Herrgott. Einen Augenblick lang erstarrte Jimmy einfach. Wann immer er seit dem Überfall geschlafen hatte, hatten ihn Gedanken an Misserfolg und Tod verfolgt. Um so weit zu kommen, waren sie tausend tödliche Risiken eingegangen. Er hatte akzeptiert, dass sie vielleicht entdeckt würden. Doch niemals hatte er geglaubt, es würde auf diese Art passieren. Was der alte Narr entdeckt hatte, mochte wichtig sein oder wertlos. Und jetzt zurückzuweichen, wäre so ziemlich das schlechteste Ergebnis. Es ist einfach zu spät.
Jimmy zwang seinen Mund, sich zu öffnen, seine Lippen, zu sagen: »Ich sage, schalt das aus!« Er wandte sich wieder dem Rumpf der Schatz zu und tippte den Zugangscode der Aufsteiger ein. Eine Sekunde verstrich — und dann teilten sich die Muschelschalen. Do und Patil trieben hinauf ins Dämmerlicht der Luftschleuse. Diem zögerte nur eine Sekunde, klatschte ein kleines Gerät an die Rumpfwand neben der Tür und folgte den beiden.
Zwölf
Pham Trinli schaltete die Verbindung ab. Er machte kehrt und kletterte rasch die Spalte entlang zurück. Wir sind also angeschmiert worden. Tomas Nau war viel zu schlau, und er hatte ihnen irgendetwas Seltsames voraus. Trinli hatte Hunderte von Operationen gesehen, manche kleiner als diese, andere, die Jahrhunderte gedauert hatten. Doch nie hatte er diese Art präziser fanatischer Aufmerksamkeit für Einzelheiten erlebt, wie er sie in den Aufzeichnungen gesehen hatte, die die Aufsteiger über die illegale Verschlüsselung angelegt hatten. Entweder besaß Nau zauberkräftige Software oder Arbeitsgruppen von Monomanen. Im Hintergrund seines Bewusstseins fragte sich der Planer in ihm, was es wohl sein könnte und wie Pham Trinli es sich eines Tages zu Nutze machen könnte.
Zunächst ging es nur ums Überleben. Wenn sich Diem nur von der Schatz zurückziehen würde, dann würde sich die von Nau gestellte Falle vielleicht nicht schließen oder nicht so tödlich sein.
Die pure Diamantfläche zu seiner Linken funkelte jetzt, das größte Juwel aller Zeiten, das ringsum Sonnenlicht aussandte. Vor ihm war das Licht fast ebenso brillant, ein blendender Nimbus, wo Eisgipfel ins Licht des EinAus-Sterns ragten. Der silbrige Sonnenschild blähte sich hoch, nur an drei Stellen festgehalten.
Unvermittelt wurden Pham Hände und Knie weggeschlagen. Er wirbelte vom Weg weg, fing sich mit einer Hand. Und durch diese Hand hörte er die Felsen stöhnen. Nebel wurde auf der ganzen Länge der Spalte herausgeblasen — und der Diamantberg bewegte sich. Es war weniger als ein Zentimeter pro Sekunde, gemächlich, doch er bewegte sich. Pham sah die ganze Öffnung entlang Licht. Er hatte die Felskarten der Arbeitsgruppe gesehen. Diamant Eins und Zwei lagen an einer gemeinsamen Ebene aneinander. Die Ingenieure der Aufsteiger hatten das Tal darüber als bequemen Ort benutzt, Teile des Eises und des Schnees von Arachna zu verankern. Alles sehr vernünftig… und nicht gut genug im Modell erfasst. Manche von diesen flüchtigen Stoffen waren zwischen die Felsen gerutscht. Das zwischen Eins und Zwei hin und her reflektierte Licht traf auf diese Ansammlung von Eis und Schnee. Jetzt trieben die verdampfenden Gase die Diamanten Eins und Zwei auseinander. Aus den Hunderten von Metern guter Deckung war jetzt eine zerklüftete Lücke geworden, eine Million Spiegel. Das hindurchdringende Licht war ein höllischer Regenbogen.
»Einhundertfünfundvierzig Kilowatt pro Quadratmeter.«
»Das ist der Höhepunkt der Kurve«, sagte jemand. Der EinAus-Stern schien über hundertmal so hell wie der Sol-Standard. Er folgte dem Verlauf der früheren Aufflammkurven, obwohl sie diesmal heller als meistens war. Der Stern würde noch zehntausend Sekunden so hell bleiben, dann steil auf knapp über zwei Sol-Standards abfallen, wo er etliche Jahre verweilen würde.
