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Sura nahm ihm den Gedanken von einem Sternenreich der Dschöng Ho nie ab. Doch sie widersprach ihm nicht einfach; sie überschüttete ihn mit Büchern, mit Ökonomie und Geschichte, die ihm bei der Lektüre der letzten zehn Jahre entgangen waren. Ein vernünftiger Mensch hätte ihren Standpunkt akzeptiert; es gab so viele Gesichtspunkte des gesunden Menschenverstandes, über die Pham Nuwen im Irrtum gewesen war. Doch Pham hatte noch seine alte Hartnäckigkeit. Vielleicht war es Sura, die Scheuklappen trug. »Wir könnten ein interstellares Netz bilden. Es wäre nur eben… langsam.«

Sura lachte. »O ja! Langsam. Wo eine Dreifach-Rückmeldung tausend Jahre dauern würde!«

»Natürlich gäbe es andere Protokolle. Und sie würden auch anders benutzt. Doch aus der Zufallsfunktion des Handels könnte etwas viel… äh… Einträglicheres werden.« Beinahe hätte er ›etwas Mächtigeres‹ gesagt, doch dann hätte er sich nur wieder eine bissige Bemerkung über seine ›mittelalterliche‹ Denkweise eingehandelt. »Wir könnten eine fließende Datenbank von Kunden unterhalten.«

Sura schüttelte den Kopf. »Aber sie wäre Jahrzehnte bis Jahrtausende veraltet.«

»Wir könnten Standards für die Sprache der Menschen aufrechterhalten. Die Standards unserer Netzwerkprogrammierung würden jede Kundenregierung überdauern. Unsere Kauffahrerkultur könnte ewig bestehen.«

»Aber die Dschöng Ho ist nur ein Fisch in einem zufälligen Meer von Kauffahrern… Oh.« Pham sah, dass sie seinen Gedanken endlich zu erfassen begann. »Die ›Kultur‹ unserer Sendungen würde also den Teilnehmern einen Handelsvorteil bringen. Also gäbe es ein verstärkende Rückkopplung.«

»Ja, ja! Und wir könnten die Sendungen verschlüsseln, um uns vor Konkurrenz in der Nachbarschaft zu schützen.« Pham lächelte schlau. Auf den nächsten Gedanken wäre der kleine Pham niemals gekommen, und wahrscheinlich auch nicht Phams Vater, der König des ganzen Nordlandes. »Eigentlich könnten wir sogar einige Daten auch in Klartext senden. Die Materialien für die Sprachstandards beispielsweise und die einfacheren Teile unserer Technikbibliotheken. Ich habe die Geschichte der Kunden gelesen. Bis zurück zur Alten Erde ist die einzige Konstante das Auf und Ab, der Aufstieg der Zivilisation, ihr Fall, oft genug die lokale Auslöschung der Menschheit. Im Laufe der Zeit könnten die Sendungen der Dschöng Ho diese Schwingungen dämpfen.«

Sura nickte, ein in weite Ferne gerichteter Blick trat in ihre Augen. »Ja. Wenn wir es richtig machen, bekommen wir Kundenkulturen, die unsere Sprache sprechen, die nach den Bedürfnissen unseres Handels geformt sind und unsere Programmumgebung benutzen…« Ihr Blick schnellte zu seinem Gesicht hoch. »Du hast immer noch dein Imperium im Kopf, was?«

Pham lächelte nur.

Sura machte eine Million Einwände, doch sie hatte den Geist der Idee erfasst, in ihre Erfahrung übertragen, und nun arbeitete ihre ganze Phantasie parallel zu seiner. Im Laufe der Zeit wurden ihre Einwände Vorschlägen immer ähnlicher und ihre Streitgespräche einem wunderbaren Pläneschmieden.

»Du bist verrückt, Pham…, aber das macht nichts. Vielleicht muss man ein Verrückter aus dem Mittelalter sein, um sich derart hochfliegende Ziele zu stecken. Es ist… es ist, als würden wir eine Zivilisation von Anfang bis Ende aus dem Kopf erschaffen. Wir können unsere eigenen Mythen vorgeben, unsere eigenen Bräuche. Wir werden die Grundlage von allem sein.«

»Und wir werden jede Konkurrenz überdauern.«

»Herrgott«, sagte Sura leise. (Es sollte noch eine Weile dauern, bis sie den ›Herrn Allen Handels‹ und das Pantheon der geringeren Götter erfanden.) »Und weißt du, Namqem ist der ideale Ort, um damit zu beginnen. Sie sind ziemlich so weit fortgeschritten, wie eine Zivilisation es nur sein kann, aber sie werden allmählich ein bisschen zynisch und dekadent. Sie haben Propagandatechniken wie nur je eine in der menschlichen Geschichte. Was du vorschlägst, ist seltsam, aber es ist trivial im Vergleich zu Werbekampagnen in einem planetaren Netz. Wenn meine Vettern noch im Raum von Namqem sind, dann wette ich, dass sie die Operation finanziell unterstützen werden.« Sie lachte, freudig und fast wie ein Kind, und Pham wurde bewusst, wie sehr die Furcht vor Ruin und Schande sie niedergedrückt hatte.

