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Sie hatten sich fast um alles gestritten. Dort an der Wand stand das Puppenhaus aus einer Granathülse, das Gokna aus dem Bau heraufgebracht hatte. Es hatte wirklich Gokna gehört, dennoch hatten sie sich darum gestritten.

Goknas Zeichen waren hier überall. Und Gokna würde niemals mehr hier sein. Sie konnten nie wieder miteinander reden, nicht einmal streiten. Fast hätte Viki kehrtgemacht und wäre wieder aus dem Zimmer herausgeschossen. Es war, als wäre ein ungeheuerliches Loch in ihre Seite gerissen worden, ihre Arme und Beine vom Körper abgeschnitten. Es war kein Platz mehr für ihr Leben. Viki sank in sich zusammen und zitterte.

Väter und Mütter sind sehr unterschiedliche Arten von Leuten. Soweit es die Kinder hatten feststellen können, galt das zum Teil sogar für normale Familien. Papa war die ganze Zeit da. Er war es, der unendliche Geduld aufbrachte, dem sie für gewöhnlich ein paar zusätzliche Vergünstigungen abschwatzen konnten. Doch Scherkaner Unterberg hatte sein eigenes besonderes Wesen: Er betrachtete jedes Gesetz der Natur und der Kultur als Hindernis, über das nachzudenken, mit dem zu experimentieren war. In allem, was er tat, lagen Humor und Klugheit.

Mütter — ihre Mutter jedenfalls — waren nicht ständig da, und man konnte sich nicht darauf verlassen, dass sie jeder kindischen Forderung nachgeben würden. General Viktoria Schmid war oft genug bei ihren Kindern, einen von zehn Tagen hier oben in Weißenberg und viel öfter, wenn sie einen Ausflug zum Landeskommando machten. Sie war da, wenn echte Gesetzte festgelegt werden mussten, solche, die zu umgehen vielleicht sogar Scherkaner Unterberg zögerte. Und sie war da, wenn man etwas richtig gründlich vermasselt hatte.

Viki wusste nicht, wie lange sie zusammengekrümmt dagelegen hatte, als sie Schritte die Stufen zu ihrem Zimmer heraufticken hörte. Sicherlich nicht mehr als eine halbe Stunde: Vor dem Fenster war es noch die Mitte eines kühlen, schönen Nachmittags.

Es ertönte ein leichtes Klopfen an der Tür. »Junior? Können wir reden?« Mutter.

Etwas Seltsames regte sich in Viki: Willkommen. Papa konnte verzeihen, er verzieh immer… aber Mutter würde verstehen, wie schrecklich es für sie wirklich gewesen war.

Viki öffnete die Tür, trat zurück, den Kopf gesenkt. »Ich dachte, du hättest bis heute Abend zu tun.« Dann bemerkte sie, dass Viktoria Schmid Uniform trug, Jacke und Aufschläge schwarz-schwarz, die Schulterstücke ultra und rot. Sie hatte die Generalin hier oben in Weißenberg noch nie in dieser Uniform gesehen, und sogar unten im Landeskommando war sie für besondere Gelegenheiten reserviert gewesen, für Besprechungen mit gewissen Vorgesetzten.

Die Generalin trat leise in den Raum. »Ich… habe entschieden, dass dies hier wichtiger ist.« Sie bedeutete Klein Viktoria mit einer Geste, sich neben sie zu setzen. Viki setzte sich und empfand zum ersten Mal, seit all das begonnen hatte, Ruhe. Zwei Vorderarme der Generalin legten sich sacht um ihre Schultern. »Es sind ernste… Fehler gemacht worden. Du weißt, dass dein Vater und ich uns darüber einig sind?«

Viki nickte. »Ja, ja!«

»Wir können Gokna nicht wieder lebendig machen. Aber wir können uns an sie erinnern und sie lieben und die Fehler korrigieren, die diese schreckliche Sache möglich gemacht haben.«

»Ja!«

»Dein Vater — ich — wir dachten, wir könnten euch aus den größeren Problemen heraushalten, zumindest, bis ihr erwachsen wärt. Bis zu einem gewissen Punkt hatten wir vielleicht Recht. Doch jetzt sehe ich, dass wir euch einer schrecklichen Gefahr ausgesetzt haben.«

»Nein!… Mutter, verstehst du nicht? Ich war es, u-und Gokna, die die Regeln verletzt haben. Wir haben Hauptmann Niederer überlistet. Wir haben einfach nicht geglaubt, wovor Papa und du uns gewarnt hatten.«

Die Arme der Generalin klopften leicht auf Vikis Schultern. Mutter war entweder überrascht oder plötzlich wütend. Viki konnte nicht sagen, was von beiden, und eine Weile schwieg ihre Mutter. Dann: »Du hast Recht. Scherkaner und ich haben Fehler gemacht… aber du und Gokna auch. Keiner von euch wollte etwas Böses… aber jetzt weißt du, dass das nicht genügt. Bei manchen Spielen werden, wenn man etwas falsch macht, Leute getötet. Aber denk darüber nach, Viktoria. Als ihr gesehen habt, dass es schlimm stand, habt ihr euch sehr gut verhalten — besser, als es viele Kupps mit Profi-Ausbildung getan hätten. Ihr habt das Leben der Suabisme-Kinder gerettet…«

