»Hm-ja.« Aber ich glaube, ich lass das eine Weile. »Sie glauben also nicht, dass Reynolt eine große Gefahr ist?«
Einen Moment lang hörte er nichts als Surren und Zischen; vielleicht sagte Pham nichts. Dann: »Vinh, ich glaube genau das Gegenteil. Auf lange Sicht ist sie die tödlichste Gefahr, mit der wir konfrontiert sind.«
»Aber sie ist nicht bei der Sicherheit.«
»Nein, aber sie wartet Brughels Schnüffler, bringt ihre armen Gehirne auf Linie, wenn sie abzudriften beginnen. Phuong und Hom kommen nur mit den einfachsten Fällen zurecht; Trud tut so, als könne er alles, befolgt aber nur ihre Anweisungen. Und sie lässt acht Blitzkopf-Programmierer unseren Flottencode durchgehen. Drei von ihnen knaupeln immer noch an den Ortern herum. Irgendwann wird sie sehen, wie ich an ihnen herumgepfuscht habe, bsss nuschel Gott! Welche Macht Nau hat.« Phams Stimme setzte aus, und es war nur noch das Hintergrundrauschen zu hören.
Ezr streckte eine Hand unter der Decke hervor und schob sich den winzigen Orter tiefer ins Ohr. »Wie bitte? Sind Sie noch da?«
bsst »Ich bin da. Was Reynolt betrifft: So oder so, sie muss beseitigt werden.«
»Sie umbringen?« Die Worte blieben Ezr im Halse stecken. So sehr er Nau und Brughel und das ganze Fokus-System hasste, empfand er doch keinen Hass auf Anne Reynolt. Auf ihre eigene beschränkte Art kümmerte sie sich um die Sklaven. Was immer Anne Reynolt gewesen war, jetzt war sie nur ein Werkzeug.
»Hoffentlich nicht! Vielleicht… wenn Nau nur den Köder mit den Ortern schlucken würde, wenn er begänne, sie in Hammerfest zu verwenden. Dann wären wir dort drüben so sicher wie hier. Wenn das geschieht, ehe ihre Blitzer herausfinden, dass es eine Falle ist…«
»Aber der Zweck der Verzögerung war ja, ihr Zeit zur Untersuchung der Orter zu geben.«
»Ja. Nau ist nicht dumm. Keine Sorge. Ich behalte das im Blick. Wenn sie zu nahe ran kommt, werde ich… mich um sie kümmern.«
Einen Augenblick lang versuchte sich Ezr vorzustellen, was Pham tun könnte, zwang seinen Geist dann aber von den Vorstellungen weg. Selbst nach zweitausend Jahren hatte die Vinh-Familie in ihrer Zuneigung noch einen besonderen Platz für die Erinnerung an Pham Nuwen. Ezr erinnerte sich an die Bilder, die in seines Vaters Käfterchen gehangen hatten. Er erinnerte sich an die Geschichten, die ihm seine Tante erzählt hatte. Nicht alle davon standen in den Dschöng-Ho-Archiven. Das hieß, die Geschichten waren nicht wahr — oder aber wirklich private Reminiszenzen, was Ur…oma Sura und ihre Kinder wirklich von Pham Nuwen gedacht hatten. Sie liebten ihn nicht nur, weil er die moderne Dschöng Ho gegründet hatte, nicht nur, weil er der Ur…großvater aller Vinh-Familien war. Doch manche von den Geschichten zeigten einen harten Zug an dem Mann.
Ezr öffnete die Augen, schaute sich ruhig im abgedunkelten Zimmer um. Schummrige Nacht-Glimmleuchten erhellten seine Arbeitskleidung, die im Schrankbeutel schwebte, zeigten die Delitesse, die noch immer ungegessen auf seinem Arbeitstisch klemmte. Die Wirklichkeit. »Was können Sie mit den Ortern wirklich machen, Pham?«
Schweigen. Fernes Surren. »Was ich machen kann? Nun ja, Vinh, ich kann mit ihnen nicht töten… nicht direkt. Aber sie taugen zu mehr als dieser miesen Sprechverbindung. Man braucht Übung; es gibt Tricks, die man sehen muss.« Lange Pause. »Verdammt, du musst sie erlernen. Es könnte Zeiten geben, wo ich nicht aktionsfähig bin und sie das Einzige sind, was deine Tarnung retten kann. Wir sollten uns persönlich treffen…«
»Hä? Von Angesicht zu Angesicht?« Dutzende, vielleicht Hunderte Male hatten er und Pham Nuwen so wie heute Nacht Pläne geschmiedet, wie Gefangene, die anonym an die Verlieswände klopfen. In der Öffentlichkeit sahen sie einander seltener als bei den frühen Wachen. Nuwen hatte gesagt, das Ezr einfach nicht gut genug seine Augen und die Körpersprache beherrschen konnte, dass die Schnüffler zu viel erraten würden. Jetzt…
»Hier im Temp hängen Brughel und seine Blitzköpfe von den Ortern ab. Es gibt Stellen zwischen den Ballonhüllen, wo manche von den alten Kameras ausgefallen sind. Wenn wir uns dort begegnen, werden sie nichts haben, was den Daten widerspricht, die ich ihnen über die Orter zuspiele. Das Problem ist, ich bin mir sicher, dass sich die Schnüffler zu einem großen Teil auf Statistik stützen. Ich habe mal die Sicherheitsabteilung einer Flotte geleitet, wie die von Ritser, noch ein bisschen milder. Ich hatte Programme, die verdächtiges Verhalten hervorhoben — wer wann nicht zu sehen war, ungewöhnliche Gespräche, Geräteausfälle. Es funktionierte ziemlich gut, selbst, wenn ich die Bösewichter nicht auf frischer Tat ertappen konnte. Blitzköpfe plus Computer müssten tausendmal besser sein. Ich wette, sie haben Statistikauswertungen, die bis in die Anfänge von L1 zurückreichen. Für sie summiert sich unauffälliges Verhalten immer weiter — und eines Tages findet Ritser Brughel gewichtige Beweise. Und wir sind tot.«
Herr des Handels. »Aber wir sind fast mit allem durchgekommen!« Überall, wo die Aufsteiger auf die Dschöng-Ho-Orter angewiesen waren.
