Bis hierher hatte Guillam den Eindruck gehabt, daß Martello das Heft in der Hand hatte. Sols Jungens hatten Blödsinn gemacht, sagte er, aber die Vettern sind ungemein großzügig und willens, den Versöhnungskuß zu bieten und wieder gut zu sein. In der postkoitalen Ruhe, die auf Martellos Enthüllungen folgte, konnte dieser irrige Eindruck sich noch eine Weile halten. »Also, äh, George, ich würde sagen, daß wir in Zukunft - Sie, wir und Sol - auf uneingeschränkte Zusammenarbeit aller unserer Dienststellen zählen dürfen. Ich möchte sagen, daß die Sache eine durchaus positive Seite hatte. Stimmt's, George? Konstruktiv.« Aber Smiley, der wiederum völlig entrückt war, hob nur die Brauen und schürzte die Lippen.
»Noch was auf dem Herzen, George?« fragte Martello. »Ich sagte: haben Sie noch was auf dem Herzen?«
»Oh, vielen Dank. Beechcraft«, sagte Smiley. »Ist das ein einmotoriges Flugzeug?«
»Ach du grüne Neune«, murmelte Sol.
»Zweimotorig, George, zweimotorig«, sagte Martello. »So eine Art Managervogel.«
»Und das Gewicht der Opiumladung war vierhundert Kilo, besagt der Bericht.«
»Knapp eine halbe Tonne, George«, sagte Martello gütiger denn je. »Eine metrische Tonne«, fügte er vorsichtshalber hinzu, als er Smileys verdüsterte Züge sah. »Natürlich nicht Ihre englische Tonne, George. Metrische Tonne.«
»Und wo sollte es befördert werden - das Opium, meine ich?«
»Kabine«, sagte Sol. »Dürften wohl die übrigen Sessel ausgebaut haben. Beechcrafts haben verschiedene Modelle. Wir wissen nicht, um welches es sich hier handelt, weil wir es nie zu sehen kriegten.«
Smiley linste wieder auf die Kopie, die er noch immer fest in seinen Patschhänden hielt. »Ja«, murmelte er. »Ja, ich nehme an, das haben sie gemacht.« Und er malte mit einem goldenen Bleistift eine kleine Hieroglyphe an den Rand, ehe er wieder in seine Träumerei verfiel.
»So«, sagte Martello strahlend. »Jetzt sollten wir Arbeitsbienen vielleicht wieder zurück in unsere Stöcke und sehen, wohin uns das bringt, stimmt's, Pete?«
Guillam war gerade am Aufstehen, als Sol sprach. Sol besaß die seltene und ziemlich schreckliche Gabe natürlicher Grobheit. Nichts an ihm hatte sich verändert. Er war keineswegs außer sich. Es war einfach seine Art zu sprechen, seine Art zu arbeiten, und jede andere Art langweilte ihn ganz offenkundig: »Herrgott, Martello, was für ein Affentheater geht denn hier vor? Dies ist die Große Sache, ja? Wir haben den Finger auf das vielleicht bedeutendste Einzelziel in puncto Rauschgift im ganzen südostasiatischen Raum gelegt. Okay, also Gemeinschaftsarbeit. Die Firma ist endlich mit Rauschgift ins Bett gegangen, weil sie uns für die Sache mit den Bergstämmen entschädigen muß. Glauben Sie bloß nicht, daß mich das von Sinnen bringt. Okay, wir haben also mit den Briten ein Stillhalteabkommen betreffs Hongkong. Aber Thailand gehört uns, dito die Philippinen, dito Taiwan, dito der ganze verdammte Sektor, dito der Krieg, und die Briten sitzen auf ihren Ärschen. Vor vier Monaten tauchten die Briten auf und machten ihr Angebot. Großartig, überlassen wir's den Briten. Und was tun sie die ganze Zeit? Schlagen Schaum für ihre rosigen Backen. Wann fangen sie endlich mit dem Rasieren an, um Gottes willen? Wir haben Geld in dieser Sache stecken. Wir haben einen ganzen Apparat Gewehr bei Fuß stehen, der bereit ist, Kos Verbindungen auf der ganzen Hemisphäre zu zerschlagen. Wir suchen seit Jahren nach einem Burschen wie dem da. Und wir können ihn festnageln. Wir haben genügend rechtliche Handhabe - und was haben wir für Handhaben! -, um ihm zwischen zehn und dreißig Jahren zu verschaffen und jede Menge mehr! Wir haben ihn wegen Drogen, wir haben ihn wegen Waffen, wegen Schmuggelware, wir haben die verdammt fetteste Fuhre an rotem Gold, die wir Moskau in unserem ganzen Leber jemals einem einzelnen Mann haben aushändigen sahen, und wir haben den allerersten Beweis - wenn dieser Ricardo eine wahre Geschichte erzählt - für ein von Moskau finanziertes Drogen-Subversionsprogramm, das in der Lage und willens ist, den Kampf nach Rotchina hineinzutragen in der Hoffnung, ihnen das gleiche anzutun, was sie bereits uns antun.«
Der Ausbruch hatte Smiley aufgeschreckt wie eine kalte Dusche. Er richtete sich an der Sesselkante auf, den Bericht des Rauschgift-Agenten in der Hand zerknüllt, und starrte entgeistert zuerst Sol an, dann Martello.
