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Kurzum, Jerry zeigte die klassischen post-operativen Symptome eines Außenagenten. Eine Art Schuldgefühl, gepaart mit bösen Ahnungen, eine unwillkürliche Hinwendung zur Zielperson: alles so vorhersehbar wie der Tränenausbruch eines Sportlers nach dem großen Rennen.

Bei ihrer nächsten Fühlungnahme - einem ausgedehnten Kassiberverkehr per Telefon an Tag zwei, in dessen Verlauf Craw, um Jerry aufzumuntern, ihm Smileys wärmste persönliche Glückwünsche übermittelte, obwohl sie damals vom Circus noch nicht eingegangen waren - hörte Jerry sich insgesamt besser an, machte sich allerdings Sorgen um seine Tochter Cat. Er habe ihren Geburtstag verpaßt - der morgen sei, sagte er - und bitte darum, daß der Circus ihr sofort einen japanischen Kassettenrecorder schicke, dazu einen Schwung Kassetten, als Grundstock für eine Sammlung. Craws Telegramm an Smiley benennt die Kassetten und ersucht um augenblickliche Erledigung durch die Housekeepers, und bittet ferner darum, daß die Schusterwerkstatt - mit anderen Worten die Fälscher des Circus - eine Begleitkarte in Jerrys Handschrift fabrizieren möge, Text anbei: »Liebste Cat. Bat einen Freund, dieses Päckchen in London aufzugeben. Paß gut auf Dich auf, mein Liebstes, und sei herzlich gegrüßt, jetzt und immer, Pa.« Smiley genehmigte den Kauf, instruierte die Housekeepers, die Kosten direkt von Jerrys Salär abzuziehen. Er prüfte das Paket persönlich, ehe es abging, und billigte die gefälschte Karte. Er stellte ferner fest, was er und Craw bereits geargwöhnt hatten, daß Cats Geburtstag weder jetzt noch in naher Zukunft war. Jerry hatte einfach das Bedürfnis gehabt, jemandem etwas Liebes zu tun: auch dies ein normales Symptom zeitweiliger Dienstmüdigkeit. Smiley kabelte an Craw, er solle Jerry nicht aus den Augen lassen, aber die Initiative lag bei Jerry, und Jerry meldete sich erst wieder am Abend von Tag fünf, als er einen Blitztreff innerhalb der nächsten Stunde forderte und bekam. Dieser Treff fand, wie immer nach Einbruch der Dunkelheit, in einer Raststätte in den New Territories statt, die Tag und Nacht geöffnet war. Zufällige Begegnung zweier alter Kollegen. Craws Brief mit dem Vermerk »Persönlich nur an Smiley« war die Ergänzung zu seinem Telegramm. Er gelangte durch den Kurier der Vettern zwei Tage nach der darin beschriebenen Episode in den Circus, also am Tag sieben. Craw hatte ihn, in der Annahme, daß die Vettern alles tun würden um den Text trotz Siegel und anderer Vorrichtungen zu lesen, mit Umschreibungen, Arbeitsnamen und Deckwörtern gespickt, die hier im Klartext wiedergegeben sind:

Westerby war sehr ärgerlich. Er wollte zum Teufel wissen, was Sam Collins in Hongkong zu suchen habe und inwiefern Collins in den Fall Ko verwickelt sei. Ich habe ihn noch nie so aufgebracht gesehen. Ich fragte ihn, wie er darauf komme, daß Collins in der Gegend sei. Er antwortete, er habe ihn an diesem Abend gesehen - genau um elf Uhr fünfzehn -, wie er in einem geparkten Auto in den Midlevels gesessen habe, auf einer ansteigenden Straße direkt unterhalb von Star Heights, unter einer Straßenlaterne, und eine Zeitung las. Von dem Standplatz, den Collins gewählt habe, sagte Westerby, habe er Lizzie Worthingtons Fenster im achten Stock direkt übersehen können, und Westerby sei der Meinung, Sam betreibe irgendeine Art von Beschattung. Westerby, der damals zu Fuß unterwegs war, versichert, er wäre »verdammt um ein Haar zu Sam hingegangen, um ihn geradeheraus zu fragen«. Aber die Sarratt-Disziplin hatte gehalten, und er marschierte weiter hügelab und blieb auf seiner Straßenseite. Aber er behauptet steif und fest, Collins habe, sobald er ihn sah, den Motor gestartet und sei bergauf davongebraust. Westerby hat die Zulassungsnummer, und sie stimmt natürlich. Das übrige bestätigt Collins.