»Vielleicht. Einmal. Beherrsch dich.« Sogar in der surrenden Sprache merkte Ezr, wenn Pham kicherte.
»Wann können wir uns treffen?«
»Bei einer Gelegenheit, die die Wirkung auf Ritsers fröhliche Analytiker minimiert. Schauen wir… Meine Wache endet in weniger als zweihundert Kilosek. Ich werde einen Teil der Zeit auf Wache sein, wenn du zum nächsten Mal wieder da bist. Ich werde es so einrichten, dass wir es gleich danach tun können.«
Ezr seufzte. In einem halben Jahr Lebenszeit. Aber nicht so fern wie manches andere; es würde genügen.
Vierunddreissig
Bennys Biersalon hatte als etwas Sublegales begonnen, der sichtbare Beweis für ein großes Netzwerk von Schwarzmarktgeschäften — Schwerverbrechen nach den Maßstäben der Aufsteiger; in reinem Dschöng-Ho-Nese existierte der Begriff ›Schwarzmarkt‹, doch nur zur Bezeichnung von ›Handel, den man geheim halten muss, weil er bei den örtlichen Kunden Anstoß erregt‹. In der kleinen Gemeinschaft rings um den Felshaufen war es unmöglich, insgeheim zu handeln oder zu bestechen. Im Laufe der ersten Jahre hatte nur Qiwi Lisolets Beteiligung den Salon geschützt. Jetzt… Benny Wen lächelte vor sich hin, während er die Getränke und Speisen in sein Netz packte. Jetzt führte er den Laden hier im Vollzeitbetrieb, wann immer er Wache hatte. Das Beste war, dass sein Vater größtenteils mit der Arbeit zurecht kam, wenn Benny und Gonle Freiwache hatten. Hunte Wen war immer noch eine zerstreute, sanfte Seele, und er hatte seine Fähigkeiten in Physik nie zurückerlangt. Doch er hatte den Betrieb des Salons liebgewonnen. Wenn er ihn allein führte, konnten dem Laden seltsame Dinge widerfahren. Manchmal waren es haarsträubende Fehlleistungen, manchmal wunderbare Verbesserungen. Einmal staubte er in der Raffinerie einen parfümierten Lack ab. In kleinen Mengen war der Geruch in Ordnung, aber auf die Wände des Salons aufgetragen, stank der Lack entsetzlich. Eine Zeit lang wurde der größte Aufenthaltsraum der soziale Angelpunkt des Temps. Ein andermal — vier Echtzeitjahre später —, hatte er die Gutschriftscheine einer ganzen Wachzeit eingelöst, und Qiwis Papa hatte eine Null-g-Weinrebe samt zugehörigem Ökosystem entwickelt, um Wände und Möbel des Salons zu schmücken. Der Salon wurde in einen schönen, parkähnlichen Raum verwandelt.
Die Ranken und Blüten waren noch da, obwohl Hunte seit fast zwei Jahren auf Freiwache war.
Benny bewegte sich von der Bar hoch in einer langen Runde durch den Wald von Grün. Getränke und Speisen wurden an die Tische der Gäste gebracht, mit Papierscheinen bezahlt. Benny stellte ein ›Diamant und Eis‹ und einen Speisenbehälter vor Trud Silipan hin. Silipan reichte ihm mit demselben süffisanten Gesichtsausdruck wie immer einen Gutschein für einen Gefallen. Er rechnete sich offensichtlich aus, dass das Versprechen nichts wert war, dass er nur bezahlte, weil es so üblich war.