Bis vor ein paar Tagen hatte der Bunker die meisten verbliebenen schweren Waffen im EinAus-System enthalten. Jetzt war er fast leer, ausgeschlachtet, um die Mission der Unsichtbare Hand zu unterstützen. Egal. Nau hatte sorgsam darauf geachtet, dass genug Nuklearsprengköpfe zurückblieben. Wenn nötig, konnte er das alte, alte Spiel der totalen Katastrophenverwaltung spielen.
Was also war zu retten? Er besaß nur eine ganz nebelhafte Vorstellung, wie viel Pham Nuwen in seiner Gewalt hatte. Für einen Moment bebte Nau. Sein Leben lang hatte er solche Männer studiert, und jetzt stand er gegen einen von ihnen. Doch indem ich gewinne, werde ich umso größer sein. Ein Dutzend Dinge musste getan werden, und er hatte dafür nur Sekunden. Nau ließ Ali los, sodass er in der Mikroschwerkraft des Felshaufens langsam fiel. Ein Sprechgerät und eine lokale Datenbrille waren mit Greiffilz neben der Tür befestigt. Er griff sie sich und sprach kurze Befehle. Die Automatik hier war primitiv, doch sie würde genügen. Jetzt konnte er aus dem Bunker hinaussehen. Das Temp der Krämer stand überm Horizont, und es gab keinen Taxiverkehr, keine Gestalten in Raumanzügen, die sich um die Oberfläche des Felshaufens herum näherten.
Er tauchte durch den freien Raum, lud ein kleines Torpedo aus. Das Signal in der Ecke seines Gesichtsfeldes sagte ihm, dass sein Anruf in Hammerfest durchgekommen war. Das Ringmuster verschwand, und Phams Stimme ertönte in seinem Ohr.
»Nau?«
»Auf Anhieb richtig, mein Herr.« Nau dirigierte den Nuklearsprengkopf herüber zu dem Startrohr, das Kal Omo erst vor fünfunddreißig Tagen installiert hatte. Damals war das als wahnsinnige Vorsichtsmaßnahme erschienen. Jetzt war es seine letzte Chance.
»Es ist Zeit, dass Sie sich ergeben, Hülsenmeister. Meine Kräfte haben den ganzen Raum von L1 unter Kontrolle. Wir…«
In Phams Stimme lag ruhige Gewissheit, nichts von der Angeberei des alten Pham Trinli. Nau konnte sich vorstellen, dass diese Stimme gewöhnliche Leute in ihren Bann schlug, sie führte. Doch Tomas Nau war selbst ein Profi. Es machte ihm keine Mühe, dem anderen ins Wort zu fallen: »Im Gegenteil, mein Herr. Ich verfüge über die einzige Macht, die zählt.« Er berührte die Tasten beim Startrohr. Es gab einen dumpfen Knall, als Druckluft aus dem oberen Ende strömte und den Schnee wegblies. »Ich habe eine taktische Kernwaffe programmiert und geladen. Das Ziel ist das Krämertemp. Es ist eine improvisierte Waffe, doch ich bin mir sicher, dass sie genügen wird.«
»Das können Sie nicht machen, Hülsenmeister. Dreihundert von ihren eigenen Leuten sind dort drüben.«
Nau lachte sanft. »Ich, ich kann durchaus. Ich verliere eine Menge, aber ich habe immer noch ein paar Leute im Kälteschlaf. Ich… Sind Sie wirklich Pham Nuwen?« Die Frage rutschte heraus, wie unwillkürlich.
Es gab eine Pause, und als Nuwen sprach, klang er besorgt. »Ja.« Und du machst alles selber, nicht wahr? Das ergab Sinn. Eine gewöhnliche Verschwörung wäre schon vor Jahren entdeckt worden. Es waren nur Pham Nuwen und Ezr Vinh, von Anfang an. Wie ein einzelner Mann, der seinen Wagen quer über einen Kontinent zieht, hatte Nuwen beharrlich sein Ziel verfolgt, hatte beinahe gesiegt. »Es ist eine Ehre, Ihnen zu begegnen, mein Herr. Ich habe Sie viele Jahre lang studiert.« Während er sprach, rief Nau ein Bild mit der Diagnostik des Torpedos auf. Er schaute genau die Startschiene entlang; das Rohr war frei. »Ihr einziger Fehler ist vielleicht, dass Sie das Hülsenmeister-Ethos nicht vollends verstanden haben. Sehen Sie, wir Hülsenmeister sind aus der Katastrophe heraufgestiegen. Das ist unsere innere Stärke, unser Vorteil. Wenn ich das Temp zerstöre, wird die L1-Operation ungeheuer weit zurückgeworfen. Aber meine persönliche Lage verbessert sich. Ich werde immer noch den Felshaufen haben. Ich werde immer noch viele von den Blitzköpfen haben. Ich werde immer noch die Unsichtbare Hand haben.« Er wandte sich vom Startrohr ab. Er ließ den Blick über die Ausrüstungsbuchten schweifen, zu den verbliebenen Torpedos; vielleicht musste er auch das Dachgeschoss von Hammerfest wegputzen. Das hatte nicht zu den Katastrophenplänen gehört, nicht einmal zu den extremsten. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, es so zu machen, dass manche von den Blitzköpfen am Leben blieben. Ein anderer Teil seines Geistes wartete neugierig darauf, was Pham Nuwen sagen würde. Würde er wie ein gewöhnlicher Mensch kapitulieren, oder würde er das Herz eines echten Hülsenmeisters haben? Diese Frage war das Wesen von Pham Nuwens moralischer Schwäche.
