannter Agent der Rauschgiftabteilung im südostasiatischen Raum, wie Martello den Mann beharrlich bezeichnete, »ein junger Mensch, ganz neu in der Branche, George«, in seiner Wohnung einen nächtlichen Telefonanruf von einem, wie der Anrufer sich nannte, Captain Tiny Ricardo erhalten, einem Mann, der bis dato für tot galt, früherem Laos-Söldner unter Captain Rocky. Ricardo bot eine ansehnliche Menge Rohopium zum ortsüblichen Ankaufspreis. Neben dem Opium jedoch hatte er heiße Informationen anzubieten, wofür er einen, wie er sagte, Schleuderpreis forderte. Im Klartext: fünfzigtausend US-Dollar in kleinen Scheinen und einen westdeutschen Paß mit einmaligem Ausreisevisum, Der namentlich nicht genannte Agent traf sich noch in der gleichen Nacht mit Ricardo auf einem Parkplatz, und sie wurden wegen des Opiumverkaufs rasch handelseins.
»Wollen Sie sagen, Ihr Agent hat dieses Opium gekauft?« fragte Smiley höchst erstaunt.
»Sol sagt mir, es gebe einen, äh, festen Tarif für solche Geschäfte - stimmt's Sol? -, der allen Beteiligten bekannt ist und soundsoviel Prozent des, äh, Schwarzmarktwerts der Ware beträgt, stimmt's?« Sol knurrte bestätigend. »Der, äh, namentlich nicht genannte Agent war befugt, zu diesem Tarif einzukaufen, und er machte von der Befugnis Gebrauch. Kein Problem. Der Agent erklärte sich auch, äh, einverstanden - vorbehaltlich der Genehmigung von oben -, Ricardo Papiere mit beschränkter Gültigkeitsdauer zu verschaffen, George« - er meinte, wie sich später herausstellte, einen nur für wenige Tage gültigen westdeutschen Reisepaß -, »wenn sich - was noch nicht feststeht, verstehen Sie, George - Ricardos Information als entsprechend wertvoll erweisen sollte, denn es gehört zur Arbeitsmethode, Informanten um jeden Preis zu ermutigen. Aber der Agent machte Ricardo klar, daß der ganze Handel - Paß und Bezahlung für die Information - erst der Ratifizierung durch Sols Leute zu Hause im Hauptquartier bedürfe. Er kaufte also das Opium, aber noch nicht die Information. Stimmt's, Sol?«