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Brent lehnte sich vom Seilnetz weg, sodass sein Kopf nahe an ihren kam. »Weißt du, ich glaube, wir werden verfolgt.«

Jirlib hörte die leisen Worte ebenfalls und wurde an seinem Netz steif. »Hä? Wo?«

»Die beiden Wagen vom Typ Wegmeister. Sie waren bei der Bushaltestelle geparkt.«

Eine Sekunde lang spürte Viki eine leichte Anspannung von Angst — und dann Erleichterung. Sie lachte. »Ich wette, wir haben heute Morgen überhaupt niemanden irregeführt. Papa hat uns gehen lassen, und Hauptmann Niederers Leute folgen uns, wie sie es immer gern tun.«

Brent sagte: »Diese Wagen sehen nicht wie welche von den üblichen aus.«

Achtundzwanzig

Das Königliche Museum lag an der Haltestelle Stadtzentrum. Viki und ihre Geschwister wurden direkt vor den Stufen des Palasts abgesetzt.

Einen Augenblick lang starrten Viki und Gokna sprachlos zu den gewölbten Steinbogen empor. Sie hatten eine Sendung über das Museum gemacht, waren aber nie hier gewesen. Das Königliche Museum war nur drei Stockwerke hoch und wurde von den modernen Gebäuden weit überragt. Doch das kleinere Gebäude war mehr als all die Wolkenkratzer. Mit Ausnahme von Befestigungsanlagen war das Museum das älteste Oberflächen-Bauwerk in Weißenberg. Es war eigentlich das Hauptmuseum der Königsfamilie seit den letzten fünf Sonnenzyklen. Es war etwas um- und angebaut worden, doch eine der Traditionen des Ortes bestand darin, dass es der Vision König Langarms treu bleiben sollte. Das Äußere wölbte sich in einem Bogen, fast wie eine umgekehrte Sektion einer Flugzeug-Tragfläche. Der Windlaufbogen war von Architekten zwei Generationen vor dem Zeitalter der Wissenschaft erfunden worden. Die alten Gebäude im Landeskommando waren nichts dagegen; sie verfügten über den Schutz tiefer Talhänge. Einen Augenblick lang versuchte sich Viki vorzustellen, wie es hier an den Tagen sein musste, unmittelbar nachdem die Sonne zum Leben erwacht war: wie das Gebäude geduckt unter Winden stand, die fast mit Schallgeschwindigkeit wehten, wie die Sonne hell in allen Farben von Ultra bis zum fernsten Rot gleißte. Warum also hatte König Langarm an der Oberfläche gebaut? Um es mit dem Dunkel und der Sonne aufzunehmen, natürlich. Um sich über die tiefen kleinen Schlupflöcher zu erheben und zu herrschen.

»He, ihr beiden! Schlaft ihr, oder was?« Jirlibs Stimme stieß auf sie ein. Er und Brent schauten vom Eingang her zurück. Die Mädchen flitzten die Stufen hinauf, und das eine Mal hatten sie keine schlaue Antwort parat.

Sie gingen in den Schatten des Torwegs, und hinter ihnen verklangen die Geräusche der Stadt. In Hinterhaltsnischen zu beiden Seiten des Eingangs saß eine Zeremonialgarde von zwei königlichen Soldaten reglos auf ihren Gittern. Weiter vorn wartete der wirkliche Wächter — der Eintrittskartenverkäufer. Die uralten Wände hinter seinem Stand waren mit Ankündigungen der laufenden Ausstellungen behängt. Jirlib murrte nicht mehr. Er umkreiste eine zwölffarbige ›künstlerische Auffassung‹ eines Khelmschen Verwerfs. Und jetzt sah Viki, wie derlei Unsinn es ins Königliche Museum geschafft hatte. Es waren nicht nur die Verwerfe. Das Museumsthema der Saison war ›Spinnerte Wissenschaft in allen Erscheinungsformen‹. Die Plakate verkündeten Ausstellungen von Tiefen-Hexerei, Selbstentzündung, Videomantie und — trara! — die Khelmschen Verwerfe. Doch Jirlib schien nicht wahrzunehmen, in welcher Gesellschaft sich sein Hobby befand. Ihm genügte, dass endlich ein Museum es würdigte.

Die aktuellen Ausstellungen befanden sich im neuen Flügel. Hier waren die Decken hoch, und verspiegelte Röhren ließen in nebligen Kegeln Sonnenlicht auf Marmorböden strömen. Die vier waren fast allein, und der Raum hatte eine unheimliche Akustik, die den Schall nicht gerade als Echo zurückwarf, aber verstärkte. Wenn sie nicht redeten, wirkte sogar das Ticken ihrer Füße laut. Es funktionierte besser als alle Schilder ›Bitte Stille bewahren‹. Viki war von all dem unglaublichen Humbug schwer beeindruckt. Papa hielt derlei Dinge für amüsant — wie Religion, aber nicht so ›tödlich‹. Leider hatte Jirlib nur Augen für seinen eigenen Humbug. Da mochte Gokna von der Ausstellung über Selbstentzündung so gefesselt sein, dass sie Pläne schmiedete. Da mochte Viki die leuchtenden Bilderröhren im Videomantie-Saal sehen wollen. Jirlib ging geradewegs zur Verwerf-Ausstellung, und zusammen mit Brent sorgte er dafür, dass ihre Schwestern bei ihnen blieben.