Unvermittelt ertönte ein Klappern, das im Bunker widerhallte. Ali Lin war aus seinem Blickfeld gefallen, ins untere Ende. Doch das Geräusch ertönte wieder und wieder, eine Million Metallplatten, die zusammenprallten. Vielleicht der innere Eingang? Das war der tiefste Punkt des Bunkers. Nau bewegte sich lautlos zum Rande des Schachts.
Gegen das Getöse war Pham Nuwens Stimme schwach. »Sie irren sich, Hülsenmeister. Sie haben weder…« Nau schaltete mit einer raschen Handbewegung den Ton aus und bewegte sich langsam vorwärts. Er ging von Hand die feststehenden Kameras im Bunker durch. Nichts. Die primitive Automatik war eine Rettung und eine Seuche. Also gut. Waffen. War hier etwas Kleineres als ein Nuklearsprengkopf in der Nähe? Die Datenbank war für solche Banalitäten nicht eingerichtet. Er ließ die Inventarlisten durch seine Datenbrille laufen und bewegte sich dabei nahe an der Wand, noch immer von unten nicht zu sehen. Das Klappern und Scheppern dauerte an. Ah, das kam von den Servos im Seegrund, deren Lärm durch den Tunnel geleitet wurde! So gut wie eine Fanfare für jemanden, der heimlich einbrechen wollte.
Der Angreifer, wenn er das denn war, schwebte nach oben und kam in Sicht.
»Ach, Herr Vinh. Ich dachte, Sie wären ordentlich ersoffen.«
In der Tat wirkte Vinh halb bewusstlos, sein teigiges Gesicht war fahl. Es gab kein Anzeichen von Pistolendraht-Wunden. Nein, er hat eine von meinen Jacken gestohlen. Das Druckgewebe saß eng und mit perfekten Falten, doch der rechte Arm war leicht verdreht, kraftlos. Vinh hielt Ali sacht an seiner linken Schulter. Er schaute Nau an, und Hass schien seine Lebensgeister zu wecken.
Doch am unteren Ende des Bunkers kamen keine weiteren Eindringlinge nach. Und Naus Suche im Inventar war abgeschlossen: In dem Schrank unmittelbar hinter ihm befanden sich drei Drahtpistolen! Nau atmete erleichtert auf und lächelte den Krämer an. »Sie haben sich gut gehalten, Herr Vinh.« Ein paar Sekunden Unterschied, und Vinh wäre als Erster hier gewesen und hätte einen echten Hinterhalt gelegt. Statt dessen… der Bursche schien unbewaffnet zu sein, einarmig, schwach wie ein Kätzchen. Und Tomas Nau stand zwischen ihm und den Drahtpistolen. »Ich habe keine Zeit zum Reden, fürchte ich. Entfernen Sie sich bitte von Ali.« Er sprach sanft, wandte den Blick aber nicht von den beiden. Seine linke Hand bewegte sich, um den Waffenschrank zu öffnen. Vielleicht würde die ruhige Masche bei Vinh verfangen, und er könnte ihn sauber umlegen.
»Tomas!«
Qiwi stand über ihnen am Eingang zum freien Raum des Bunkers.
Einen Augenblick lang starrte Nau sie nur an. Sie hatte Nasenbluten. Ihr Spitzenkleid war zerrissen und befleckt. Doch sie lebte. Die Absprengvorrichtung musste sich zusammen mit der Taxiluke verkeilt haben. Solange das Taxi noch angedockt war, griff die Sicherheitsblockierung der Schleuse nicht — und irgendwie hatte sie sich wieder den Weg herein gebahnt.
»Wir waren eingesperrt, Tomas. Irgendwie war die Schleuse defekt.«
»O ja!« Die Qual in Naus Stimme war völlig aufrichtig. »Sie ist zugefallen, und ich hörte einen Luftstrom. Ich… ich war mir so sicher, dass du tot warst.«
Qiwi kam von der Decke herab und dirigierte den Körper von Rei Ciret an eine Greiffilz-Halterung. Der Wachmann war vielleicht am Leben, jetzt aber offensichtlich nicht von Nutzen. »Ich… es tut mir Leid, Tomas. Ich konnte Marli nicht retten.« Sie kam durch den Raum, um ihn zu umarmen, doch es lag etwas Zögerliches in der Geste. »Mit wem redest du?« Dann sah sie Vinh und Ali. »Ezr?«