»Wir haben den kleinen Birbop auch in Gefahr gebracht…«

Schmid zuckte verärgert die Achseln. »Ja. Darin wirst du eine harte Lehre finden, Tochter. Fast mein ganzes Leben lang versuche ich nun schon, damit zu leben.« Sie schwieg wieder, und etwas an ihr schien weit weg zu sein. Plötzlich ging Viki auf, dass in der Tat sogar Mutter Fehler machen musste; es war nicht nur Höflichkeit, wenn sie das sagte. Ihr ganzes Leben lang hatten die Kinder die Generalin bewundert. Sie redete nicht über das, was sie tat, doch sie wussten genug, um zu ahnen, dass sie die Heldinnen von jedem Dutzend Abenteuerromane übertraf. Nun bekam Viki eine Ahnung, was das wirklich bedeuten musste. Sie rückte näher an ihre Mutter heran.

»Viki, als es schließlich hart auf hart ging, war das, was ihr, du und Gokna, getan habt, richtig. Alle vier habt ihr richtig gehandelt. Der Preis ist schrecklich, aber wenn wir — und ihr — daraus nichts lernen, dann haben wir es wirklich verdorben.« Dann ist Gokna vergebens gestorben.

»Ich will mich ändern; ich werde alles tun. Sag es mir.«

»Die Gefahren draußen sind nicht so groß. Ich werde dir ein paar Lehrer in militärischen Angelegenheiten beschaffen, vielleicht etwas körperliche Ausbildung. Aber du und die kleineren Kinder müssen noch so viel Theoretisches lernen. Deine Zeit wirst du ziemlich genauso wie zuvor verbringen. Die große Veränderung wird in deinem Kopf stattfinden und in der Art, wie wir dich behandeln. Außer dem Lernen gibt es auch riesige, tödliche Gefahren, die du verstehen musst. Hoffentlich wirst du dich nie in der unmittelbaren Todesgefahr wie heute Morgen befinden — doch auf lange Sicht sind die Gefahren viel größer. Es tut mir Leid, diese Zeit ist riskanter als jede zuvor.«

»Und bringt auch mehr gute Möglichkeiten.« Das sagte Papa immer. Was würde die Generalin jetzt darauf antworten?

»Ja. Das ist wahr. Und darum haben er und ich getan, was wir getan haben. Doch es wird mehr als Hoffnung und Optimismus brauchen, um zu erreichen, was Scherkaner beabsichtigt, und die Jahre bis dahin werden immer gefährlicher sein. Was heute geschehen ist, ist nur der Anfang. Es kann sein, dass die tödlichste Zeit kommen wird, wenn ich sehr alt bin. Und dein Vater ist eine halbe Generation älter als ich…

Wie gesagt, ihr habt euch heute gut geschlagen. Mehr noch, ihr wart ein Team. Hast du jemals daran gedacht, dass unsere ganze Familie wie ein Team ist? Wir haben einen besonderen Vorteil gegenüber fast allen anderen: Wir gehören nicht alle derselben Generation oder zweien an. Wir sind von Klein Hrunk bis hinauf zu deinem Vater verteilt. Wir stehen füreinander ein. Und ich glaube, wir sind sehr begabt.«

Viki lächelte ihre Mutter an. »Keiner von uns ist annähernd so schlau wie Papa.«

Viktoria lachte. »Ja, stimmt. Scherkaner ist… einzigartig.«

Viki fuhr in analytischem Ton fort: »Eigentlich hat keiner von uns, vielleicht ausgenommen Jirlib, auch nur das Format von Papas Studenten. Andererseits sind ich und G- Gokna nach dir gekommen, Mama. Wir… ich kann mit Leuten und Dingen Pläne machen. Ich glaube, Rhapsa und Klein Hrunk sind irgendwo dazwischen, wenn sie sich erst einmal ausgeprägt haben. Und Brent, er ist nicht dumm, aber sein Geist funktioniert auf komische Weise. Er kommt nicht mit anderen Leuten zurecht, aber von uns allen ist er der von Natur aus Misstrauischste. Er ist immer auf der Hut für uns.«

Die Generalin lächelte. »Er ist gut genug. Es gibt jetzt noch fünf von euch, Viki. Sieben, wenn man mich und Scherkaner mitzählt. Das Team. Du hast Recht mit deinen Einschätzungen. Was du nicht wissen kannst, ist, wie ihr im Vergleich zur übrigen Welt dasteht. Ich will dir meine ganz trockene professionelle Einschätzung sagen: Ihr Kinder könnt die Besten sein. Wir wollten den Start für euch noch ein paar Jahre hinausschieben, aber das hat sich nun geändert. Wenn die Zeiten kommen, die ich befürchte, möchte ich, dass ihr fünf wisst, was vor sich geht. Wenn nötig, möchte ich, dass ihr fünf agieren könnt, selbst wenn alles andere drunter und drüber geht.«