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»Sind Sie sicher, dass nicht lieber ich fahren soll, Frau General?«, fragte er.

Schmid lachte. »Und ich soll hinten sitzen? Kommt nicht in Frage. Ich weiß, wie beängstigend es vom hinteren Gitter aussieht.«

Scherkaner Unterberg steckte den Kopf zum Seitenfenster hinaus. »Hm, ich habe nie gewusst, wie aufregend die Fahrt für Passagiere ist.«

»Schön, es ist angekommen.« Schmid bremste ab und fuhr vorsichtiger, als es jeder der beiden selbst vermocht hätte. Eigentlich waren die Straßenverhältnisse hervorragend. Das Unwetter war von einem heißen Fallwind verweht worden und die Betonoberfläche nun trocken und sauber. In einer Stunde würden sie wieder in der Suppe sein. Ihre Bergroute zog sich unterm Rande zerrissener, schnell ziehender Wolken entlang, und das Land im Süden lag dunkel im Regenschleier. Die Landschaft war nahezu so offen, wie sie entlang des Stolzes des Einklangs überhaupt werden konnte. Der Wald war nur zwei Jahre alt, Kegel mit harter Borke, aus denen ruppige Blätter sprießten. Die meisten Bäume waren kaum einen Meter groß, obwohl es hier und da ein Spießling oder ein Weichbusch vielleicht auf zwei oder drei Meter brachten. Das Grün zog sich meilenweit hin, stellenweise vom Braun eines Erdrutsches oder von der Gischt eines Wasserfalls unterbrochen. In dieser Phase der Sonne glich der Westlichste Wald Gottes eigenem Rasen, und von fast jedem Punkt des ›Stolzes‹ konnten die Reisenden zum Ozean hinabblicken.

Hrunkner lockerte seinen Griff am Sitzgitter ein wenig. Hinten sah er Schmids Sicherheitstrupp um die letzte Haarnadelkurve biegen. Den größten Teil der Fahrt über war die Eskorte mühelos dicht hinter ihnen geblieben. Zum einen hatte das Unwetter Viktoria zu geringerer Geschwindigkeit gezwungen. Jetzt hatten sie Mühe, Anschluss zu halten, und Hrunkner könnte ihnen nicht übel nehmen, wenn sie sauer waren. Leider war ihr kommandierender Offizier so ziemlich die einzige Person, bei der sie sich beschweren konnten, und das war Viktoria Schmid. Schmid trug die Uniform eines Majors beim Quartiermeister-Korps des Einklangs. Die Waffengattung war nicht direkt gelogen, denn der Geheimdienst firmierte als Teil der Quartiermeisterei, wann immer es zweckmäßig erschien. Aber Schmid war kein Major. Unnerbei war seit vier Jahren nicht mehr im Dienst, aber er trank immer noch mit seinen Kumpeln… und er wusste, wie der Große Krieg schließlich gewonnen worden war: Wenn Viktoria Schmid nicht die neue Chefin des Geheimdienstes des Einklangs war, hätte sich Unnerbei mächtig gewundert.

Es hatte auch andere Überraschungen gegeben — zumindest waren es Überraschungen gewesen, bis er die Sache durchdacht hatte. Vor zwei Tagen hatte Schmid angerufen und ihn eingeladen, wieder in Dienst zu treten. Heute, als sie in seinem Laden in Weißenberg erschienen war, hatte er den diskreten Sicherheitstrupp halb schon erwartet — doch die Anwesenheit von Scherkaner Unterberg hatte ihn völlig überrascht. Weniger überraschend war die Freude gewesen, die er empfunden hatte, als er die beiden wiedersah. Hrunkner Unnerbei hatte für seine Rolle bei der Verkürzung des Großen Krieges keinen Ruhm geerntet; es würden mindestens zehn Jahre vergehen, ehe für die Aufzeichnungen über ihren Gang durch das Dunkel die Geheimhaltung aufgehoben würde. Doch sein Anteil an der Belohnung für diese Mission hatte das Zwanzigfache der Ersparnisse seines ganzen Lebens betragen. Endlich ein Grund, den Dienst zu quittieren und mit seinen Ingenieurskenntnissen etwas Konstruktives anzufangen.

