»NICK WN DU MCH VRSTEHST… NICK…«
Vinh stieß vor Überraschung ein wortloses Stöhnen aus — und das Muster änderte sich:
»SEI STILL SEI STILL SEI STILL…« lange Zeit. Und dann änderte es sich wieder: »NICK WN DU MCH VRSTEHST…«
Das war leicht getan. Vinh bewegte den Kopf den Bruchteil eines Zentimeters.
»OK. STELL DCH SCHLAFND. SCHLSS D HAND. BLINK N HNDFLÄCH.«
Nach all den Jahren war die Konspiration auf einmal so einfach. Man brauchte nur so zu tun, als sei die Handfläche eine Tastatur, und seinen Mitverschworenen etwas zuzutippen. Natürlich! Seine Hände waren unter der Decke, sodass niemand sonst es sehen konnte! Er hätte laut gelacht angesichts dieser Schlauheit, nur dass es nicht zur Rolle gepasst hätte. Jetzt war es so offensichtlich, wer gekommen war, um sie zu retten. Er schloss die rechte Hand und tippte: »HLO WEISR PRNZ. WRUM HAT S SO VRDMMT LANG GDAURT?«
Lange Zeit folgten weiter keine kleinen Blitze. Ezrs Geist driftete langsam in tieferen Schlaf ab.
Dann: »DU WUSSTST S VOR HEUT NACHT? DAMMICH.« Noch eine lange Pause. »TUT MIR SR LEID. DACHT DU BST KPUTT.«
Vinh nickte sich selbst zu, ein wenig stolz. Und vielleicht würde Qiwi ihm verzeihen, und Trixia würde ins Leben zurückkehren, und…
»OK«, tippte Ezr dem Prinzen zu. »WIE VIL LEUT HABN WIR?«
»GHEIM. NUR ICH WEISS. JEDR KNN REDN ABR KEINR KNNT ANDRE.« Pause. »AUSSR DIR HEUT NACHT.«
Aha. Fast die perfekte Verschwörung. Die Mitglieder konnten zusammenarbeiten, aber niemand außer dem Prinzen konnte einen anderen verraten. Jetzt würde alles so viel einfacher sein.
»BIN JTZT SR MÜD. WILL SCHLFN. WIR REDN SPÄTR WEITR.«
Pause. War sein Wunsch so seltsam? Nächte sind zum Schlafen da. »OK. SPÄTR.«
Während das Bewusstsein langsam verblasste, ruckelte sich Vinh tiefer in seine Hängematte und lächelte vor sich hin. Er war nicht allein. Und die ganze Zeit über war das Geheimnis zum Greifen nahe gewesen. Erstaunlich!
Am nächsten Morgen erwachte Vinh ausgeruht und sonderbar glücklich. Hm. Womit hatte er das verdient?
Er glitt in den Duschsack und seifte sich ein. Der Vortag war so düster gewesen, so schändlich. Bittere Wirklichkeit sickerte wieder in ihn herein, doch seltsam langsam… Ach ja, da war ein Traum gewesen. Das war nicht ungewöhnlich, doch die meisten von seinen Träumen taten bei der Erinnerung so weh. Vinh schaltete die Dusche auf Trocknen um und schwebte einen Augenblick lang in den wirbelnden Luftströmen. Wie war es mit diesem Traum gewesen?
Ja! Es war wieder so einer von der Träumen über wunderbares Entkommen gewesen, doch diesmal war er nicht schlecht ausgegangen. Nau und Brughel waren nicht im letzten Moment aus dem Versteck gesprungen.
Was also war diesmal die Geheimwaffe gewesen? Oh, die übliche Unlogik der Träume, eine Art Zauberei, die seine eigenen Hände in ein Verbindungsgerät zum Hauptverschwörer verwandelten. Pham Trinli? Ezr kicherte bei dem Gedanken. Manche Träume sind absurder als andere; seltsam, wie tröstlich er diesen immer noch fand.
Er ruckelte sich in seine Kleidung und begann seinen Weg die Temp-Korridore entlang, bewegte sich mit der typischen Null-g-Kombination von Zug, Stoß, an den Ecken herumfedern, seitlich ausschwingen, um denen auszuweichen, die sich langsamer bewegten oder entgegenkamen. Pham Nuwen. Pham Trinli. Es musste eine Milliarde Menschen mit diesem Vornamen geben und hundert Flaggschiffe, die Pham Nuwen hießen. Erinnerungen an seine Bibliothekssuche in der vergangenen Nacht sickerten allmählich wieder in seinen Geist, die verrückten Ideen, die er unmittelbar vor dem Schlafengehen gehabt hatte.
Aber die Wahrheit über Kapitän Park war kein Traum gewesen. Als er im Aufenthaltsraum anlangte, bewegte er sich langsamer.
Ezr schwebte Kopf voran in den Aufenthaltsraum, begrüßte Hunte Wen an der Tür. Die Atmosphäre war relativ entspannt. Rasch entdeckte er, dass Reynolt ihre überlebenden Fokussierten wieder in Betrieb genommen hatte; es hatte keine weiteren Ausbrüche gegeben. Am gegenüberliegenden Ende der Decke dozierte Pham Trinli darüber, was den Geistfäule-Ausbruch ausgelöst habe und wieso die Gefahr vorüber sei. Das war der Pham Trinli, mit dem er es in jeder Dienstperiode jeder überlappenden Wache seit dem Überfall mehrere Kilosekunden lang zu tun gehabt hatte. Plötzlich schrumpften der Traum und die Bibliothekssitzung zuvor auf die angemessene und völlig absurde Perspektive.
