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Qiwi setzte an, Vinh zu folgen, hielt aber inne, ehe sie zehn Meter zurückgelegt hatte. Sie schwebte zur Abzweigung der Korridore und starrte in die Richtung, in die Vinh verschwunden war.

Pham kam näher. Er wusste, dass er hier weg musste. Zweifellos beobachteten ihn jetzt mehrere Kameras, und in Qiwis Nähe fiel es ihm schwer, in seiner Rolle zu bleiben. Was also sagen, damit er sicher davonkam? »Mach dir keine Sorgen, Mädchen. Vinh ist es einfach nicht wert. Er wird dich nicht mehr behelligen; dafür verbürge ich mich.«

Nach einem Augenblick wandte sich das Mädchen zu ihm um. Herrgott, sie sah ihrer Mutter so ähnlich; Nau hatte sie Wache für Wache im Einsatz gelassen. Ihr standen Tränen in den Augen. Er sah keine Schnitte oder Blut, aber Blutergüsse begannen auf ihrer dunklen Haut hervorzutreten. »Ich wollte ihm wirklich nicht weh tun. Gott, ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn Trixia s…stirbt.« Qiwi strich sich das kurz geschnittene Haar zurück. Erwachsen oder nicht, sie sah so verloren aus wie in den ersten Tagen nach Diems ›Gräueln‹. Sie war so allein, dass sie sich einem Windbeutel wie Pham Trinli anvertraute. »Als… als ich klein war, habe ich Ezr Vinh mehr als sonst jemanden auf der Welt bewundert, ausgenommen meine Eltern.« Sie schaute Pham an; ihr Lächeln war zittrig und verletzt. »Ich wollte so sehr, dass er gut von mir dächte. Und dann griffen uns die Aufsteiger an, und dann ermordete Jimmy Diem meine Mutter und all die anderen… Wir sind alle in einem sehr kleinen Rettungsboot. Es darf niemand mehr getötet werden.« Sie schüttelte kurz und scharf den Kopf. »Wussten Sie, dass Tomas Nau seit den Diem-Massakern nicht mehr im Kälteschlaf war? Er hat jede Sekunde in all den Jahren durchlebt. Tomas ist so ernst, er arbeitet so hart. Er glaubt an Fokus, aber er ist offen für neue Arten, die Dinge anzupacken.« Sie sagte ihm, was sie Ezr hatte sagen wollen. »Bennys Salon würde ohne Tomas Nau nicht existieren. Nichts von dem Handel und den Bonsais würde existieren. Schritt für Schritt bringen wir die Aufsteiger dahin, unsere Lebensweise zu verstehen. Eines Tages wird Tomas imstande sein, meinen Vater und Trixia und alle Fokussierten freizulassen. Eines Tages…«

Pham wollte die Hände ausstrecken und sie trösten. Pham Nuwen war außer den Mördern vielleicht der einzige lebende Mensch, der wusste, was Jimmy Diem wirklich widerfahren war, und der wusste, was Nau und Brughel immer wieder Qiwi Lin Lisolet antaten. Er hätte sie schroff zurückweisen und gehen müssen, aber irgendwie brachte er es nicht fertig. Vielmehr schwebte er am Ort und sah verlegen und verwirrt aus. Ja. Eines Tages. Eines Tages, Kind, wirst du gerächt werden.

Sechsundzwanzig

Ritser Brughels Wohnung und Befehlsstand befanden sich an Bord der Unsichtbaren Hand. Er fragte sich oft, wie die Krämer auf einen derart perfekten Namen gekommen war, der in zwei Worten das Wesen des Sicherheitsdienstes ausdrückte. Jedenfalls war die Hand der am wenigsten beschädigte von allen Schiffsrümpfen, sei es der Dschöng Ho oder der Aufsteiger. Die Quartiere der Flugbesatzung waren intakt. Das Haupttriebwerk konnte wahrscheinlich mehrere Tage lang eine Beschleunigung von einem g aufrechterhalten. Seit der Übernahme waren die Kommunikationen und die elektronischen Abwehrmaßnahmen nach den Standards der Aufsteiger neu eingerichtet worden. Hier auf der Unsichtbaren Hand war er so ziemlich ein Gott.

