Reynolt beachtete ihn nicht. Sie öffnete die Schleusenluke und führte ihn nach Hammerfest hinein. Als sie wieder sprach, schwang in ihrer tonlosen Stimme so etwas wie Enthusiasmus. »Fokussierung adelt. Sie ist der Schlüssel zum Erfolg der Aufsteiger und etwas viel Raffinierteres, als Sie sich vorstellen. Es ist nicht nur, dass wir eine psychoaktive Mikrobe geschaffen haben. Es ist eine, deren Wachstum innerhalb des Hirns mit millimetergenauer Präzision gesteuert werden kann — und wenn sie erst einmal an Ort und Stelle ist, kann das Ensemble in seinen Aktionen mit derselben Präzision gelenkt werden.«
Vinhs Reaktion war so deutlich, dass sie sogar in Reynolts Aufmerksamkeit drang. »Verstehen Sie nicht? Wir können die Aspekte des Bewusstseins verbessern, die die Fokussierung der Aufmerksamkeit betreffen: Wir können aus Menschen Analyse-Maschinen machen.« Sie führte es in allen widerlichen Einzelheiten aus. Auf den Aufsteigerwelten verteilte sich der Fokussierungs-Prozess über die letzten Ausbildungsjahre eines Spezialisten und intensivierte die Erfahrungen des Fachstudiums so, dass Genialität entstand. Für Trixia und die anderen war der Prozess notwendigerweise abrupter verlaufen. Viele Tage lang hatten Reynolt und ihre Techniker das Virus manipuliert, genetische Routinen in Gang gesetzt, die präzise die Chemikalien des Denkens frei setzten — alles von Medizincomputern der Aufsteiger begleitet, die mit konventioneller Hirndiagnostik Rückmeldungen gewannen…
»Und jetzt ist die Ausbildung abgeschlossen. Die Überlebenden sind bereit, ihren Forschungen nachzugehen, wie sie es nie zuvor gekonnt hätten.«
Reynolt führte ihn durch Zimmer mit Plüschmöbeln und holzgetäfelten Wänden. Sie folgten Korridoren, die immer enger wurden, bis es Tunnel von kaum einem Meter Durchmesser waren. Es war eine Kapillar-Architektur, die er in Geschichtswerken gesehen hatte… Bilder aus dem Herzen einer urbanen Tyrannei. Und schließlich standen sie vor einer einfachen Tür. Wie bei den anderen hinter ihnen stand eine Nummer und ein Fachgebiet darauf. Hier war es ›F042 FORSCHUNGSLINGUISTIK‹.
Reynolt hielt inne. »Noch eins. Hülsenmeister Nau glaubt, dass Sie von dem, was Sie hier sehen, bestürzt sein könnten. Ich weiß, dass sich Ausländer extrem verhalten, wenn sie zum ersten Mal auf Fokus treffen.« Sie reckte den Kopf, als zweifle sie an Ezr Vinhs vernünftigem Verhalten. »Also. Der Hülsenmeister hat mich gebeten, zu betonen: Fokus ist normalerweise umkehrbar, zumindest weitgehend.« Sie hob die Schultern, als sage sie etwas auswendig Gelerntes auf.
»Öffnen Sie die Tür«, sagte Ezr mit brüchiger Stimme.
Das Zimmerchen war winzig, trübe vom Leuchten eines Dutzends aktiver Fenster erhellt. Das Licht bildete einen Halo um den Kopf der Person im Zimmer: kurzes Haar, schlanke Gestalt in einfachem Arbeitsanzug.
»Trixia?«, sagte er leise. Er streckte die Hand aus, um ihre Schulter zu berühren. Sie wandte den Kopf nicht. Vinh kämpfte sein Entsetzen nieder und zog sie herum, um ihr ins Gesicht zu schauen. »Trixia?«
Einen Moment lang schien sie ihm direkt in die Augen zu blicken. Dann drehte sie sich von seiner Berührung weg und versuchte an ihm vorbei auf die Fenster zu schauen. »Du blockierst mir die Sicht. Ich kann nichts sehen!« Sie klang nervös, am Rande der Panik.
Ezr drehte den Kopf, um zu sehen, was auf den Fenstern so wichtig war. Die Wände rings um Trixia waren mit Struktur- und Ableitungsdiagrammen ausgefüllt. Eine ganze Sektion schien aus Vokabular-Optionen zu bestehen. Es gab Worte in Nese mit Mehrfach-Zuordnungen zu Fragmenten von unaussprechlichem Unsinn. Es war eine typische Sprachanalyse-Umgebung, jedoch mit mehr aktiven Fenstern, als ein vernünftiger Mensch verwenden würde. Trixias Blick sprang von Stelle zu Stelle, ihre Finger tippten Menüpunkte ein. Ab und zu murmelte sie einen Befehl. Ihr Gesicht war von totaler Konzentration erfüllt. Es sah nicht fremdartig aus und war an sich nicht entsetzlich; er hatte es früher gesehen, wenn sie von einem Sprachproblem total fasziniert war.
Sobald er ihr aus dem Blickfeld trat, war er aus ihren Gedanken verschwunden. Sie war stärker auf ihre Arbeit… fokussiert…, als er sie je zuvor gesehen hatte.
