»Aber, aber…« Für einen Augenblick schien der zungenfertige Hülsenmeister sprachlos zu sein. »Ihre eigenen Leute könnten umkommen! Und wir haben die Waffen von der Ferner Schatz entfernt. Es ist unser Krankenhaus-Schiff, um Gottes willen!«
Einen Moment lang kam keine Antwort, nur der Klang eines gedämpften Disputs. Ezr bemerkte, dass der Techniker der Aufsteiger, Xin, keinen Ton gesagt hatte. Er beobachtete seinen Hülsenmeister mit schmerzerfülltem Blick aus weit offenen Augen.
Dann war Jimmy wieder da: »Verdammt sollt ihr sein. Ihr habt also die Waffensysteme ausgeschlachtet. Aber das spielt keine Rolle, Kleiner. Wir haben vier Kilo S7 vorbereitet. Ihr hattet keine Ahnung, dass wir Zugang zu Sprengstoffen hatten, was? In diesen Elektro-Triebwerken war eine Menge, wovon ihr nichts geahnt habt.«
»Nein, nein.« Nau schüttelte fast ziellos den Kopf.
»Wie Sie sagen, Hülsenmeister, dies ist Ihr Krankenhaus-Schiff. Außer unseren Waffenführern im Kälteschlaf sind Ihre eigenen Leute hier. Selbst ohne die Geschütze des Schiffes, würde ich sagen, haben wir ein Druckmittel für Verhandlungen.«
Nau warf Ezr und Qiwi einen beschwörenden Blick zu. »Ein Waffenstillstand. Bis wir den Felshaufen zur Ruhe gebracht haben.«
»Nein!«, rief Jimmy. »Ihr werdet euch herauswinden, sobald euch die Ereignisse nicht mehr an der Gurgel haben.«
»Verdammt, Mann, das sind eure eigenen Leute an Bord der Schatz.«
»Wenn sie nicht im Kälteschlaf lägen, würden sie mir zustimmen, Hülsenmeister. Jetzt wird abgerechnet. Wir haben dreiundzwanzig von Ihren Leuten in der Krankenstation, plus die fünf von Ihrer Wartungsmannschaft. Wir wissen auch, wie man das Geiselspiel spielt. Ich will, dass Sie und Brughel hier herüber kommen. Sie können Ihre Taxis verwenden, alles schön und sicher. Sie haben eintausend Sekunden Zeit.«
Nau war Ezr Vinh immer wie ein sehr berechnender Typ vorgekommen. Und er schien sich bereits von seinem Schock erholt zu haben. Nau hob theatralisch des Kinn und starrte auf die Stelle, wo Jimmys Stimme herkam. »Und wenn wir es nicht tun?«
»Wir verlieren, aber ihr auch. Erst einmal sterben eure Leute hier. Dann benutzen wir das S7, um die Schatz von den Verankerungen abzusprengen. Wir werden euer verdammtes Hammerfest damit rammen.«
Qiwi hatte bisher schockiert zugehört, bleich und mit großen Augen. Jetzt schrie sie plötzlich los: »Nein! Nein! Jimmy! Bitte nicht!«
Ein paar Sekunden lang ruhten aller Blicke auf Qiwi. Selbst das fieberhafte Schließen von Anzügen und Helmen ließ nach, und man hörte nur das laute Stöhnen des Seilgespinsts, mit dem das Temp festgemacht war, wie es sich langsam hin und her drehte. Qiwis Mutter war an Bord der Ferner Schatz; ihr Vater war mit allen Opfern der Geistfäule in Hammerfest. Ob im Kälteschlaf oder ›Fokus‹, die meisten Überlebenden der Dschöng-Ho-Expedition befanden sich an dem einen oder dem anderen Ort. Trixia. Das geht zu weit, Jimmy. Mach’s halblang! Doch die Worte erstarben in Ezrs Kehle. Er hatte Jimmy vollends vertraut. Wenn dieses tödliche Gerede Ezr Vinh überzeugte, dann vielleicht auch Tomas Nau.
Als Jimmy wieder sprach, ignorierte er Qiwis Schrei. »Sie haben nur noch neunhundertfünfundsiebzig Sekunden, Hülsenmeister. Ich rate Ihnen und Brughel, ihre Ärsche hier herüber zu bewegen.«
Das wäre schwer möglich gewesen, selbst wenn Nau aus dem Temp geschossen wäre. Er wandte sich Xin zu, und die beiden diskutierten mit gedämpfter Stimme.
»Ja, ich kann Sie hinbringen. Es ist gefährlich, aber das lose Zeug bewegt sich mit weniger als einem Meter pro Sekunde. Wir können ihm ausweichen.«
Nau nickte. »Dann los! Ich will…« Er schloss seine Druckjacke und den Helm, und seine Stimme war nicht mehr zu hören.
Die Menge von Dschöng-Ho-Leuten und Aufsteigern schmolz von den beiden weg, während sie sich zum Ausgang bewegten.