Der Rest ihrer Wache war eine pausenlose Orgie von Phantasie und Erfindung und Lust. Pham entwickelte ein Projekt für eine Kombination von gerichteten und allgemein ausgestrahlten interstellaren Radiosendungen, Zeitpläne, mit denen Flotten und Familien über Jahrhunderte hinweg synchron bleiben konnten. Sura akzeptierte den größten Teil des Protokollentwurfs, in ihren Augen standen Staunen und sichtliches Vergnügen. Was die Organisation der menschlichen Beziehungen anging, Phams Plan mit erblichen Herrschern und Kriegsflotten — darüber lachte Sura nur, und Pham zweifelte ihr Urteil nicht an. In den Angelegenheiten von Menschen war er noch kaum über den Dreizehnjährigen aus dem Mittelalter hinaus gekommen.

Im Grunde war Suras Bewunderung größer als ihre Herablassung. Pham erinnerte sich an ihr letztes Gespräch, ehe er zum ersten Mal in einen Kältesarg stieg. Sura war dabei gewesen, die Abstrahlkühlung zu eichen und die Hypothermiedrogen zu überprüfen. »Wir werden fast gleichzeitig wieder herauskommen, Pham, ich hundert Kilosek vor dir. Ich werde da sein, um dir zu helfen.« Sie lächelte, und er spürte, wie ihr Blick ihn sanft musterte. »Mach dir keine Sorgen.«

Pham machte eine schnoddrige Bemerkung, doch sie sah natürlich, dass ihm unbehaglich zumute war. Sie sprach von anderen Dingen, als er in den Sarg glitt, einen fortlaufenden Monolog über ihre Pläne und Tagträume, was sie anfangen könnten, wenn sie schließlich Namqem erreichten. Und dann war es so weit, und sie zögerte. Sie beugte sich herab und küsste ihn sacht auf den Mund. Ihr Lächeln bekam einen Anflug von Spott, doch sie verspottete ebenso sich selbst wie ihn: »Schlaf gut, mein süßer Prinz.«

Und dann war sie fort, und die Drogen begannen zu wirken. Es fühlte sich überhaupt nicht kalt an. Seine letzten Gedanken waren ein seltsames Zurückgleiten durch seine Vergangenheit. Phams ganze Kindheit auf Canberra über war sein Vater eine ferne Gestalt gewesen. Seine eigenen Brüder waren für sein Dasein tödliche Bedrohungen gewesen. Cindi, er hatte Cindi verloren, ehe er es überhaupt richtig verstanden hatte. Was aber Sura Vinh betraf… für sie hatte er die Gefühle eines erwachsen gewordenen Kindes für Mutter oder Vater, die ihn liebten, die Gefühle eines Mannes für seine Frau, die Gefühle eines Menschen für einen lieben Freund.

In einem grundlegenden Sinne war Sura Vinh all das gewesen. Einen großen Teil ihres Lebens über schien sie seine Freundin zu sein. Und obwohl sie ihn am Ende verraten hatte, war doch Sura Vinh damals, am Anfang, eine gute und treue Frau gewesen.

Jemand rüttelte ihn sacht, winkte mit der Hand vor seinem Gesicht. »He, Trinli! Pham! Bist du noch da?« Es war Jau Xin, und er wirkte aufrichtig besorgt.

»Ähm… ja, ja. Alles in Ordnung.«

»Bestimmt?« Xin beobachtete ihn etliche Sekunden lang, trieb dann zu seinem Sitz zurück. »Ich hatte einen Onkel, der so einen ganz glasigen Blick bekam, wie du eben. Das war’n Schlaganfall, und er…«

»Ja doch, mir geht’s gut. Ist mir nie besser gegangen.« Pham legte wieder den angeberischen Ton in seine Stimme. »Ich hab nur nachgedacht, weiter nichts.«

Die Behauptung löste rings am Tisch ein ablenkendes Gelächter aus. »Nachgedacht, ’ne schlechte Angewohnheit, Pham, alter Junge!« Nach ein paar Minuten ließ ihr Interesse nach. Pham hörte jetzt aufmerksam zu und warf gelegentlich laute Meinungsäußerungen ein.