In den ersten Jahren einer Neuen Sonne waren enorme Arbeiten zu bewältigen, und das unter Bedingungen, die mitunter so gefährlich wie im Gefecht waren. Sogar in einer modernen Zivilisation war in dieser Sonnenphase Heimtücke — von Mord über Diebstahl bis zu Grundstücksbesetzungen — gang und gäbe. Hrunkner Unnerbei war sehr gut zurechtgekommen, daher war vielleicht die größte Überraschung, wie leicht ihn Viktoria Schmid hatte überreden können, eine Dienstverpflichtung für dreißig Tage einzugehen. »Nur so lange, dass Sie erfahren können, was wir vorhaben, und sich entscheiden, ob Sie gern für länger in den Dienst zurückkehren würden.«

Daher die Fahrt zum Landeskommando. Bislang war es ein willkommener Urlaub, ein Treffen mit alten Freunden (und es kommt nicht oft vor, dass ein Feldwebel von einem General chauffiert wird). Scherkaner Unterberg war ein frei schweifendes Genie wie eh und je, obwohl er durch den Nervenschaden, den er sich in ihrer provisorischen Tiefe zugezogen hatte, älter wirkte, als er war. Schmid war offener und besser aufgelegt, als er sie jemals gesehen hatte. Als sie fünfzehn Meilen aus Weißenberg heraus waren, die provisorischen Reihenhäuser hinter sich gelassen und die Vorgebirge des Westlichsten Gebirges erreicht hatten, weihten ihn die beiden in ihr privates Geheimnis ein.

»Was seid ihr?«, hatte Unnerbei gesagt und war fast vom Sitzgitter gerutscht. Rings um sie pladderte heißer Regen herab, vielleicht hatte er sich verhört.

»Wie ich es gesagt habe, Hrunkner. Die Generalin und ich sind Frau und Mann.« Unterberg grinste wie ein Idiot.

Viktoria Schmid hob die Hand. »Eine Berichtigung. Nennt mich nicht General.«

Für gewöhnlich brachte es Unnerbei besser fertig, Erstaunen zu verbergen; sogar Unterberg sah, dass er überrumpelt war, und er grinste noch breiter. »Du hast doch sicherlich erraten, dass vor dem großen Dunkel etwas zwischen uns im Gange war.«

»Na ja…« Ja, doch es konnte nichts draus werden, wo Scherkaner im Begriff war, seinen so überaus ungewissen Gang durchs Dunkel anzutreten. Die beiden hatten Hrunkner deswegen immer Leid getan.

Eigentlich ergaben die beiden ein großartiges Team. Scherkaner Unterberg hatte mehr kluge Ideen als jedes Dutzend Leute, die Hrunkner je gekannt hatte; die meisten seiner Ideen waren jedoch ungeheuer unpraktikabel, zumindest soweit es das anging, was in der Zeit eines Lebens zu erreichen war. Andererseits hatte Viktoria Schmid einen Blick für realisierbare Ergebnisse. Klar doch, wenn sie an jenem Nachmittag vor langer Zeit nicht genau zur rechten Zeit zugegen gewesen wäre, dann hätte Unnerbei den armen Unterberg mit einem Tritt bis zurück nach Weißenberg geschickt — und dessen verrückter Plan, den Großen Krieg zu gewinnen, wäre verlorengegangen. Also ja. Abgesehen vom Zeitpunkt war er nicht überrascht. Und wenn Viktoria Schmid jetzt die Chefin des Geheimdienstes war, würde das Land davon großen Nutzen haben. Ein hässlicher Gedanke schlängelte sich zu seinem Mund und schien aus eigenem Antrieb herauszuplatzen: »Aber Kinder? Jetzt natürlich nicht.«

»Doch. Die Generalin ist schwanger. In weniger als einem halben Jahr werde ich zwei Babyschnüre auf dem Rücken tragen.«

Hrunkner kam zu Bewusstsein, dass er verlegen an seinen Esshänden sog. Er murmelte etwas Unverständliches. Eine halbe Minute lang fuhren sie schweigend weiter, während der heiße Regen über die Wagenfenster nach hinten zischte. Wie können sie ihren Kindern das antun?

Schließlich sagte die Generalin ruhig: »Haben Sie damit ein Problem, Hrunkner?«

Unnerbei hätte am liebsten wieder seine Hände verschluckt. Er kannte Viktoria Schmid seit dem Tag, als sie ins Landeskommando gekommen war, ein brandneuer Leutnant, eine Dame, die sich noch keinen Namen gemacht hatte und ihre Jugend nicht verbergen konnte. Man sah fast alles beim Militär, und jeder dachte sich sein Teil. Der Leutnant war wirklich neu, sie war eine Unzeit-Geborene. Doch irgendwie war sie gut genug ausgebildet worden, um es auf die Offiziersschule zu schaffen. Das Gerücht ging um, Viktoria Schmid sei das Balg eines reichen Perversen von der Ostküste, dessen Familie ihn schließlich enteignet hatte, und ebenso die Tochter, die es nicht geben dürfte. Unnerbei erinnerte sich an die Beleidigungen und Schlimmeres, die ihr im ersten Vierteljahr oder so auf Schritt und Tritt gefolgt waren. Eigentlich war das erste Anzeichen, dass sie zu Großem berufen sei, die Art gewesen, wie sie sich der Ächtung widersetzt hatte, ihre Intelligenz und ihr Mut angesichts der Schande ihrer Geburtszeit.