Leider war physische Isolation kein Schutz gegen einen Geistfäule-Ausbruch. Der Ausbruch wurde von emotionellem Ungleichgewicht im fokussierten Geist ausgelöst. Das hieß, er konnte sich über Kommunikationsnetze ausbreiten, obwohl das normalerweise nur unter eng zusammenarbeitenden Blitzköpfen vorkam. Daheim in der Zivilisation waren Geistfäule-Ausbrüche eine ständige, aber drittrangige Sorge, einfach ein weiterer Grund, Ersatzleute vorrätig zu halten. Hier im gottverlassenen Nirgendwo waren sie eine tödliche Bedrohung. Ritser hatte den Ausbruch fast ebenso schnell wie Reynolt wahrgenommen — doch er konnte es sich nicht leisten, seine Blitzer abzuschalten. Wie üblich kümmerte sich Reynolt nicht vorrangig um seine Belange, doch er kam zurecht. Sie teilten die Schnüffler in kleine Gruppen auf und betrieben jede getrennt von den anderen. Die daraus folgenden Informationen waren fragmentiert; ihre Logs würden eine Menge späterer Analyse erfordern. Doch nichts Großes war ihnen entgangen… und später würden sie alle Einzelheiten aufholen.

In den ersten zwanzig Kilosekunden verlor Ritser drei Schnüffler an den Geistfäule-Ausbruch. Er ließ sie von Omo entsorgen und die anderen in Betrieb halten. Er flog nach Hammerfest hinunter und hatte eine lange Besprechung mit Tomas Nau. Es sah so aus, als würde Reynolt mindestens sechs Leute einbüßen, darunter einen großen Brocken von ihrer Übersetzungsabteilung. Der Führende Hülsenmeister war von Brughels geringerer Verlustrate gehörig beeindruckt. »Halten Sie Ihre Leute online, Ritser. Anne glaubt, dass die Übersetzer in dieser verdammten Spinnendebatte Partei ergriffen hätten, dass der Geistfäule-Ausbruch eine Eskalation normaler Meinungsverschiedenheiten unter Blitzköpfen gewesen sei. Das mag sein, aber die Debatte lag ziemlich weit weg vom Fokus-Zentrum der Übersetzer. Wenn sich die Dinge stabilisieren, möchte ich, dass Sie jede Sekunde von Ihren Aufzeichnungen durchgehen und sie nach verdächtigen Ereignissen durchforsten.«

Nach weiteren sechzig Kilosekunden stimmten Brughel und Nau darin überein, dass die Krise vorbei sei, zumindest für die Sicherheits-Blitzer. Hülsensergeant Omo stellte die Konsultation seiner Schnüffler mit Reynolts Leuten wieder her, aber über eine gepufferte Verbindung. Er begann mit einer detaillierten Durchsicht der unmittelbaren Vergangenheit. Das Debakel hatte in der Tat Ritsers Operation lahmgelegt, allerdings nur für sehr kurze Zeit. Etwa tausend Sekunden lang hatten sie die Funksicherheit völlig verloren. Genauere Untersuchungen zeigten, dass nichts an irgendein äußeres Sonnensystem gesendet worden war; ihre langfristig angelegte Geheimhaltung war intakt. Lokal hatten die Übersetzer etwas an den Kontrollfiltern vorbeigeschrien, doch die Spinnen hatten nichts bemerkt; kein Wunder, da die chaotischen Übertragungen wie vorübergehendes Rauschen wirkten.

Am Ende musste Ritser zu dem Schluss kommen, dass der Geistfäule-Ausbruch einfach sehr großes Pech gewesen war. Doch inmitten der Trivialitäten gab es ein paar sehr interessante Kleinigkeiten.

Normalerweise blieb Ritser auf der Brücke der Hand, wo er eine Befehlsperspektive auf den Gemengehaufen bei L1 und die weit entfernte Arachna wahren konnte. Da aber Ciret und Marli in Hammerfest aushalfen, blieben nur Tan und Kal Omo, um die nahezu hundert Schnüffler zu betreiben. Also kramte er zusammen mit Omo und Tan in den Eingeweiden der Operation herum.

»Vinh ist während dieser Wache dreimal auffällig geworden, Hülsenmeister. Und davon zwei Mal während des Geistfäule-Ausbruchs.«

Während er über Omo hinweg hereinschwebte, schaute Ritser auf die wachhabenden Blitzköpfe hinab. Etwa ein Drittel davon schliefen auf ihren Sätteln. Die übrigen waren in Datenströme eingetaucht, sahen die Logs durch, korrelierten ihre Ergebnisse mit Reynolts Fokussierten in Hammerfest. »Gut, also was habt ihr über ihn?«