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»Sie haben wohl tatsächlich die militärische Sichtweise eingebüßt? Aber ja, ich habe erwogen, diese Forschungen zu unterdrücken. Vielleicht — wenn der liebe Scherkaner den Mund hält — würde das genügen. Wenn niemand frühzeitig mit dieser Sache anfängt, wird niemand bereit sein, diesmal das Dunkel in seine Gewalt zu bringen. Und vielleicht sind wir noch Generationen von der Verwirklichung dieser Theorie entfernt — das glauben manche Physiker.«

»Also ich sage euch«, entgegnete Unterberg, »das wird ziemlich schnell ein technisches Problem werden. Sogar wenn wir die Finger davon lassen, wird in fünfzehn, zwanzig Jahren Atomkraft groß herauskommen. Nur dass es dann zu spät sein wird für Kraftwerke und abgeschlossene Städte. Es wird zu spät sein, das Dunkel zu erobern. Das Einzige, wozu Atomkraft taugt, werden dann Waffen sein. Du hast von Radium gesprochen, Hrunkner. Stell dir nur vor, was große Mengen von diesem Stoff bewirken könnten, wenn sie als Giftstoff eingesetzt werden. Und das ist nur das Offensichtlichste. Im Grunde wird, was immer wir tun, die Zivilisation gefährdet sein. Wenn wir aufs Ganze gehen, könnte es sich wenigstens wunderbar auszahlen: Zivilisation das ganze Dunkel hindurch.«

Schmid deutete mit einer Handbewegung unfrohe Zustimmung an; Unnerbei hatte den Eindruck, er sei Zeuge einer oft wiederholten Diskussion. Viktoria Schmid hatte Unterbergs Plan angenommen — und das Oberkommando davon überzeugt. Die nächsten dreißig Jahre würden noch aufregender werden, als Hrunkner geglaubt hatte.

Sie erreichten die Bergsiedlung sehr spät am Tage, nachdem sie in den letzten drei Stunden der Fahrt nur zwanzig Meilen im Unwetter geschafft hatten. Erst ein paar Meilen vor der kleinen Stadt änderte sich das Wetter.

Im fünften Jahr der Neuen Sonne war Ob der Tiefe größtenteils wiederaufgebaut. Die Steinfundamente hatten den ersten Blitz und die rasend schnellen Wasserfluten überstanden. Wie schon seit vielen Generation nach jedem Dunkel, hatten die Bewohner die gepanzerten Sprosse der ersten Waldpflanzen benutzt, um die Erdgeschosse ihrer Häuser und Wirtschaftsgebäude und Grundschulen zu bauen. Vielleicht um das Jahr 60//10 würden sie besseres Bauholz haben und einen ersten Stock bauen, an der Kirche vielleicht noch einen zweiten. Vorerst war alles niedrig und grün, die kurzen konischen Balken gaben den Außenwänden ein schuppiges Aussehen.

Unterberg bestand darauf, an der Tankstelle an der Hauptstraße vorüberzufahren. »Ich kenne einen besseren Ort«, sagte er und dirigierte Schmid die alte Straße entlang.

Sie hatten die Fenster heruntergekurbelt. Der Regen hatte aufgehört. Ein trockener, fast kühler Wind strich über sie hinweg. Es gab eine Lücke in der Wolkendecke, und ein paar Minuten lang sahen sie Sonnenlicht auf Wolken. Doch es war nicht der unscharfe Feuerofen wie vorher am Tag. Die Sonne musste kurz vor dem Untergang sein. Die hochgetürmten Wolken leuchteten in hellem Rot- und Orange- und Alphakunter — und dahinter das Blau und Ultra des klaren Himmels. Gleißende Helle sprühte über die Straße und die Gebäude und die Vorberge dahinter. Gott als Surrealist.

Tatsächlich, am Ende des Kieswegs standen eine flache Baracke und eine einzelne Benzinpumpe. »Das ist der ›bessere Ort‹, Scherk?«

»Nun ja… jedenfalls der interessantere.« Er öffnete die Tür und sprang von seinem Sitzgitter. »Schauen wir, ob dieser Kupp sich an mich erinnert.« Er ging an dem Wagen auf und ab, um sich die Füße zu vertreten. Nach der langen Fahrt war sein Zittern stärker als gewöhnlich.

Schmid und Unnerbei stiegen aus, und nach einer Weile kam der Besitzer, ein schwer gebauter Bursche mit einem Werkzeugkorb, aus der Baracke. Ihm folgten zwei Kinder.

»Volltanken, alter Kupp?«, sagte der Bursche.

Unterberg grinste ihn an und machte sich nicht die Mühe, sein falsch geschätztes Alter zu korrigieren. »Klar.« Er folgte dem anderen zur Pumpe. Der Himmel war jetzt sogar noch heller, Blau und Rottöne des Sonnenuntergangs schienen herab. »Erinnern Sie sich an mich? Ich bin hier in einem großen roten Relmeitch durchgekommen, kurz vor dem Dunkel. Sie waren damals Grobschmied.«

Der andere hielt inne, starrte Unterberg lange an. »An den Relmeitch erinnere ich mich.« Seine beiden Fünfjährigen wuselten hinter ihm herum und betrachteten den sonderbaren Fremden.

