»Sagen Sie's ihm«, sagte Sol und marschierte hinaus, gefolgt von seinem bläßlichen Begleit-Mormonen. An der Tür drehte ersieh um und deutete mit einem Finger auf Smiley. »Sie fahren in unserem Wagen, und wir sagen Ihnen, wann Sie aussteigen können und wann Sie an Deck bleiben«, sagte er.
Der Mormone nickte: »Klarer Fall« und lächelte Guillam wie einladend an. Auf ein Nicken Martellos hin verließen Murphy und sein stummer Genosse hinter den beiden anderen den Raum.
Martello goß Drinks ein. Die Wände seines Büros waren auch aus Rosenholz - imitiertem Rosenholzfurnier, wie Guillam feststellte -, und als Martello ah einem Griff zog, legte er einen Eis-Automaten frei, der einen ständigen Hagel von Kugeln in der Art von Rugby-Bällen ausspie. Er goß drei Whiskys ein, ohne die beiden zu fragen, was sie wollten. Smiley sah völlig fertig aus. Die pummeligen Hände umklammerten noch immer die Lehnen des Flugzeugsessels, aber er saß zurückgelehnt wie ein ausgepumpter Boxer zwischen den Runden und starrte zum Plafond, der mit blinzelnden Lichtern bestückt war. Martello stellte die Gläser auf den Tisch.
»Vielen Dank, Sir«, sagte Guillam. Martello hörte ein »Sir« immer gern.
»Aber bitte«, sagte Martello.
»Wem hat Ihr Hauptquartier sonst noch Mitteilung davon gemacht?« sagte Smiley zu den Sternen. »Der Steuer? Dem Zoll? Dem Bürgermeister von Chicago? Ihren zwölf besten Freunden? Ist Ihnen klar, daß nicht einmal meine Vorgesetzten von unserer Zusammenarbeit mit Ihnen wissen? Gott im Himmel!«
»Ach, nun kommen Sie schon, George. Wir müssen Politik machen, genau wie Sie. Wir müssen Zusagen einhalten. Stimmen kaufen. Rauschgift lechzt nach unserem Blut. Diese Drogengeschichte hat im Capitol eine Menge Sendezeit gekriegt. Senatoren, die Unterausschüsse, der ganze Quatsch. Junge kommt als toller Fixer aus dem Krieg zurück. Das erste, was sein Papa tut, ist, an den Abgeordneten schreiben. Unsere Firma reißt sich nicht um alle diese üblen Gerüchte. Sie' hat ihre Freunde gern auf der eigenen Seite. Das ist Showbusiness, George.«
»Dürfte ich bitte nur erfahren, wie der Handel lautet?« fragte Smiley. »Könnte ich es wenigstens in klaren Worten erfahren?«
»Aber, aber, es gibt keinen Handel, George. Langley kann nicht mit etwas handeln, was es nicht besitzt, und dies hier ist Ihr Fall, Ihr Eigentum, Ihr . . . Wir angeln nach ihm -, Sie ebenfalls, mit einem bißchen Nachhilfe von unserer Seite, mag sein -, wir tun unser Möglichstes und dann, wenn wir, äh, keine Resultate aufweisen können, nun, dann wird Rauschgift auch ein bißchen mitmischen und, auf sehr freundschaftliche und zurückhaltende Art, sein Glück versuchen.«
»Womit die Jagd allgemein eröffnet wäre«, sagte Smiley. »Lieber Himmel, was für eine Methode, einen Fall zu verfolgen.« Im Beschwichtigen war Martello wirklich eine Kanone: »George, George. Angenommen, sie nageln Ko fest. Angenommen, sie packen ihn aus heiterem Himmel, wenn er das nächstemal die Kolonie verläßt. Wenn Ko dann in Sing-Sing schmachtet, mit zehn bis dreißig Jahren auf dem Buckel, na, dann können wir in aller Ruhe alles aus ihm rausholen. Ist das mit einemmal so furchtbar schlimm?«
Ja, das ist es, verdammt nochmal, dachte Guillam. Bis ihm plötzlich mit recht boshafter Freude einfiel, daß Martello keine Ahnung von Bruder Nelson hatte und daß George seine beste Karte im Ärmel behielt.
Smiley saß noch immer vorgebeugt da. Das Eis fn seinem Whisky hatte die Außenseite des Glases beschlagen, und eine Zeitlang starrte er darauf und beobachtete, wie die Tränen bis auf den Rosenholztisch herabrannen.