Es gab keine Triumphrufe. Die letzten paar hundert Sekunden über war die Menge im Temp fast still gewesen. Zuerst war Qiwi ganz mit ihrem Zorn beschäftigt gewesen, dass man sie nach drinnen geschubst hatte. Doch sie hatte sich beruhigt, als erst eine von den Halterungen der silbrigen Abdeckung gebrochen war und dann noch eine, sodass direktes Sonnenlicht auf das Eis gefallen war. »Ich habe Jimmy gesagt, dass das nicht halten wird.« Doch sie klang nicht mehr wütend. Das Lichtschauspiel war schön, doch der Schaden überstieg bei weitem das, was sie geplant hatten. Ausströmender Dampf war an allen Seiten zu sehen, und ihre armseligen E-Triebwerke kamen dagegen nicht an. Es würde Megasekunden dauern, bis sie den Felshaufen wieder zur Ruhe gebracht hätten.
Dann, vierhundert Sekunden nach dem Aufflammen, riss sich die Abdeckung los. Sie hob sich langsam, drehte sich am violetten Himmel. Es gab keine Anzeichen von der Arbeitsgruppe, die sich darunter hätte verbergen sollen. Besorgtes Murmeln erhob sich. Nau machte etwas mit seinem Armband, und seine Stimme war plötzlich laut genug, um überall im Raum gehört zu werden. »Keine Sorge. Sie hatten etliche hundert Sekunden, um zu sehen, dass sich die Abdeckung löste, reichlich Zeit, um nach unten in den Schatten zu gehen.«
Qiwi nickte, sagte aber leise zu Ezr: »Wenn sie nicht heruntergefallen sind. Ich weiß nicht, warum sie überhaupt da oben waren.« Wenn sie heruntergefallen wären, ins Sonnenlicht hinausgetrieben… Selbst mit Thermojacke würden sie einfach gekocht.
Er spürte, wie eine schmale Hand in die seine glitt. Weiß das Balg überhaupt, dass sie das getan hat? Doch nach einer Sekunde drückte er ihr sacht die Hand. Qiwi starrte hinaus auf den Haupt-Arbeitsplatz. »Ich müsste da draußen sein.« Es war dasselbe, was Qiwi immer wieder gesagt hatte, seit sie hereingekommen war, doch jetzt klang es ganz anders.
Dann zitterten die Bilder von draußen, als hätte etwas alle Kameras gleichzeitig getroffen. Das Licht, das durch die nackte Oberfläche von Diamant Zwei sickerte, wurde zu einer hellen, gezackten Linie. Und dann kam der Schall, ein Stöhnen, das immer lauter wurde und dessen Tonhöhe erst anstieg und dann wieder sank.
»Hülsenmeister!« Die Stimme war laut und nachdrücklich, nicht der roboterhafte Berichtston der Aufsteiger-Techniker. Es war Ritser Brughel. »Diamant Zwei verschiebt sich, löst sich…« Und jetzt war es offensichtlich. Der ganze Berg wankte. Milliarden Tonnen in Bewegung.
Und das stöhnende Geräusch, das noch immer den Versammlungsraum füllte, musste das Verankerungsgeflecht sein, das sich unter dem Temp verdrehte.
»Wir sind nicht auf seinem Weg, Herr Hülsenmeister.« Ezr sah es jetzt. Die ungeheure Masse bewegte sich langsam, langsam, doch sie glitt weg von dem Temp und Hammerfest und den vertäuten Sternenschiffen. Das Bild draußen war langsam rotiert, jetzt drehte es sich zurück. Alle im Versammlungsraum suchten sich hastig eine Stelle, wo sie sich festmachen konnten.
Hammerfest war in Diamant Eins hineingebaut. Der große Fels sah unverändert, unbewegt aus. Die Sternenschiffe dahinter… Es waren kleine Fische neben der Masse der Diamanten, doch jedes Schiff war über sechshundert Meter lang, ohne Treibstoff eine Million Tonnen. Und die Schiffe schwankten langsam an den Enden ihrer Verankerungspunkte auf Diamant Eins hin und her. Es war ein Tanz von Leviathanen — und ein Tanz, der sie vollends in den Untergang treiben würde, wenn er andauerte.
»Hülsenmeister!« Wieder Brughel. »Ich bekomme Sprechfunk vom Gruppenleiter, Diem.«
»Gut, stellen Sie ihn durch.«
Oberhalb der Luftschleuse war es dunkel. Das Licht ging nicht an, und es gab keine Atmosphäre. Diem und die anderen schwebten den Tunnel von der Schleuse hinan und wandten rasch die Helme hin und her. Vom Tunnel aus sahen sie leere Räume, Räume, deren Trennwände weggesprengt worden waren, die fünfzig Meter tief ausgeschlachtet worden waren. Dabei sollte das das unbeschädigte Schiff sein. In Diem stieg Kälte hoch. Der Feind war nach der Schlacht hereingekommen und hatte das Schiff ausgesogen, eine tote Hülle hinterlassen.