Aus dem Lautsprecher, über den die Verbindung lief, drang ein lautes Krachen, das abrupt abbrach. Im Raum schrie jemand auf und zeigte auf das Hauptfenster. Etwas taumelte von der Seite der Ferner Schatz weg, etwas Kleines und sich rasch Bewegendes. Ein Bruchstück des Schiffsrumpfes.
Nau war an der Tür des Versammlungsraums geblieben. Er schaute zurück auf die Ferner Schatz. »Laut Systemstatus ist die Ferner Schatz leckgeschlagen«, sagte Brughel. »Mehrfache Explosionen im radialen Achterdeck fünfzehn.«
Das waren die Kälteschlaf-Lagerräume und die Krankenstation. Ezr konnte sich nicht bewegen, nicht wegschauen. Der Rumpf der Ferner Schatz riss an noch zwei Stellen auf. Fahles Licht flackerte kurz aus den Löchern. Vergleichen mit dem Sturm des Wiederaufflammens war es unbedeutend. Für ein ungeübtes Auge hätte die Schatz unbeschädigt aussehen können. Die Löcher im Rumpf waren nur ein paar Meter groß. Doch S7 war der stärkste Sprengstoff der Dschöng Ho, und es sah so aus, als wären alle vier Kilogramm hochgegangen. Radialdeck fünfzehn lag hinter vier Schotts, zwanzig Meter unter der Außenhülle. Nach innen hin hatte die Explosion höchstwahrscheinlich den Staustrahl-Kanal der Ferner Schatz zerschmettert. Ein weiteres Sternenschiff war gestorben.
Qiwi schwebte reglos mitten im Raum, außer Reichweite tröstender Hände.
Dreizehn
Kilosekunden vergingen, mit mehr Arbeit angefüllt als jede Zeit in Ezrs Leben. Der Schrecken von Jimmys Versagen blieb im Hintergrund seines Bewusstseins hängen. Es hatte keinen Platz, um zum Vorschein zu kommen. Sie waren einfach zu sehr damit beschäftigt, möglichst viel vor den menschlichen und Naturkatastrophen zu retten.
Am Tag darauf wandte sich Tomas Nau an die Überlebenden im Temp und in Hammerfest. Der Tomas Nau, der vom Fenster her auf sie schaute, war sichtlich erschöpft, und es fehlte ihm seine übliche Glätte.
»Meine Damen und Herren, ich beglückwünsche Sie. Wir haben das zweitheftigste Aufflammen in der gesamten aufgezeichneten Geschichte des EinAus-Sterns überlebt. Wir taten es trotz des grässlichsten Verrats.« Er ging näher ans Aufnahmegerät, als schaue er auf die erschöpften Aufsteiger und Dschöng-Ho-Leute im Versammlungsraum. »Die Erfassung der Schäden und Versuche zur Wiederherstellung werden in den nächsten Megasek unsere wichtigsten Arbeiten sein… doch ich muss offen zu Ihnen sein. Die erste Schlacht zwischen den Flotten der Dschöng Ho und der Aufsteiger war für die Dschöng Ho ungeheuer zerstörerisch; leider muss ich sagen, dass sie fast ebenso schlecht für die Aufsteiger war. Wir haben versucht, einen Teil der Schäden zu verschleiern. Wir hatten eine Menge Ersatzausrüstung, medizinische Einrichtungen und Rohmaterialien, die wir von der Arachna heraufgeholt haben. Wir hätten das Fachwissen von Hunderten hochrangiger Dschöng-Ho-Leute gehabt, wenn die Sicherheitsfragen erst einmal geklärt gewesen wären. Nichtsdestoweniger operierten wir am Rande der Sicherheit. Nach den gestrigen Ereignissen sind alle Sicherheitsreserven verschwunden. Gegenwärtig besitzen wir kein einziges funktionsfähiges Staustrahlschiff — und es ist nicht klar, ob wir aus den Wracks eins zusammenbauen können.«
Nur zwei der Sternenschiffe waren zusammengestoßen. Doch anscheinend war die Ferner Schatz das funktionstüchtigste gewesen — und nach Jimmys Aktion waren ihr Triebwerk und die meisten Lebenserhaltungssysteme Schrott.
»Viele von Ihnen haben in den letzten Kilosekunden beim Versuch, einen Teil der flüchtigen Stoffe zu retten, Ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Dieser Teil der Katastrophe scheint niemandes Schuld zu sein. Niemand von uns hat mit der Heftigkeit des Aufflammens gerechnet oder mit der Wirkung, die zwischen den Felsen eingeschlossenes Eis haben könnte. Wie Sie wissen, haben wir die meisten von den großen Blöcken wieder eingefangen. Nur drei sind noch im freien Flug.« Benny Wen und Jau Xin arbeiteten zusammen an dem Versuch, diese drei und etliche kleinere zurückzuholen. Sie waren nur dreißig Kilometer entfernt, doch die großen hatten jeder eine Masse von hunderttausend Tonnen — und zum Bugsieren hatten sie nur Taxis und einen lädierten Heber.