Und Ezr Vinh begann zu verstehen.
Er beobachtete sie ein paar Sekunden lang, sah zu, wie sich die Muster in den Fenstern ausbreiteten, Entscheidungen getroffen wurden, Strukturen sich veränderten. Schließlich fragte er mit ruhiger, fast interesseloser Stimme: »Und wie läuft’s so, Trixia?«
»Gut.« Die Antwort kam sofort, der Ton war genau der der alten Trixia, wenn sie beunruhigt war. »Die Bücher aus der Spinnenbibliothek, die sind wunderbar. Ich habe jetzt einen Schlüssel zu ihren Schriftprinzipien. Niemand hat je derlei gesehen, niemand hat je derlei getan. Die Spinnen sehen nicht so wie wir; die Bilder werden bei ihnen auf ganz andere Weise zusammengesetzt. Ohne die Physikbücher wäre mir nie der Gedanke an aufgespaltene Grapheme gekommen.« Ihre Stimme war fern, ein wenig aufgeregt. Sie wandte sich beim Sprechen nicht zu ihm um, und ihre Finger tippten weiter. Jetzt, da sich seine Augen an das trübe licht gewöhnt hatten, sah er beängstigende Kleinigkeiten. Ihr Arbeitsanzug war frisch, doch an der Vorderseite liefen Sirupflecke hinab. Ihr Haar, obwohl kurz geschnitten, sah wirr und schmutzig aus. Ein Fleck von etwas — Essen? Rotz? — hing knapp über den Lippen in ihrem Gesicht.
Kann sie sich wenigstens selber waschen? Vinh schaute nach unten zur Tür. Der Raum war nicht groß genug für drei, doch Reynolt hatte Kopf und Schultern durch die Öffnung gesteckt. Sie schwebte leichthin auf den Ellbogen. Sie starrte mit intensivem Interesse zu Ezr und Trixia hoch. »Dr. Bonsol hat gute Arbeit geleistet, sogar bessere als unsere eigenen Linguisten, und die sind seit dem Studium fokussiert. Dank ihr werden wir die Sprache lesen können, noch ehe die Spinnen selbst ins Leben zurückkehren.«
Ezr berührte Trixia wieder an der Schulter. Wieder drehte sie sich weg. Es war eine Geste von Zorn oder Furcht, als schüttle sie eine lästige Fliege ab. »Erinnerst du dich an mich, Trixia?« Keine Antwort, doch er war sicher, dass sie sich erinnerte — es war einfach nicht wichtig genug für einen Kommentar. Sie war eine verwunschene Prinzessin, und nur die bösen Hexen konnten sie erwecken. Doch diese Verzauberung hätte sich vielleicht nie ereignet, wenn er mehr auf die Ängste der Prinzessin gehört, wenn er Sum Dotran zugestimmt hätte. »Es tut mir so Leid, Trixia.«
Reynolt sagte: »Genug für diesen Besuch, Flottenverwalter.« Sie winkte ihn aus dem Zimmerchen.
Vinh glitt zurück. Trixia wandte keinen Moment den Blick von ihrer Arbeit. Etwas wie diese Konzentration hatte ihn ursprünglich zu ihr hingezogen. Sie war Triländerin, eine von den wenigen, die sich der Dschöng-Ho-Expedition ohne nahe Freunde oder sogar eine kleine Familie angeschlossen hatten. Trixia hatte davon geträumt, das wahrlich Fremdartige zu erfahren, Dinge zu lernen, die kein Mensch je gekannt hatte. Sie hatte den Traum so heftig verfolgt wie die Kühnsten von der Dschöng Ho. Und jetzt hatte sie, wofür sie sich aufgeopfert hatte — und weiter nichts.
Auf halbem Wege aus der Tür hielt er inne und schaute durchs Zimmer auf ihren Hinterkopf. »Bist du glücklich?«, sagte er kleinlaut, ohne eigentlich eine Antwort zu erwarten.
Sie wandte sich nicht um, doch ihre Finger hörten zu tippen auf. Wo sein Gesicht und seine Berührung keinen Eindruck hinterlassen hatten, ließen die Worte einer dummen Frage sie stocken. Irgendwo in diesem geliebten Kopf sickerte die Frage durch Schichten von Fokus, wurde kurz erwogen. »Ja, sehr.« Und der Klang ihres Tippens begann wieder.
Vinh hatte keine Erinnerung an den Flug zurück zum Temp, und danach wenig mehr als verwirrte Bruchstücke von Erinnerung. Er sah Benny Wen im Schleusenbereich.
Benny wollte reden. »Wir sind früher zurück, als ich je gedacht hätte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie raffiniert Xins Piloten sind.« Er senkte die Stimme. »Eine davon war Ai Sun. Du weißt von der Unsichtbaren Hand. Sie war in der Navigations-Abteilung. Eine von unseren Leuten, Ezr. Aber sie ist innen wie tot, genau wie seine anderen Piloten und die Programmierer der Aufsteiger. Xin sagt, sie ist fokussiert worden. Er sagt, du könntest es erklären. Ezr, du weißt, mein Vater ist drüben in Hammerfest. Was…«