»Marty«, murmelte er. »O mein Gott. Nein.«
Guillam zeigte größere Geistesgegenwart, Zumindest machte er einen Einwand:
»Sie müßten eine halbe Tonne schon schrecklich dünn ausstreuen, wie, Sol, wenn achthundert Millionen Chinesen davon süchtig werden sollen?«
Aber Sol hatte keinen Sinn für Humor und auch keinen für Einwände, und schon gar nicht, wenn sie von einem rosigen Briten kamen.
»Und packen wir ihn an der Gurgel?« fragte er unbeirrbar. »Einen Dreck. Wir schleichen um den Brei. Wir halten uns abseits. »Behutsam vorgehen. Es ist ein britisches Spiel. Ihr Territorium, ihr Mann, ihre Veranstaltung.« Wir treten also auf der Stelle, tänzeln rum. Wir taumeln wie die Schmetterlinge und stechen auch so. Herrje, wenn wir diese Sache gekriegt hätten, das Schwein wäre schon vor Monaten über ein Faß geschnallt worden.« Er hieb mit der flachen Hand auf den Tisch und benutzte dann den rhetorischen Trick, das Gesagte mit anderen Worten zu wiederholen. »Zum erstenmal im Leben haben wir einen hochkarätigen kommunistischen Schädling im Fadenkreuz, der mit Rauschgift schiebt und die ganze Gegend unsicher macht und russisches Geld nimmt, und wir können es beweisen!« Der ganze Wortschwall war an Martello gerichtet: Smiley und Guillam hätten genausogut nicht anwesend sein können. »Und bedenken Sie gefälligst noch eins«, riet er Martello abschließend: »Ein paar große Leute bei uns wollen hier Ergebnisse sehen. Ungeduldige Leute. Einflußreiche. Leute, die sehr ungehalten sind über die zweifelhafte Rolle, die Ihre Firma indirekt bei der Beschaffung von Drogen und dem Verhökern an unsere Jungens in Vietnam gespielt hat, was der Grund ist, daß Sie uns überhaupt hier mittun lassen. Sie sollten also vielleicht Ihren Luxus-Liberalen drüben in Langley, Virginia, ausrichten, es ist höchste Zeit, daß sie scheißen oder vom Topf aufstehen.«
Smiley war so blaß geworden, daß Guillam sich ernstlich um ihn Sorgen machte. Er überlegte, ob er einen Herzanfall erlitten habe oder in Ohnmacht fallen würde. Von Guillam aus gesehen waren Smileys Teint und Wangen plötzlich die eines alten Mannes, und in seinen Augen glomm, als auch er sich ausschließlich an Martello wandte, greisenhaftes Feuer.
»Dennoch, es besteht ein Abkommen. Und solange es gilt, verlasse ich mich darauf, daß Sie es einhalten. Wir haben von Ihnen die uneingeschränkte Erklärung, daß Sie sich aller Operationen im britischen Bereich enthalten, sofern nicht unsere Genehmigung ausdrücklich erteilt wurde. Wir haben ferner Ihre spezielle Zusicherung, daß Sie die gesamte Entwicklung dieses Falles uns überlassen, ohne jede Kontrolle oder Weisung irgendwelcher Art, gleichgültig, wohin diese Entwicklung führt. Das war der Vertrag. Völlig freie Hand und als Gegenleistung völlige Einsicht in das Ergebnis. Ich fasse das so auf: keinerlei Aktion von Seiten Langleys und keinerlei Aktion von Seiten irgendeiner anderen amerikanischen Dienststelle. Ich gehe davon aus, daß dies Ihr unverbrüchliches Wort ist. Und ich gehe davon aus, daß Ihr Wort noch immer gilt, und ich betrachte diese Übereinkunft als unwiderruflich.«