»Aber keine Sorge, Krämerjunge. Dein Quartier ist angemessen unscheinbar.« Brughel zeigte zum vorderen Fenster hinaus. Dort war ein grünlicher Fleck, kaum als Scheibe zu erkennen. Es war das Dschöng-Ho-Temp. »Wir haben es in einer Acht-Tage-Umlaufbahn um den Hauptkram geparkt.«
Tomas Nau hob höflich die Hand, fast als bitte er ums Wort, und Brughel hielt den Mund. »Wir haben nur einen Augenblick Zeit, Herr Vinh. Ich weiß, dass Anne Reynolt Ihnen einen Überblick gegeben hat, doch ich möchte sicherstellen, dass Sie ihre neuen Pflichten verstehen.« Er machte etwas an seiner Manschette, und das Bild des Dschöng-Ho-Temps wurde größer. Vinh schluckte; komisch, es war nur ein gewöhnliches provisorisches Temp, kaum hundert Meter im Durchmesser. Seine Augen suchten nach der plumpen, wulstigen Hülle. Er hatte keine zwei Megasekunden dort gelebt, hatte die karge Ökonomie tausendmal verflucht. Doch jetzt kam es von allem, was noch existierte, einer Heimat am nächsten; drinnen befanden sich viele von Ezrs überlebenden Freunden. Ein provisorisches Temp ist so leicht zu zerstören. Doch alle Zellen sahen voll aufgeblasen aus, und es gab kein Flickwerk. Kapitän Park hatte es fern von seinen Schiffen angeordnet, und Nau hatte es verschont. »… also ist Ihre neue Stellung eine wichtige. Als mein Flottenverwalter haben Sie Verantwortlichkeiten, die mit denen des verstorbenen Kapitäns Park zu vergleichen sind. Sie werden meine ständige Unterstützung haben; ich werde dafür sorgen, dass das meinen Leuten klar ist.« Ein Blick zu Ritser Brughel. »Aber bitte denken Sie daran: Unser Erfolg — sogar unser Überleben — hängt jetzt von unserer Zusammenarbeit ab.«
Zehn
Was die Personalverwaltung anging, wusste Ezr, dass er etwas langsam war. Worauf Nau hinaus wollte, hätte sofort deutlich sein sollen. Vinh hatte derlei Dinge sogar in der Schule durchgenommen. Als sie das Temp erreicht hatten, hielt Nau eine salbungsvolle kleine Rede, mit der er Vinh als den neuen ›Flottenverwalter der Dschöng Ho‹ einführte. Nau wies besonders auf die Tatsache hin, dass Vinh das ranghöchste anwesende Mitglied einer Familie von Schiffseignern war. Die beiden Vinh-Schiffe hatten den Überfall verhältnismäßig unbeschadet überstanden. Wenn es einen legitimen Gebieter für die Schiffe der Dschöng Ho gab, dann war es Ezr Vinh. Und wenn alle mit der legitimen Obrigkeit zusammenarbeiteten, würde es doch noch Reichtum für alle geben. Dann wurde Ezr nach vorn gedrängt, um ein paar Worte zu murmeln, wie froh er sei, sich wieder unter Freunden zu befinden, und wie sehr er auf ihre Hilfe hoffe.
An den folgenden Tagen verstand er allmählich, welchen Keil Nau zwischen Pflicht und Loyalität getrieben hatte. Ezr war daheim und war es doch nicht. Jeden Tag sah er vertraute Gesichter. Benny Wen und Jimmy Diem hatten beide überlebt. Ezr kannte Benny, seit sie sechs Jahre alt waren; jetzt war er für ihn wie ein Fremder, ein zur Zusammenarbeit bereiter Fremder.
Und dann traf er, eher zufällig als geplant, Benny in der Nähe der Taxischleusen des Temps. Ezr war allein. Immer weniger folgten die ihm als Assistenten beigegebenen Aufsteiger seinen Bewegungen. Sie vertrauten ihm? Sie hatten ihn verwanzt? Sie konnten sich nicht vorstellen, dass er ihnen schadete? Alle Möglichkeiten waren widerwärtig, doch es war gut, sie los zu sein.
Benny befand sich mit einem kleinen Trupp Dschöng-Ho-Leute direkt unter der äußersten Ballonwand. Da sie sich in der Nähe der Schleusen befanden, gab es hier kein äußeres Zwischenfutter; hin und wieder schickten die Lichter eines vorbeifliegenden Taxis ein sich bewegendes Leuchten durch das Gewebe. Bennys Trupp war über die Wand verteilt, wo sie an den Knotenpunkten der Anflugautomatik arbeiteten. Ihr Truppchef, ein Aufsteiger, befand sich am anderen Ende des freien Raums.