Ah, ja doch. In Wahrheit hatte Viki die Verwerfe schon immer merkwürdig gefunden. Jirlib war darin vernarrt, solange sie denken konnte; hier würden sie endlich die echten Objekte zu sehen bekommen.

Der Eingang zum Saal präsentierte vom Fußboden zur Decke eine Anordnung von Diamant-Foraminiferen. Wie viele Tonnen Brennschlamm waren durchgesiebt worden, um solch perfekte Stücke zu finden? Die verschiedenen Typen waren gemäß der besten wissenschaftlichen Theorien sorgfältig beschriftet, doch die winzigen Kristallskelette waren in ihren Halterungen kunstvoll hinter Vergrößerungsgläsern angebracht: Im Sonnenlicht aus den Röhren glitzerten die Forams in Kristall-Konstellationen wie juwelenbesetzte Tiaren und Armbänder und Rückenschmuck. Dagegen war Jirlibs Sammlung völlig unbedeutend. Auf einem Tisch in der Mitte des Saals erlaubte eine Reihe Mikroskope dem interessierten Besucher, genauer hinzuschauen. Viki starrte durch die Linsen. Sie hatte derlei schon oft genug gesehen, doch diese Forams waren unbeschädigt, und die Vielfalt machte einen sprachlos. Die meisten waren sechszahlig symmetrisch, doch es gab viele mit kleinen Haken und Stäben, die die lebenden Wesen wohl benutzt hatten, um sich in ihrer mikroskopischen Umwelt fortzubewegen. Kein einziges Diamantskelett-Wesen lebte mehr auf der Welt, und das seit fünfzig Millionen Jahren. Doch in manchen Sedimentgesteinen war die Diamantforam-Schicht Hunderte von Metern dick; im Osten war sie billiger als Kohle. Die größten von den Viechern waren kaum fliegengroß gewesen, doch es hatte eine Zeit gegeben, da sie die am weitesten verbreiteten Tiere der Welt waren. Dann, vor etwa fünfzig Millionen Jahren — wie weggeblasen. Übrig geblieben waren nur ihre Skelette. Onkel Hrunkner sagte, das gäbe zu denken, falls es mit Papas Ideen zu weit kommen sollte.

»Kommt schon, kommt.« Jirlib konnte mit seiner eigenen Foram-Sammlung Stunden zubringen. Aber heute widmete er dem bedeutsamen Glitzern des Königlichen Exponats kaum dreißig Sekunden; die Tafeln an der gegenüberliegenden Tür verkündeten die Khelmschen Verwerfe. Die vier gingen mit klickenden Schritten zu dem abgedunkelten Eingang und wisperten kaum miteinander. Im Saal dahinter fiel ein einziger Kegel von Sonnenlicht durch die Röhre auf die Tische in der Mitte. Die Wände versanken im Schatten, hier und da vom Licht der Randfarben erhellt.

Die vier traten schweigend in den Raum. Gokna stieß einen kleinen Überraschungsruf aus. Sie gewahrten im Dunkeln Gestalten… und sie waren größer, als ein durchschnittlicher Erwachsener lang war. Sie wankten auf drei spindelförmigen Beinen, und ihre Vorderbeine und Arme erhoben sich fast wie die Äste eines Ausgreifenden Gefarns. Es war alles, was Tschandra Khelm je über seine Verwerfe behauptet hatte — und im Dunkeln versprach es jedem, der näher träte, mehr Einzelheiten.

Viki las die Worte, die neben den Figuren glommen, und lächelte vor sich hin. »Tolles Zeug, was?«, sagte sie zu ihrer Schwester.

»Ja… ich hab nie gedacht…« Dann las auch sie die Beschriftung. »Oh, wieder beschissene Fälschungen.«

»Keine Fälschung«, sagte Jirlib, »sondern zugegebenermaßen eine Rekonstruktion.« Doch sie hörte die Enttäuschung in seiner Stimme. Sie gingen langsam durch den abgedunkelten Saal und spähten nach den Stellen aus, wo es vieldeutig glomm. Und ein paar Minuten lang waren die Schemen ein quälendes Geheimnis, das gerade jenseits ihrer Reichweite schwebte. Es waren alle fünfzig Rassetypen vertreten, die Khelm beschrieb. Doch hier waren es krude Modelle, wahrscheinlich von einem Kostümhersteller geliefert. Während er von einem Ausstellungsstück zum nächsten ging und die Begleittexte las, schien Jirlib immer niedergeschlagener zu werden. Die Beschreibungen waren sehr ausführlich: »Die älteren Rassen, die der unseren vorausgingen… die Wesen, die der Schrecken der Arachner früherer Zeitalter waren… Dunkelste Tiefen enthalten vielleicht noch immer ihre Brut, die darauf wartet, ihre Welt wieder in Besitz zu nehmen.« Dieses letzte Schild befand sich neben einer Rekonstruktion, die ziemlich nach einem Monster-Tarant aussah, bereit, dem Betrachter den Kopf abzubeißen. Es war alles Stuss, und sogar Vikis kleine Geschwister hätten das erkannt. Tschandra Khelm hatte zugegeben, dass seine ›verlorene Fundstätte‹ sich unterhalb der Foram-Schichten befunden hatte. Wenn es überhaupt je so etwas wie die Verwerfs gegeben hatte, waren sie seit mindestens fünfzig Millionen Jahren ausgestorben — lange, bevor auch nur die frühesten Proto-Arachner gelebt hatten.