Eigentlich waren heftige Tagträumereien mindestens seit seinem Abflug von Canberra ein Zug seiner Persönlichkeit. Manchmal versank er völlig in Erinnerungen oder Plänen und verlor sich so, wie es Leute in Eintauch-Videos tun. Er hatte deswegen mindestens ein Geschäft vermasselt. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Qiwi gegangen war. Ja, die Kindheit des Mädchens war seiner sehr ähnlich gewesen, und vielleicht bewirkte das jetzt ihre Phantasie und ihren Tatendrang. In der Tat hatte er sich oft gefragt, ob die verrückte strentmannische Art, Kinder großzuziehen, auf Geschichten von Phams Zeit auf der Reprise beruhte. Zumindest war es, als er sein Reiseziel erreichte, besser geworden. Die arme Qiwi hatte hier nichts als Tod und Täuschung gefunden. Dennoch machte sie weiter…

»Wir bekommen jetzt gute Übersetzungen.« Trud Silipan war wieder bei den Spinnen. »Ich bin der zuständige Leiter für Reynolts Übersetzer-Blitzköpfe.« Trud war eher ein Betreuer als ein Leiter, doch niemand wies darauf hin. »Ich sag euch, wir werden schon in den nächsten Tagen die ersten Informationen darüber kriegen, wie die ursprüngliche Zivilisation der Spinnen war.«

»Ich weiß nicht, Trud. Alle sagen, das muss eine herabgesunkene Kolonie sein. Aber wenn die Spinnen noch woanders im Raum sind, warum hören wir ihre Funkübertragungen nicht?«

Pham: »Hört mal. Das haben wir doch schon durch. Die Arachna muss eine Koloniewelt sein. Das System ist einfach zu lebensfeindlich, als dass es auf natürliche Weise Leben hätte hervorbringen können.«

Und jemand anders: »Vielleicht haben diese Wesen keine Dschöng Ho.« Gekicher klang rings um den Tisch.

»Nein, es gäbe trotzdem eine Menge Funkverkehr. Wir würden ihn hören.«

»Vielleicht sind die übrigen wirklich sehr weit weg, wie das Perseus-Nuscheln…«

»Oder vielleicht sind sie so weit entwickelt, dass sie keinen Funk verwenden. Wir haben diese Kerle nur bemerkt, weil sie von vorn anfangen.« Es war ein alter, alter Streit, Teil des Geheimnisses, das sich bis ins Zeitalter der Gescheiterten Träume erstreckte. Mehr als alles andere hatte es die Expeditionen der Menschen nach der Arachna gezogen. Jedenfalls war es das, was Pham angezogen hatte.

Und tatsächlich hatte Pham schon etwas Neues gefunden, etwas so Mächtiges, dass die Herkunft der Spinnen jetzt ein Randthema für ihn war. Pham hatte Fokus gefunden. Mit Fokus konnten die Aufsteiger ihre klügsten Leute in hingebungsvolle Denkmaschinen verwandeln. Ein Blindgänger wie Trud Silipan konnte mit einem Knopfdruck wirksame Übersetzungen bekommen. Ein Ungeheuer wie Tomas Nau konnte seine Augen überall haben. Fokus gab den Aufsteigern eine Macht, die nie zuvor jemand besessen hatte, Raffinement, das jede Maschine, und Geduld, die jeden Menschen übertraf. Das war einer der Gescheiterten Träume — aber sie hatten es erreicht.

Während er zusah, wie Silipan dozierte, erkannte Pham, dass die nächste Phase seines Plans endlich erreicht war. Die niederrangigen Aufsteiger hatten Pham Trinli akzeptiert. Nau tolerierte ihn, hielt in sogar bei Laune, weil er glaubte, Pham könnte, ohne es zu wissen, Ausblick auf das militärische Denken der Dschöng Ho geben. Es war an der Zeit, viel mehr über Fokus zu erfahren. Von Silipan zu lernen, von Reynolt… eines Tages die technische Seite der Sache zu erlernen.

Pham hatte versucht, eine wahre Zivilisation zu schaffen, die sich über den ganzen Menschenraum erstreckte. Ein paar kurze Jahrhunderte hindurch hatte es so ausgesehen, als könnte ihm das gelingen. Am Ende war er verraten worden. Doch Pham hatte schon lange erkannt, dass der Verrat nur das Scheitern offenbarte. Was ihm Sura und die anderen bei der Brisgo-Lücke angetan hatten, war unvermeidlich gewesen. Ein interstellares Imperium umfasst so viel Raum, so viel Zeit. Dass so etwas gut und gerecht ist, genügt nicht. Man braucht einen entscheidenden Vorteil.

Pham hob seinen Ballon mit ›Diamant und Eis‹ und trank im Stillen auf die Lehren der Vergangenheit und die Verheißungen der Zukunft. Diesmal würde er es richtig machen.