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Radiosendungen für Kinder — dafür hielt es Trixia zumindest — waren auf der Spinnenwelt erfunden wurden. Sie übersetzte den Titel des Programms als ›Die Kinderstunde der Wissenschaft‹, und zur Zeit war das ihre beste Quelle für Erkenntnisse über die Spinnen. Die Rundfunksendung war eine ideale Kombination von Wissenschaftssprache — in der die Menschen gute Fortschritte gemacht hatten — und der alltäglichen Umgangssprache. Niemand wusste, ob sie wirklich der Ausbildung von Kindern diente oder sie nur unterhalten sollte. Denkbar wäre auch, dass es ein Förderunterricht für Wehrpflichtige war. Doch Trixias Titel hielt sich, und das gab allem, was folgte, einen Hauch von Unschuld und Niedlichkeit. Trixias Arachna schien einem Märchen aus dem Zeitalter der Morgenröte zu gleichen. Manchmal, wenn Ezr viel Zeit bei ihr verbracht hatte, wenn sie kein Wort zu ihm gesagt hatte, wenn ihr Fokus so eng war, dass er alle Menschlichkeit verleugnete… manchmal fragte er sich, ob diese Übersetzungen nicht vielleicht die Trixia von früher waren, in der wirksamsten Sklaverei aller Zeiten gefangen und dennoch auf der Suche nach Hoffnung. Die Spinnenwelt war der einzige Ort, den zu betrachten ihr Fokus ihr erlaubte. Vielleicht verzerrte sie, was sie hörte, und schuf einen Traum von Glück auf die einzige Weise, die ihr geblieben war.

Neunzehn

Es war in der mittleren Phase der Sonne, und Weißenberg hatte viel von seiner Schönheit zurückerlangt. In den bevorstehenden kühleren Zeiten würde viel mehr gebaut werden, die Freilichttheater, der Palast der Jahre des Schwindens, die Arboreten der Universität. Doch bis 60//19 war der Straßenplan vergangener Generationen wiederhergestellt, das zentrale Geschäftsviertel war fertig, und die Universität unterrichtete ganzjährig Studenten.

In anderer Hinsicht unterschied sich das Jahr 60//19 vom Jahre 59//19, und noch viel mehr vom neunzehnten Jahr aller Generationen zuvor. Die Welt war ins Zeitalter der Wissenschaft eingetreten. Ein Flugplatz erstreckte sich über die Flussniederungen, die in den vergangenen Zeitaltern Bauernfelder gewesen waren. Von den höchsten Hügeln der Stadt wuchsen Sendemasten empor; nachts waren ihre fernroten Positionslichter meilenweit zu sehen.

Bis 60//90 hatten sich die meisten Großstädte des Einklangs in ähnlicher Weise verändert, ebenso die großen Städte von Basville und bei den Sinnesgleichen, in geringerem Maße auch die großen Städte in den ärmeren Ländern. Doch selbst nach dem Maßstab des neuen Zeitalters war Weißenberg ein ganz besonderer Ort. Hier geschahen Dinge, die sich nicht in der sichtbaren Landschaft niederschlugen und dennoch der Keim einer größeren Revolution waren.

Hrunkner Unnerbei flog an einem regnerischen Frühlingsmorgen nach Weißenberg. Ein Flughafentaxi brachte ihn vom Fluss hinauf ins Stadtzentrum. Unnerbei war in Weißenberg aufgewachsen, und hier hatte sich seine alte Baufirma befunden. Er kam an, ehe die meisten Läden geöffnet hatten; Straßenkehrer wuselten um sein Taxi herum. Ein kühler Nieselregen fiel von Bäumen und Läden herab und glitzerte in tausend Farben. Hrunkner mochte die alte Innenstadt, wo viele von den Steinfundamenten schon mehr als drei oder vier Generationen überdauert hatten. Sogar die neuen Betonwände und die oberen Stockwerke aus Ziegeln folgten architektonischen Mustern, die älter waren als alle lebenden Personen.

Jenseits der Innenstadt fuhren sie weiter bergauf durch neue Wohnviertel. Dies war ehemaliges Eigentum der Krone, das die Regierung verkauft hatte, um den Großen Krieg zu finanzieren — den Konflikt, den die neue Generation schon einfach den Krieg mit den Bassern nannte. Einige Teile des neuen Stadtteils waren hastig hochgezogene Elendsviertel, andere — die höher gelegenen — elegante Grundstücke. Das Taxi zockelte die Serpentinen hin und her und näherte sich langsam dem höchsten Punkt der neuen Straße. Den Gipfel verdeckten nässetriefende Farne, doch hier und da erhaschte er einen Blick auf Nebengebäude. Ein Tor öffnete sich lautlos und ohne einen sichtbaren Pförtner. Hm. Weiter oben lag ein klotziger Palast vor ihm.