Trinli musste gehört haben, wie er mit Hunte sprach. Der alte Schwindler wandte sich um und sah einen Augenblick lang quer durchs Zimmer zu Vinh herüber. Er sagte nichts, nickte nicht einmal, und selbst wenn ein Spion der Aufsteiger genau entlang Vinhs Blickrichtung schaute, hätte es kaum eine Rolle gespielt. Aber für Ezr Vinh schien der Moment ewig zu dauern. In diesem Moment war der Clown, der Pham Trinli gewesen war, verschwunden. In diesem Gesicht lag keine Angeberei, sondern eine einsame, stille Autorität und ein Eingeständnis ihres seltsamen Gesprächs in der Nacht. Irgendwie war es kein Traum gewesen. Die Kommunikation war keine Zauberei gewesen. Und dieser alte Mann war wahrlich der Verlorene Prinz von Canberra.
Siebenundzwanzig
»Aber es ist der Erste Schnee. Möchtest du ihn nicht sehen?« Viktorias Stimme nahm einen jammernden Ton an, der, wie sie sehr wohl wusste, bei niemandem außer diesem einen großen Bruder wirkte.
»Du hast doch schon im Schnee gespielt.«
Gewiss, als Papa sie auf Ausflüge in den Hohen Norden mitgenommen hatte. »Aber Brent! Das ist der Erste Schnee in Weißenberg. Im Radio sagen sie, er liegt überall bis zu den Zacken.«
Brent war in sein Gerüst aus Stangen und Verbindungsstücken vertieft, endlose glänzende Oberflächen, die immer komplizierter wurden. Er selbst wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich aus dem Haus zu schleichen. Er arbeitete noch ein paar Sekunden weiter an seinem Entwurf und ignorierte sie. Das war die Art, wie Brent mit dem Unerwarteten umging. Er war ziemlich gut mit den Händen, doch Ideen kamen ihm langsam. Außerdem war er sehr schüchtern — mürrisch, sagten Erwachsene oft. Sein Kopf bewegte sich nicht, doch Viki wusste, dass er sie ansah. Seine Hände wurden keinen Augenblick langsamer, als sie über die Oberfläche des Modells glitten, hier etwas anfügten, dort etwas auseinander nahmen. Schließlich sagte er: »Wir sollen nicht hinausgehen, wenn wir es nicht Papa sagen.«
»Pah. Du weißt, dass er noch schläft. Dieser Morgen ist der bisher kälteste, aber wir werden ihn verpassen, wenn wir nicht jetzt gehen. He, ich schreibe ihm eine Notiz.«
Ihre Schwester Gokna hätte hin und her diskutiert und schließlich sogar Viki beim Finden schlauer Argumente übertroffen. Ihr Bruder Jirlib wäre angesichts der Manipulation wütend geworden. Doch Brent stritt nicht, sondern wandte sich für ein paar Minuten wieder seiner kniffligen Arbeit an dem Modell zu, wobei ein Teil von ihm sie beobachtete, ein Teil das Muster von Stangen und Verbindungsstücken studierte, das unter seinen Händen entstand, und ein Teil nach draußen über Weißenberg hinweg nach dem Anflug von Schnee auf den nahe gelegenen Bergketten schaute. Von all ihren Geschwistern war er derjenige, der eigentlich nicht hinaus wollte. Andererseits war er der Einzige, den sie an diesem Morgen finden konnte, und er sah sogar noch erwachsener als Jirlib aus.
Nach einer Weile sagte er: »Gut, in Ordnung, wenn du das willst.« Viktoria grinste in sich hinein — als ob am Ausgang jemals zu zweifeln gewesen wäre. An Hauptmann Niederer vorbei zu kommen, würde schwieriger sein — aber nicht viel schwieriger.
Es war früh am Morgen. Das Sonnenlicht hatte die Straßen unterhalb des Berghauses noch nicht erreicht. Viktoria kostete jeden Atemzug aus, das leichte Stechen, das sie seitlich in der Brust spürte, als sie die frostige Luft schmeckte. Die Heißblüten und Waldelfen hingen noch dicht zusammengeballt in den Baumästen; heute würden sie vielleicht gar nicht hervorkommen. Doch es gab andere Dinge ringsum, Dinge, von denen sie bisher nur gelesen hatte. Im Schnee der kältesten Höhlungen krochen langsam Kristallwürmer hervor. Diese tapferen kleinen Vorkämpfer würden sich nicht lange halten — Viki erinnerte sich an die Radiosendung, die sie voriges Jahr über sie gemacht hatte. Diese Kleinen würden immer wieder sterben, ausgenommen an den Stellen, wo die Kälte ausreichte, sich den ganzen Tag über zu halten. Und selbst dann musste es noch viel kälter werden, ehe sich die Form mit Wurzeln zeigte.