»W'e lange haben wir also für unseren Alleingang Zeit?« fragte Smiley. »Wieviel Vorgabe haben wir, ehe die Rauschgiftleute hereinplatzen?«
»Wir sind nicht unbeweglich, George. Das auf keinen Fall. Es ist eine Frage der Parameter, wie Cy sagte.«
»Drei Monate?«
»Das ist reichlich, ein bißchen reichlich.«
»Weniger als drei Monate?«
»Drei Monate, innerhalb von drei Monaten, zehn bis zwölf Wochen - so in dieser Spanne, George. Bleiben wir elastisch. Eine Sache unter Freunden. Drei Monate höchstens, würde ich sagen.« Smiley atmete mit einem langen Seufzer aus. »Gestern hatten wir noch endlos viel Zeit.«
Martello ließ den Schleier ein paar Zoll weit fallen. »Sol ist nicht so völlig im Verständnis, George«, sagte er, diesmal im besten Circus-Jargon, »äh, Sol hat weiße Flecken«, sagte er, wie als halbes Zugeständnis. »Wir werfen ihm einfach nicht die ganze Strecke vor, wissen Sie, was ich meine?«
Martello schwieg eine Weile und sagte dann:
»Sol reicht bis Stufe eins. Nicht weiter. Glauben Sie mir.«
»Und was bedeutet Stufe eins?«
»Er weiß, daß Ko von Moskau kassiert. Weiß, daß er Opium schiebt. Das ist alles.«
»Weiß er von dem Mädchen?«
»Also, sie ist ein typisches Beispiel, George. Das Mädchen. Dieses Mädchen flog mit ihm nach Bangkok. Erinnern Sie sich, wie Murphys Bericht die Reise nach Bangkok schilderte? Sie wohnte bei ihm in der Hotelsuite. Sie flog mit ihm weiter nach Manila. Ich sah, wie Sie mich an dieser Stelle anblickten. Fing Ihren Blick auf. Aber wir hatten Murphy angewiesen, diesen Teil des Berichts zu streichen. Sols wegen.« Ganz sachte schien Smiley aufzuatmen. »Der Handel steht, George«, versicherte Martello ihm leutselig. »Nichts hinzugefügt, nichts abgezogen. Sie drillen den Fisch, wir helfen Ihnen, ihn aufzuessen. Und inzwischen jede Hilfe, einfach grünes Telefon abheben und ins Horn stoßen.« Er ging so weit, eine tröstende Hand auf Smileys Schulter zu legen, nahm sie aber schleunigst wieder weg, da er fühlte, daß diese Geste unwillkommen war. »Aber, falls Sie uns jemals doch die Ruder überlassen wollten, dann würden wir die Abmachung ganz einfach umkehren und -«
»- uns die Trümpfe aus der Hand nehmen und euch zu allem Überfluß aus der Kolonie- rauswerfen lassen«, ergänzte Smiley den Satz für ihn. »Ich möchte noch eines klargestellt wissen. Ich möchte es schriftlich haben. Ich möchte, daß es Gegenstand einer Korrespondenz zwischen uns beiden ist.«
»Ihre Jagdpartie, Sie suchen das Wild aus«, sagte Martello überschwenglich.
»Meine Dienststelle wird den Fisch drillen«, beharrte Smiley in gleichbleibend direktem Ton. »Wir werden ihn auch an Land ziehen, wenn das der korrekte Anglerausdruck ist. Ich bin leider kein Sportsmann.«
»An Land ziehen, auf den Strand setzen, durchhaken, klar.« Für Guillams argwöhnisches Auge begann Martellos guter Wille an den Kanten leicht abzustoßen.
»Ich bestehe darauf, daß es unsere Operation ist. Unser Mann. Ich bestehe auf weiteren Rechten. Ihn festzuhalten und zu behalten, bis uns der Zeitpunkt gekommen scheint, ihn weiterzugeben.«
»Kein Problem, George, überhaupt kein Problem. Sie nehmen ihn an Bord, er gehört Ihnen. Sobald Sie ihn teilen wollen, rufen Sie uns an. Alles ganz einfach.«
»Ich schicke morgen vormittag eine schriftliche Bestätigung herüber.«
»Ach, machen Sie sich damit keine Mühe, George. Wir haben genügend Leute. Wir lassen sie bei Ihnen abholen.«
»Ich schicke sie herüber«, sagte Smiley. Martello stand auf:
»George, Sie haben einen guten Vertrag abgeschlossen.«
»Ich hatte schon einen«, sagte Smiley. »Langley hat ihn gebrochen.«
Sie- schüttelten einander die Hände.
In der Geschichte dieses Falles kommt ein solcher Augenblick kein zweitesmal vor. Er läuft in der Branche unter verschiedenen smarten Bezeichnungen. »Der Tag, an dem George den Spieß umdrehte«, ist eine davon - obwohl es ihn gut eine Woche kostete und Martellos Termin entsprechend näherrückte. Für Guillam bedeutete der Vorgang etwas viel Imposanteres, etwas viel Schöneres als ein rein technisches Vertauschen der Vorzeichen. Während er allmählich Smileys Absicht begriff, während er fasziniert zusah, wie Smiley mit peinlichster Genauigkeit seine Angelschnüre auslegte, diesen oder jenen Mitarbeiter zu sich rief, hier einen Haken herausnahm, dort eine Klampe einsetzte, hatte Guillam das Gefühl, einem Ozeanriesen beim Wenden zuzusehen, der gelockt, gestoppt, bugsiert wird, bis er sich hundertachzig Grad um die eigene Achse gedreht hat.