Scherkaner Unterberg stand in der Parkschleife am Ende und sah neben dem großartigen Portal ziemlich deplatziert aus. Der Regen war nur ein leichtes Sprühen, nicht unangenehm, doch Unterberg ließ einen Regenschirm aufspringen, als er auf Unnerbei zukam.

»Willkommen, Feldwebel! Willkommen! Ich habe dich so lange bekniet, mein Berghäuschen zu besuchen, und endlich bist du da.«

Hrunkner zuckte die Achseln.

»Ich muss dir so viel zeigen — angefangen mit zwei wichtigen Kleinigkeiten.« Er deutete mit dem Regenschirm nach hinten. Nach einer Weile lugten zwei winzige Köpfe aus dem Fell auf seinem Rücken. Es waren zwei Babies, die sich fest an ihren Vater klammerten. Sie konnten nicht älter sein als normale Kinder zu Beginn der Helle, gerade alt genug, um niedlich zu sein. »Das kleine Mädchen heißt Rhapsa und der Junge Hrunkner.«

Unnerbei machte einen Schritt vorwärts. Wahrscheinlich haben sie das Kind aus Freundschaft Hrunkner genannt. Gott in der tiefsten Erde. »Sehr angenehm.« Nicht einmal zu seiner besten Zeit war Hrunkner mit Kindern zurecht gekommen — neue Rekruten auszubilden, kam für ihn dem Aufziehen von Kindern noch am nächsten. Hoffentlich würde das sein Unbehagen entschuldigen.

Die Babies schienen seine Abneigung zu spüren und verschwanden scheu außer Sicht.

»Macht nichts«, sagte Scherkaner in seiner zerstreuten Art. »Sie werden hervorkommen und spielen, wenn wir erst einmal im Haus sind.«

Scherkaner führte ihn hinein und redete die ganze Zeit davon, wie viel er ihm zeigen müsse, wie gut es sei, dass Hrunkner endlich zu Besuch kam. Die Jahre hatten Unterberg verändert, zumindest körperlich. Die schmerzliche Schlankheit war verschwunden, er hatte mehrere Häutungen durchgemacht. Das Fell auf seinem Rücken war tief und väterlich, ein seltsamer Anblick bei jemandem in dieser Phase der Sonne. Das Zittern in seinem Kopf und Vorderkörper war etwas schlimmer, als es Unnerbei in Erinnerung hatte.

Sie gingen durch ein Foyer, das groß genug für ein Hotel gewesen wäre, und eine weitläufige Spirale von Stufen hinab, von der aus immer neue Flügel von Scherkaners ›kleinem Berghäuschen‹ in Sicht kamen. Es gab eine Menge andere Leute hier, wohl Diener, obwohl sie nicht die Livree trugen, die die Superreichen für gewöhnlich verlangten. Eigentlich strahlte der Ort das sachliche Flair von Firmen- oder Regierungseigentum aus. Unnerbei unterbrach das pausenlose Geplapper des anderen: »Das ist alles Fassade, nicht wahr, Unterberg? Der König hat diese Anhöhe überhaupt nie verkauft, er hat sie nur übertragen.« An den Geheimdienst.

»Nein, wirklich. Das ist mein eigener Grund und Boden. Ich habe ihn selber gekauft. Aber… äh… ich habe viel als Berater zu tun, und Viktoria — ich meine, der Geheimdienst des Einklangs — hat entschieden, dass der Sicherheit am besten Genüge getan wird, wenn die Labors direkt hier eingerichtet werden. Ich habe dir einiges zu zeigen.«

»Ah ja. Schön, deswegen bin ich hier, Scherk. Ich glaube, du arbeitest an den falschen Dingen. Du hast die Krone dazu gebracht, sich ganz auf… ich nehme an, wir können hier offen reden?«

»Ja, ja, natürlich.«

Normalerweise hätte Unnerbei eine derart lässige Versicherung nicht akzeptiert, doch ihm ging allmählich auf, wie gründlich dieses Haus auf Sicherheit gebaut war. Viel von der Gestaltung sah nach Scherkaner aus, zum Beispiel die logarithmische Spirale der Haupträume, doch man spürte auch Viktorias Hand, die Wachposten — wie er jetzt erkannte —, die überall lauerten, die geleckt sauberen Teppiche und Wände. Der Ort war wahrscheinlich ebenso sicher wie Unnerbeis Laboratorien im Landeskommando. »In Ordnung. Du hast die Krone dazu gebracht, sich ganz auf Atomkraft zu werfen. Ich habe mehr Leute und Ausrüstung unter mir als ein Milliardär, darunter mehrere Leute, die fast so schlau wie du sind.« Tatsächlich war Hrunkner Unnerbei, obwohl er immer noch Feldwebel war, von diesem Dienstgrad so weit entfernt, wie man nur sein konnte. Sein Leben übertraf jetzt seine kühnsten Träume, als er den Auftrag übernommen hatte.