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Und das war alles, woran sich Ezr erinnerte. Vielleicht hatte er Benny angeschrien, vielleicht ihn einfach stehen lassen. Erklären Sie Ihren Leuten Fokus, und zwar so, dass sie ihn akzeptieren, damit, was von unseren Missionen noch übrig ist, überleben kann.

Als die Vernunft zurückkehrte…

Vinh war allein im zentralen Park des Temps, ohne jede Erinnerung, wie er dorthin geirrt war. Der Park breitete sich rings um ihn aus, die belaubten Baumwipfel streckten sich von fünf Seiten ihm entgegen. Es gab eine alte Redensart: Ohne Baktrei kann ein Habitat seine Bewohner nicht ernähren, ohne Park verlieren die Bewohner ihre Seelen. Selbst auf Staustrahlschiffen weit draußen zwischen den Sternen gab es noch den Bonsai-Park des Kapitäns. In den größeren Temps, den tausendjährigen Habitaten bei Canberra und Namqem, war der Park der größte Raum innerhalb des Bauwerks, Kilometer über Kilometer voller Natur. Doch selbst hinter dem Entwurf des kleinsten Parks steckten all die Jahrtausende von Erfindungsgabe der Dschöng Ho. Dieser hier gab einen Eindruck von Waldestiefen, von großen und kleinen Wesen, die gleich hinter den nächsten Bäumen warteten. Das Gleichgewicht des Lebens in einem derart kleinen Park aufrechtzuerhalten, war wahrscheinlich das schwierigste Projekt im Temp.

Der Park lag in zunehmendem Dämmerlicht, am dunkelsten in Richtung nach unten hin. Zu seiner Rechten zeigte sich zwischen den Bäumen der letzte Schimmer vom Blau des Horizonts. Vinh streckte die Arme aus, zog sich Hand über Hand zum Boden. Es war eine kurze Reise, alles in allem maß der Park keine zwölf Meter im Durchmesser. Vinh schmiegte sich in das tiefe Moos bei einem Baumstamm und lauschte den Geräuschen des kühler werdenden Waldabends. Eine Fledermaus flatterte über den Himmel, und irgendwo murmelte ein Nest von Schmetterlingen musikalisch vor sich hin. Die Fledermaus war vermutlich falsch. Ein so kleiner Park konnte keine großen oder schnellen Tiere bergen, aber die Schmetterlinge waren wohl echt.

Für eine gesegnete Weile verflüchtigte sich alles Denken…

… und kehrte mit geschärften Krallen zurück. Jimmy war tot. Und Tsufe, und Pham Patil. Sie hatten hunderte andere mit in den Tod gerissen, darunter die Menschen, die vielleicht gewusst hätten, was zu tun war. Doch ich lebe noch.

Noch vor einem halben Tag hätte das Wissen, was Trixia widerfahren war, ihn in sinnlose Raserei getrieben. Nun erstickte diese Wut an seiner Scham. Ezr Vinh hatte Anteil am Tod jener an Bord der Ferner Schatz. Wenn Jimmy ein wenig mehr ›Erfolg‹ gehabt hätte, hätten auch die in Hammerfest tot sein können. War dumm zu sein und dumme, gewalttätige Leute zu unterstützen — war das ebenso böse, wie einen heimtückischen Überfall zu verüben? Nein, nein, nein! Und dennoch, letzten Endes hatte Jimmy einen Gutteil derer umgebracht, die den Überfall überlebt hatten. Und ich habe etwas wiedergutzumachen. Jetzt muss ich irgendwie meinen Leuten Fokus erklären, und zwar so, dass sie ihn akzeptieren, damit, was von unseren Missionen noch übrig ist, überleben kann.

Ezr schluchzte. Er sollte andere davon überzeugen, etwas zu akzeptieren, das zu verhindern er sein Leben gegeben hätte. Bei seiner ganzen Ausbildung, all seiner Lektüre, in seinen neunzehn Jahren Leben hatte er sich nie vorgestellt, etwas könnte derart schwer sein.

Ein winziges Licht schwang sich in mittlerer Entfernung dahin. Zweige glitten raschelnd zur Seite. Jemand war in den Park gekommen, rumorte bei der zentralen Lichtung. Das Licht blitzte kurz in Vinhs Gesicht, dann ging es aus.

»Aha. Dachte mir, dass Sie zum Boden gegangen sind.« Es war Pham Trinli. Der alte Mann packte einen tief wachsenden Ast und setzte sich auf das Moos neben Vinh. »Kopf hoch, junger Mann. Diem hatte das Herz am rechten Fleck. Ich habe ihm nach besten Kräften geholfen, nach draußen zu kommen, aber er war ein sorgloser Heißsporn — erinnern Sie sich, wie er geklungen hat? Ich hätte nie gedacht, dass er so töricht wäre, und jetzt sind eine Menge Leute umgekommen. Na ja, Mist passiert eben.«

Vinh wandte sich dem Klang der Worte zu; das Gesicht des Alten war ein grauer Schemen im Dämmerlicht. Einen Moment lang war Vinh drauf und dran, gewalttätig zu werden. Es würde so ein gutes Gefühl sein, dieses Gesicht zu Matsch zu hauen. Stattdessen setzte er sich ein wenig tiefer ins Dunkel zurück und sah zu, dass sein Atem regelmäßig blieb. »Ja, er passiert eben.« Und vielleicht wird auch dir etwas passieren. Sicherlich hatte Nau den Park verwanzen lassen.

