»Sie haben mich sehr gern. Sie können immer zurück zu den Bäumen gehen, wenn sie wollen, aber ich lege kleine Stückchen Essen in die Zimmer, und sie kommen jeden Tag zu Besuch.« Sie zog an einem kleinen Messinggriff, und ein Stück von einem Fußboden kam wie eine Schublade aus einer Vitrine. Drinnen befand sich ein sinnreiches Labyrinth auf verschiebbaren hölzernen Trennwänden. »Ich experimentiere sogar mit ihnen, wie Papa mit uns spielt, bloß viel einfacher.« Ihre Babyaugen schauten beide nach unten, sodass sie Unnerbeis Reaktion nicht sah. »Ich tropfe bei diesem Ausgang ein bisschen Honig hin, dann lasse ich sie am anderen Ende herein. Dann messe ich, wie lange es dauert… Oh, du hast dich verlaufen, nicht wahr, Kleiner? Du bist jetzt seit zwei Stunden hier. Tut mir Leid.« Sie streckte ungeziert eine Esshand in den Kasten und hob den Kanker behutsam auf ein Fensterbrett bei den Farnen. »He, he« — das Kichern klang ganz nach Scherkaner —, »manche von ihnen sind viel dümmer als andere — oder vielleicht ist es Glück. Wie soll ich denn nun seine Zeit messen, wenn er überhaupt nie durch das Labyrinth kommt?«
»Ich… weiß nicht.«
Sie wandte ihm das Gesicht zu, und ihre schönen Augen schauten zu ihm auf. »Mama sagt, mein kleiner Bruder heißt nach dir. Hrunkner?«
»Ja, ich glaube, das stimmt schon.«
»Mama sagt, du bist der beste Ingenieur auf der Welt. Sie sagt, du kannst sogar Papas verrückte Ideen wahr machen. Mama möchte, dass du uns gern hast.«
Der Blick eines Kindes war etwas Eigenartiges. Er war so gerichtet. Der Angeschaute konnte unmöglich so tun, als wäre nicht er gemeint. Die ganze Peinlichkeit und der Schmerz des Besuchs schienen sich in diesem einen Augenblick zu sammeln. »Ich hab euch gern«, sagte er.
Viktoria junior schaute ihn noch einen Moment lang an, dann glitt ihr Blick beiseite. »In Ordnung.«
Sie aßen mit den Kupplis oben im Atrium zu Mittag. Die Wolkendecke wurde allmählich weggebrannt, und es wurde heiß, zumindest für einen Weißenberger Frühlingstag in neunzehnten Jahr. Sogar unter dem Vordach war es warm genug, um aus jedem Gelenk ins Schwitzen zu kommen. Den Kindern schien es nichts auszumachen. Sie waren noch von dem Fremden gefesselt, der ihrem kleinen Bruder den Namen gegeben hatte. Mit Ausnahme von Viki waren sie so aufgedreht wie eh und je, und Unnerbei tat sein Bestes, darauf einzugehen.
Als sie mit dem Essen fertig wurden, erschienen die Lehrer der Kinder. Sie sahen aus wie Studenten aus dem Institut. Die Kinder würden niemals in eine richtige Schule gehen müssen. Würden sie es deswegen etwa leichter haben?
Die Kinder wollten, dass Unnerbei während ihres Unterrichts bliebe, doch Scherkaner wollte davon nichts wissen. »Konzentriert euch aufs Lernen!«, sagte er.
Und so war der schwerste Teil des Besuchs vorbei — hoffentlich. Abgesehen von den Babies, waren Unterberg und Unnerbei wieder allein im kühlen Erdgeschoss des Instituts. Eine Zeit lang sprachen sie über Unnerbeis spezifische Bedürfnisse. Selbst wenn Scherkaner nicht bereit war, direkt zu helfen, so hatte er doch ein paar richtig schlaue Kupp hier oben. »Ich möchte, dass du mit ein paar von meinen Theoretikern sprichst. Und dass du dich mit unseren Experten für Rechenmaschinen triffst. Mir scheint, einige von deinen lästigsten Problemen wären zu lösen, wenn du nur schnelle Methoden zum Lösen von Differenzialgleichungen hättest.«
Unterberg streckte sich auf dem Sitzgitter hinter seinem Schreibtisch. Plötzlich wirkte er fragend. »Hrunk… das Gesellschaftliche beiseite, haben wir heute mehr erreicht, als mit einem Dutzend Telefongesprächen. Ich weiß, dass dir das Institut gefallen würde.
