»Und einer der vier Dunkelschreiter?«
»… Ja.«
»Unser Publikum ist sich vielleicht nicht bewusst, dass eine derart ausgezeichnete Person hinter der ›Kinderstunde‹ steht. Sie sind einer von vier, die tatsächlich das Tiefste Dunkel erblickt haben. Nichts ist für Sie geheimnisvoll.« Trixia setzte zur Antwort an, doch Xopi als Pedure überrollte ihre Worte einfach. »Ich wage zu behaupten, dass das einen großen Teil Ihres Irrtums erklärt. Sie sind blind für das Streben früherer Generationen und wie sie langsam gelernt haben, was in den Dingen der Spinnheit tödlich und was sicher ist. Es gibt Gründe für das Moralgesetz, mein Herr! Ohne Moralgesetz werden diejenigen, die fleißig Vorräte angelegt haben, am Ende der Jahre des Schwindens von den Faulen ausgeraubt. Ohne Moralgesetz werden Unschuldige in ihren Tiefen von denen massakriert, die als Erste aufwachen. Wir alle wollen viele Dinge, doch manche davon sind für alle Wünsche von Grund auf zerstörerisch.«
»Das Letztere ist wahr, Dame Pedure. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich will darauf hinaus, dass es Gründe für Regeln gibt, insbesondere für die Regeln gegen Unzeitlinge. Als Dunkelschreiter glauben Sie über den Dingen zu stehen, doch selbst Sie müssen wissen, dass das Dunkel der große Erneuerer ist. Ich habe Ihren Kindern zugehört. Ich habe sie im Kontrollraum des Toningenieurs beobachtet. In ihrem Geheimnis ist ein Skandal verborgen, wenn auch keine Überraschung. Mindestens eins von Ihren Kindern — es heißt Brent? — ist ein Kretin, nicht wahr?«
Xopi hörte zu reden auf, doch Trixia antwortete nicht. Ihr Blick war stetig; sie hatte keine Mühe, mit den Zwischenschichten-Daten Schritt zu halten. Und plötzlich empfand Ezr einen überaus seltsamen Wechsel der Perspektive, wie einen Wechsel des angenommenen Unten, doch ungleich intensiver. Er wurde nicht von den Worten der Übersetzer oder auch nur von der Emotion in den Worten ausgelöst. Es war das… Schweigen. Zum ersten Mal begriff Ezr eine Spinne als Person, als eine Person, die verletzt werden konnte.
Die Stille dauerte noch etliche Sekunden. »Ha«, sagte Silipan. »Damit wäre eine Menge Vermutungen ziemlich gut bestätigt. Die Spinnen pflanzen sich in großen Gruppen fort, und dann bringt Mutter Natur während des Dunkels die Schwachen um. Elegant.«
Liao verzog das Gesicht. »Na ja, wird wohl so sein.« Ihre Hand langte nach der Schulter ihres Mannes.
Zinmin Broute unterbrach abrupt das Schweigen. »Meister Unterberg, wollen Sie auf die Frage der Geehrten Pedure antworten?«
»Ja.« Das Zittern in Trixias Stimme war deutlicher als zuvor. »Brent ist kein Kretin. Er ist nicht sprachlich orientiert und lernt anders als andere Kinder.« Begeisterung kam in seine Stimme, und es gab den Anflug eines Lächelns. »Intelligenz ist etwas so Bemerkenswertes. In Brent sehe ich…«
Xopi fiel ihr ins Wort. »Ich sehe in Brent die klassische Missgeburt eines Unzeit-Kindes. Meine Freunde, ich weiß, dass die Macht der Kirche jetzt in dieser Generation Einbußen erleidet. Es gibt so viele Veränderungen, und die althergebrachte Weise gilt so oft als tyrannisch. In früheren Zeiten konnte ein Kind wie Brent nur in abgelegenen Siedlungen vorkommen, wo es immer Barbarei und Perversion gegeben hat. In früheren Zeiten war es leicht, zu erklären: ›Die Eltern haben sich vom Dunkel abgewandt, wie es nicht einmal Tiere täten. Sie haben den armen Brent auf die Welt gebracht, damit er ein paar Jahre das Leben eines Krüppels führt, und man sollte sie von Rechts wegen für ihre Grausamkeit verabscheuen.‹ Doch zu unserer Zeit ist es ein Intellektueller wie Unterberg« — ein Nicken zu Trixia hin —, »der diese Sünde begeht. Er lässt Sie über die Tradition lachen, und ich muss ihn mit seinen eigenen Argumenten bekämpfen. Sehen Sie sich dieses Kind an, Meister Unterberg. Wie viele von seiner Sorte haben sie noch in die Welt gesetzt?«
Trixia: »Alle meine Kupplis…«
»Klar doch. Zweifellos hat es noch mehr Missgeburten gegeben. Sie haben sechs, von denen wir wissen. Wie viele gibt es außerdem? Bringen Sie die offensichtlichen Missgeburten um? Wenn die Welt ihrer Perversion folgt, wird die Zivilisation untergehen, noch ehe auch nur das nächste Dunkel kommt, erstickt von Horden missgeborener, verkrüppelter Kupplinge.« In dieser Art machte Pedure noch eine Weile weiter. Eigentlich hatte sie sehr konkrete Beschwerden: Missgeburten, Übervölkerung, erzwungene Tötungen, Revolten in Tiefen bei Beginn des Dunkels — das alles wäre die Folge, wenn es eine populäre Bewegung hin zu Unzeit-Geburten gäbe. Xopi rasselte das herunter, bis sie sichtlich außer Atem war.