»Mut. Sowas gefällt mir.« Im Dunkeln konnte Vinh nicht sagen, ob der Alte lächelte oder ob das alberne Kompliment ernst gemeint war. Trinli rutschte ein wenig näher heran, und seine Stimme sank zu einem Flüstern ab. »Nehmen Sie’s nicht so schwer. Manchmal muss man mitgehen, um weiterzukommen. Und ich glaube, ich kann diesen Nau beeinflussen. Die Rede, die er gehalten hat — haben Sie’s bemerkt? Nach all den Toten, die Jimmy verursacht hat, hat sich Nau angepasst. Ich garantiere, er hat seine Rede von irgendwo in unserer eigenen Geschichte abgeschrieben.«

Also gab es sogar in der Hölle Clowns. Pham Trinli, der alternde Zuchtmeister, dessen Vorstellung von raffinierter Konspiration ein geflüstertes Geplapper im Zentralpark des Temps war. Trinli blickte überhaupt nicht durch. Schlimmer, so vieles sah er genau falsch herum…

Sie saßen ein paar Sekunden lang in der fast vollständigen Finsternis, und Pham Trinli schwieg gnädig. Die Dummheit des Kerls war wie eine Ladung Steine, die in den Teich von Vinhs Verzweiflung geschüttet wurden. Sie wirbelte alles auf. Die Absurditäten lieferten ihm etwas außer ihm selbst, worauf er einschlagen konnte. Naus Rede… angepasst? In gewissem Sinne war Nau in dieser Sache die geschädigte Seite. Doch sie waren alle geschädigt. Zusammenarbeit war jetzt der einzige Ausweg. Er dachte über Naus Worte nach. Hm. Manche von den Sätzen waren wirklich entlehnt — von Pham Nuwens Rede bei der Brisgo-Lücke. Die Brisgo-Lücke war ein leuchtender Höhepunkt in der Geschichte der Dschöng Ho, wo die Kauffahrer eine Hochzivilisation und Milliarden Menschenleben gerettet hatten. Soweit etwas derart Großes überhaupt an einem bestimmten Punkt in der Raumzeit festgemacht werden konnte, war die Brisgo-Lücke der Ursprung der modernen Dschöng Ho. Die Ähnlichkeiten mit der gegenwärtigen Situation waren annähernd Null… außer dass auch dort Menschen von überallher zusammengearbeitet, sich angesichts schrecklicher Heimtücke behauptet hatten.

Pham Nuwens Rede war im Laufe der letzten zweitausend Jahre viele Male quer durch den Menschenraum gesendet worden. Es war kein Wunder, dass Tomas Nau sie kannte. Also hatte er hier und da einen Satz eingeflochten, einen gemeinsamen Hintergrund gesucht… nur dass Tomas Naus Vorstellung von ›Zusammenarbeit‹ bedeutete, Fokus zu akzeptieren und das, was Trixia Bonsol angetan worden war. Vinh erkannte, dass ein Teil seines Bewusstseins die Ähnlichkeiten gespürt hatte, von ihnen bewegt worden war. Aber wenn man nüchtern sah, was da abgeschrieben worden war, ergab sich ein anderes Bild. Es war alles so glatt, und es lief darauf hinaus, dass Ezr Vinh… Fokus akzeptieren musste.

Scham und Schuldgefühl waren die letzten zwei Tage über so niederdrückend gewesen. Jetzt drängten sich Ezr Fragen auf. Jimmy Diem war nie ein Freund von Ezr gewesen. Er war ein paar Jahre älter gewesen, und seit sie einander begegnet waren, war Diem sein Truppführer gewesen, sein ständiger Vorgesetzter. Ezr versuchte an Jimmy zurückzudenken, ihn von außen zu sehen. Ezr Vinh selbst war kein Glanzstück, doch er war im Umkreis der Spitze von Vinh.23 aufgewachsen. Unter seinen Tanten und Onkeln und Vettern waren einige der erfolgreichsten Kauffahrer in diesem Teil des Menschenraums. Ezr hatte ihnen von klein auf zugehört, mit ihnen gespielt… und Jimmy Diem gehörte einfach nicht in ihre Kategorie. Jimmy arbeitete hart, aber er hatte nicht besonders viel Phantasie. Er hatte bescheidene Ziele gehabt, was ein Glück war, denn selbst mit harter Arbeit war Jimmy gerade mal imstande, einen einzelnen Arbeitstrupp zu leiten. Hm. So habe ich nie über ihn gedacht. Es war eine traurige Überraschung, die auf einmal Jimmy, den raubeinigen Truppführer, viel liebenswerter erscheinen ließ — als jemanden, der ein Freund hätte sein können.