Nicht, dass du hineinpassen würdest! Wir haben eine Menge Techniker, aber unsere Theoretiker glauben, sie könnten sie herumkommandieren. Du bist der Typ, der die Denker herumkommandieren und ihre Ideen benutzen kann, um deine ingenieurtechnischen Ziele zu erreichen.«
Hrunkner lächelte schwach. »Ich dachte, die Erfindung müsse die Mutter der Notwendigkeit sein?«
»Hm. Größtenteils ist sie es. Darum brauchen wir Leute wie dich, die die Teile passend machen können. Du wirst heute Nachmittag sehen, was ich meine. Das sind Leute, aus denen du bestimmt gern Nutzen ziehen wirst, und umgekehrt… Ich wünschte nur, du wärst viel früher gekommen.«
Unnerbei setzte zu einer schwachen Entschuldigung an, hielt inne. Er konnte sich einfach nicht länger verstellen. Außerdem war es mit Scherkaner so viel leichter als gegenüber der Generalin. »Du weißt, warum ich nicht früher gekommen bin, Scherk. Eigentlich wäre ich jetzt nicht hier, wenn mir General Schmid nicht eindeutige Befehle gegeben hätte. Ich würde ihr durch die Hölle folgen, das weißt du. Doch sie verlangt mehr. Sie verlangt, dass ich eure Perversionen akzeptiere. Ich… Ihr beide habt solch wunderbare Kinder, Scherk. Wie konntet ihr ihnen so etwas antun?«
Er erwartete, dass Unterberg die Frage mit einem Lachen abtun oder vielleicht mit der eisigen Feindseligkeit reagieren würde, die Schmid bei jeder Andeutung solcher Kritik zeigte. Stattdessen saß er einen Augenblick lang schweigend da und spielte mit einem alten Kinderpuzzle. Die kleinen Holzstücke klickten in der Stille des Arbeitszimmers hin und her. »Du gibst zu, dass die Kinder gesund und glücklich sind?«
»Ja, Brent allerdings wirkt ein bisschen… langsam.«
»Du glaubst nicht, dass ich sie als Versuchstiere betrachte?«
Unnerbei dachte an Viktoria junior und ihr Puppenhaus-Labyrinth. Nun ja, in ihrem Alter hatte er Kanker mit einem Vergrößerungsglas geröstet. »Hm, du experimentierst mit allem, Scherk; so bist du nun einmal. Ich glaube, du liebst deine Kinder so sehr wie jeder gute Vater. Und darum kann ich mir erst recht nicht vorstellen, wie du sie zur Unzeit auf die Welt bringen konntest. Was, wenn auch nur eins geistig behindert wäre? Ich habe bemerkt, dass keins der Kinder davon gesprochen hat, sie hätten gleichaltrige Spielgefährten. Du findest keine, die keine Monster wären, nicht wahr?«
An Scherkaners Ausdruck sah er, dass die Frage ins Schwarze getroffen hatte. »Scherk. Deine armen Kinder werden ihr ganzes Leben in einer Gesellschaft verbringen, die sie als ein Verbrechen wider die Natur betrachtet.«
»Wir arbeiten daran, Hrunkner. Jirlib hat dir von der ›Kinderstunde der Wissenschaft‹ erzählt, nicht wahr?«
»Ich habe mich gefragt, was das alles soll. Er und Brent sind also wirklich in einem Radioprogramm? Die beiden könnten fast als Rechtzeit-Geborene gelten, doch früher oder später wird es jemand erraten und…«
»Natürlich. Wenn nicht — Viktoria junior möchte gern in der Sendung mitmachen. Ich will, dass die Zuhörer es schließlich verstehen. Das Programm wird alle Arten von wissenschaftlichen Themen behandeln, doch es wird eine ständige Schiene über Biologie geben und darüber, wie das Dunkel uns dazu gebracht hat, unser Leben auf bestimmte Weise zu verbringen. Mit dem Aufschwung der Technik sind alle sozialen Gründe unbedeutend, die es für streng festgelegte Geburtszeiten gibt.«
»Du wirst die Kirche des Dunkels niemals überzeugen.«
»Das ist wohl wahr. Ich hoffe, die Millionen unvoreingenommenen Menschen wie Hrunkner Unnerbei zu überzeugen.«
Unnerbei wusste nicht, was er sagen sollte. Das Argument Unterbergs war so brüchig. Verstand er das denn nicht? Alle anständigen Gesellschaften stimmten über grundlegende Fragen überein, Dinge, die das gesunde Überleben ihres Volkes bedeuteten. Die Dinge mochten sich ändern, doch es war sinnloser Selbstzweck, die Regeln über Bord zu werfen. Selbst wenn sie ins Dunkel hineinlebten, würden doch anständige Lebenszyklen notwendig sein… Das Schweigen zog sich hin, nur unterbrochen vom Klicken der kleinen Puzzelstücke.