Broute wandte sich an Trixia als Unterberg: »Und Ihre Erwiderung?«
Trixia: »Ach, wie schön, dass ich etwas erwidern kann.« Trixia lächelte wieder, ihr Tonfall war fast so locker wie zu Beginn der Sendung. Wenn Unterberg von dem Angriff aus der Bahn geworfen worden war, so hatte ihm vielleicht Pedures lange Rede Zeit gegeben, zu sich zu kommen. »Zunächst, alle meine Kinder leben. Es gibt nur sechs. Das sollte nicht überraschen. Es ist schwer, außer der Zeit Kinder zu empfangen. Ich bin sicher, dass jeder das weiß. Es ist auch sehr schwierig, die außer der Zeit zur Welt gekommenen Babyschnüre lange genug zu ernähren, dass sie Augen entwickeln. Die Natur zieht es in der Tat vor, dass Kupplis unmittelbar vor dem Dunkel gemacht werden.«
Xopi beugte sich vor und sprach laut. »Aufgemerkt, Freunde! Unterberg gibt soeben zu, dass er Verbrechen gegen die Natur begeht!«
»Keineswegs. Die Evolution hat uns innerhalb der Natur überleben und gedeihen lassen. Doch die Zeiten ändern sich…«
Xopi klang sarkastisch: »Die Zeiten ändern sich also? Die Wissenschaft hat aus Ihnen einen Dunkelschreiter gemacht, und jetzt stehen Sie über der Natur?«
Trixia lachte. »Oh, ich bin noch ganz und gar ein Teil der Natur. Doch selbst vor der Technik — wussten Sie, dass vor zehn Millionen Jahren die Länge eines Sonnenzyklus weniger als ein Jahr betrug?«
»Hirngespinste. Wie sollen da Wesen gelebt haben…«
»Ja, wie?« Trixia lächelte breiter, und ihr Tonfall klang triumphierend. »Aber die Belege der Fossilienfunde sind sehr deutlich. Vor zehn Millionen Jahren war der Zyklus viel kürzer und die Helligkeitsänderung viel geringer. Man brauchte keine Tiefen und keinen Kälteschlaf. In dem Maße, wie der Zyklus von Licht und Dunkelheit länger und extremer wurde, passten sich alle Lebewesen an. Ich stelle mir vor, dass es ein sehr harter Prozess war. Viele große Veränderungen waren notwendig. Und jetzt…«
Xopi schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. Erfand sie derlei, oder ging es irgendwie aus der Sendung der Spinnen hervor? »Wenn es kein Hirngespinst ist, so ist es jedenfalls noch unbewiesen. Mein Herr, ich gedenke nicht, mit Ihnen über Evolution zu diskutieren. Es gibt anständige Leute, die das glauben, doch es sind Spekulationen — keine Grundlage für Entscheidungen über Leben und Tod.«
»Ha! Punkt für Papa!« Von ihren Sitzgittern oberhalb von Brent und Jirlib tauschten die Mädchen leise Randbemerkungen aus. Wo es Didire nicht sehen konnten, machten sie auch Schlundgesten in Richtung auf die Geehrte Pedure. Nach jener ersten Zehn hatte es keine sichtliche Reaktion gegeben, doch es war ein gutes Gefühl, dieser Kupp gezeigt zu haben, was sie von ihr hielten.
»Mach dir keine Sorgen, Brent, Papa wird es dieser Pedure zeigen.«
Brent war sogar noch schweigsamer als üblich gewesen. »Ich wusste, dass das passieren würde. Es war schon schwierig genug. Jetzt muss Papa auch noch das mit mir erklären.«
Tatsächlich hatte Papa fast verloren, als Pedure Brent einen Kretin genannt hatte. Viki hatte ihn noch nie so verstört gesehen. Doch jetzt gewann er Boden zurück. Viki hatte geglaubt, Pedure sei eine Ignorantin, doch sie schien mit einigem von dem, was ihr Papa vorwarf, vertraut zu sein. Es spielte keine Rolle. Die Geehrte Pedure war nicht gar so kenntnisreich; außerdem hatte Papa Recht.