Gemäß unserer diesbezüglichen Absprache (Ihr Telegramm vom 15. Febr.) gab ich Westerby folgende Antworten:

1) Selbst wenn es Collins gewesen sein sollte, so habe der Circus nichts damit zu tun. Collins habe den Circus vor dem Sündenfall unter nicht näher bekannten Umständen verlassen, er sei als Spieler, Vagant, Traffikant etc. bekannt, und der Ferne Osten sei schon immer sein Betätigungsfeld gewesen. Ich sagte zu Westerby, er sei ein Vollidiot, wenn er glaube, daß Collins noch immer auf der Gehaltsliste stehe oder sogar irgendwie am Fall Ko beteiligt sei.

2) Collins ist von der Physiognomie her ein Typus, sagte ich: regelmäßige Züge, Schnurrbärtchen, etc., sehe aus wie fünfzig Prozent aller Zuhälter in London. Ich bezweifele, ob Westerby ihn über die Fahrbahn hinweg um ein Viertel nach elf Uhr nachts wirklich mit Sicherheit habe identifizieren können. Worauf Westerby erwiderte, sein Sehvermögen sei 1A, und Sam habe die Zeitung auf der Rennseite aufgeschlagen gehabt. 3 J Und überhaupt, so fragte ich, was habe Westerby selber um ein Viertel nach elf Uhr nachts in der Gegend von Star Heights herumzubummeln gehabt. Antwort: er sei von einem Gläschen mit der UPI-Bande gekommen und habe gehofft, ein Taxi zu erwischen. Hierauf tat ich empört und sagte, niemand, der bei einer UPI-Sauferei gewesen sei, könne auf fünf Schritt einen Elefanten ausmachen und schon gar nicht Sam Collins auf fünfundzwanzig, in einem Auto, in stockfinsterer Nacht. Damit wäre es ausgestanden - hoffentlich.«

Daß Smiley über diesen Zwischenfall ernstlich beunruhigt war, versteht sich von selbst. Nur vier Leute wußten von der Collins-Sache: Smiley, Connie Sachs, Craw und Sam selber. Daß Jerry ihn zufällig entdeckt haben konnte, lieferte zusätzlichen Grund zur Besorgnis bei einer Operation, die ohnehin schon voller Unwägbarkeiten steckte. Aber Craw war geschickt, und Craw glaubte, Jerry die Grillen ausgeredet zu haben, und Craw war der Mann vor Ort. Höchstens hätte es noch die Möglichkeit gegeben, aber nur in einer absolut perfekten Welt, daß Craw es sich hätte angelegen sein lassen, nachzuprüfen, ob in jener Nacht wirklich in den Midlevels eine UPI-Party stattgefunen habe - und dann erfahren hätte, daß dies nicht der Fall war und sich daraufhin Jerry nochmals vorgenommen und ihn seine Anwesenheit in der Gegend von Star Heights hätte erklären lassen, und in diesem Fall hätte Jerry vermutlich einen Wutanfall gekriegt und irgendeine neue Geschichte aufgetischt, die nicht nachprüfbar gewesen wäre: daß er zum Beispiel mit einer Frau zusammengewesen sei und daß Craw sich um seinen eigenen Dreck kümmern solle. Woraus nichts weiter resultiert hätte als unnötig böses Blut und im übrigen die gleiche Entweder-oder-Situation wie zuvor. Es ist gleichfalls verlockend, aber unvernünftig, von Smiley, auf dem schon so viele Probleme lasteten - die fortgesetzte und nicht endenwollende Suche nach Nelson, tägliche Sitzungen mit den Vettern, Nachhutgefechte in den Whitehall-Korridoren -, zu erwarten, daß er die Parallele zu seiner eigenen Erfahrung der Einsamkeit hergestellt hätte: nämlich daß Jerry, dem an jenem Abend weder nach Schlaf noch nach Geselligkeit zumute war, durch die nächtlichen Straßen wanderte, bis er sich vor dem Wohnblock fand, in dem Lizzie lebte, und dort herumstrich, genau wie Smiley es bei seinen eigenen Nachtwanderungen tat, ohne genau zu wissen, was er wollte, außer der minimalen Chance, einen Blick auf sie zu erhaschen.