»Komisch, wie sich die Dinge ändern, nicht wahr?«

Der Besitzer wusste nicht recht, wovon Unterberg sprach, aber nach ein paar Minuten schwatzten die beiden wie alte Kumpel. Ja, der Besitzer mochte Automobile, denen gehörte ganz offensichtlich die Zukunft, Schluss mit der Arbeit als Grobschmied. Scherkaner lobte ihn für eine Arbeit, die er vor langer Zeit für ihn erledigt hatte, und sagte, es sei eine Schande, dass es jetzt an der Hauptstraße eine Tankstelle gab. Er wette, das sei keine annähernd so gute Reparaturwerkstatt wie hier, und ob der Grobschmied schon einmal darüber nachgedacht habe, wie man heutzutage in Weißenberg Straßenwerbung betrieb? Schmids Sicherheitsleute fuhren auf den freien Platz jenseits der Straße, und der Besitzer nahm es kaum wahr. Komisch, wie Unterberg fast mit jedem zurechtkam, indem er seine Manie so weit herunterschraubte, wie es den Umständen entsprach.

In der Zwischenzeit war Schmid über die Straße gegangen und sprach mit dem Hauptmann, der für ihre persönliche Sicherheit zuständig war. Sie kam zurück, nachdem Scherk das Benzin bezahlt hatte. »Verdammt. Das Landeskommando sagt, gegen Mitternacht kommt ein noch schlimmeres Unwetter. Das erste Mal, dass ich meinen eigenen Wagen nehme, und gleich bricht die Hölle los.« Schmid klang wütend, was für gewöhnlich bedeutete, dass sie sich über sich selbst ärgerte. Sie stiegen ins Auto. Sie drückte zweimal auf den Anlasser. Dreimal. Der Motor sprang an. »Wir werden hier zelten.« Sie blieb einen Augenblick sitzen, fast unschlüssig. Oder vielleicht beobachtete sie den Himmel weiter südlich. »Ich weiß, dass im Westen der Stadt ein Stück Kronland liegt.«

Schmid arbeitete sich Kieswege entlang, dann über schlammige Pfade. Fast glaubte Unnerbei, sie hätte sich verfahren, nur dass sie niemals zögerte oder zurückfuhr. Hinter ihnen folgten die Sicherheitswagen, fast so unauffällig wie ein Umzug von Osprechs. Der Schlammweg verlor sich auf einem Vorgebirge mit Blick über den Ozean. Steile Hänge fielen nach drei Seiten hin ab. Eines Tages würde hier wieder hoher Wald stehen, doch jetzt konnten nicht einmal die gepanzerten Spießlinge den nackten Fels des Anhangs verbergen.

Schmid blieb stehen, wo es nicht weiterging, und lehnte sich auf ihrem Sitzgitter zurück. »Tut mir Leid. Ich… bin irgendwo falsch abgebogen.« Sie winkte dem ersten der Sicherheitswagen zu, die von hinten herankamen.

Unnerbei starrte auf den Ozean hinaus und zum Himmel hoch. Manchmal war eine falsche Wendung am besten. »Schon in Ordnung. Gott, was für ein Anblick.« Die Lücken in den Wolken glichen tiefen Schluchten. Das Licht, das durch sie herabfiel, flackerte rot und nahrot, ein Widerschein des Sonnenuntergangs. Eine Milliarde Rubine glitzerte in den Wassertröpfchen auf dem Blattwerk ringsum. Er kletterte hinten aus dem Auto und ging ein kleines Stück zwischen den Sprossen hindurch zum Ende des Vorgebirges. Der nasse Waldboden unter seinen Füßen machte glucksende Geräusche. Nach einer Weile folgte ihm Scherkaner.

Die Brise, die vom Ozean her wehte, war feucht und kühl. Man brauchte nicht beim Wetterdienst zu sein, um zu wissen, dass ein Unwetter heraufzog. Er schaute über das Wasser hin. Sie standen keine drei Meilen von den Brechern entfernt, ungefähr so nahe, wie es in dieser Sonnenphase sicher war. Von hier aus sah man die Strudel und hörte das Mahlen. Drei Eisberge waren gestrandet und ragten in der Brandung auf. Doch es gab Hunderte davon, die sich bis zum Horizont hinzogen. Es war der ewige Kampf, das Feuer der Neuen Sonne gegen das Eis der guten Erde. Keines konnte endgültig siegen. Es würde zwanzig Jahre dauern, bis das letzte Eis aus den Untiefen aufgetaucht und geschmolzen war. Da würde die Sonne schon wieder zu schwinden begonnen haben. Sogar Scherkaner schien von der Szenerie niedergedrückt zu sein.