Ezr glitt aus dem Radialtunnel heraus, sah Benny Wen und schnellte sich mühelos quer über die Wand auf ihn zu.
Wen schaute von seiner Arbeit auf und nickte höflich. »Flottenverwalter.« Die Förmlichkeit war ihm jetzt vertraut — und schmerzte dennoch so sehr wie ein Schlag ins Gesicht.
»Hallo, Benny. W-wie läuft’s denn so?«
Wen schaute kurz zu dem Aufsteiger hinüber. Der Truppchef hob sich mit seinem grauen und strengen Arbeitsanzug wirklich gegen den ausgreifenden Individualismus der meisten Dschöng-Ho-Leute ab. Er redete laut mit dreien von dem Arbeitstrupp, aber auf diese Entfernung wurden seine Worte vom Ballongewebe gedämpft. Benny schaute zurück zu Ezr und zuckte die Achseln. »Oh, ganz gut. Du weißt, was wir hier tun?«
»Ihr tauscht die Kom-Eingabegeräte aus.« Einer der ersten Züge der Aufsteiger war es gewesen, alle Datenbrillen zu konfiszieren. Die Brillen und die zugehörige Eingabeelektronik waren die klassischen Werkzeuge der Freiheit.
Wen lachte leise, den Blick noch auf dem Truppchef. »Auf Anhieb richtig, Ezr, alter Kumpel. Weißt du, unsere neuen… Arbeitgeber… haben ein Problem. Sie brauchen unsere Schiffe. Sie brauchen unsere Ausrüstung. Doch nichts davon funktioniert ohne die Automatik. Und wie können sie der trauen?« Sämtliche wirksame Maschinerie hatte eingebettete Steuermodule. Und natürlich waren die Steuermodule vernetzt, zusammengehalten vom unsichtbaren Leim des lokalen Netzwerkes ihrer Flotte, das alles abgestimmt funktionieren ließ.
Die Software für dieses System war im Laufe von Jahrtausenden entwickelt worden, von der Dschöng Ho im Laufe von Jahrhunderten verfeinert. Man brauchte sie nur zu zerstören, und die Flotte wäre kaum mehr als Metallschrott. Doch wie konnte ein Eroberer dem trauen, was all die Jahrhunderte eingebaut hatten? Meistens wurde in derlei Situationen die Ausrüstung des Verlierers einfach zerstört. Doch wie Tomas Nau eingestand, konnte es sich niemand leisten, noch mehr Ressourcen einzubüßen.
»Ihre eigenen Arbeitstrupps gehen jeden Knoten durch, weißt du. Nicht nur hier, sondern auf allen verbliebenen Schiffen. Bit für Bit programmieren sie sie für die neue Anbindung um.«
»Es ist nicht möglich, alles zu ersetzen.« Hoffe ich. Die schlimmsten Tyranneien waren diejenigen, wo eine Regierung verlangte, dass ihre eigene Logik jedem vernetzten Knoten aufgeprägt wurde.
»Du würdest staunen, was sie alles austauschen. Ich habe sie bei der Arbeit gesehen. Ihre Computertechniker sind… seltsam. Sie haben Zeug in den Systemen zu Tage gefördert, das ich nie vermutet hätte.« Benny hob die Schultern. »Aber du hast Recht, die am tiefsten eingebetteten Ebenen rühren sie nicht an. Es ist größtenteils die Eingabe-Ausgabe-Logik, die umgebogen wird. Dafür kriegen wir brandneue Schnittstellen.« Bennys Gesicht verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Er zog ein längliches Stück schwarzen Kunststoff von seinem Gürtel ab. Eine Art Tastatur. »Das ist das Einzige, was wir eine Zeit lang benutzen werden.«
»Gott, sieht das uralt aus.«
»Einfach, aber nicht uralt. Ich glaube, das sind nur Reservegeräte, die die Aufsteiger zur Hand hatten.« Benny schickte einen weiteren Blick in die Richtung seines Truppchefs. »Das Wichtige ist, die Kommunikationsausrüstung in diesen Kästen kennen die Aufsteiger. Mach dir daran zu schaffen, und es gibt Alarm im lokalen Netz. Im Grunde können sie alles filtern, was wir tun.« Benny schaute auf den Kasten hinab, steckte ihn wieder fest. Benny war auch nur Anwärter, wie Ezr. In technischen Dingen war er nicht viel besser beschlagen als Ezr, doch er hatte immer ein Gespür für schlaue Geschäfte. »Seltsam. Was ich von der Technik der Aufsteiger gesehen habe, sieht ziemlich öde aus. Trotzdem haben diese Kerle wirklich vor, alles anzuzapfen und zu überwachen. Irgendwas ist an ihrer Automatik dran, was wir nicht verstehen.« Er sprach fast zu sich selbst.