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Doch Ezr Vinh war mitten in einer großen Kauffahrerfamilie aufgewachsen. Als Kind hatte er am Mittagstisch gesessen und Diskussionen über Flottenstrategien gehört, wie sie wirklich praktiziert wurden. Der Zugang eines Kapitäns zu seiner Flottenbibliothek erlaubte normalerweise keine verborgenen Eigenschaften. Dinge konnten — wie immer — verlorengehen; ererbte Anwendungen waren oft so alt, dass die Suchmaschinen keinerlei Anhaltspunkte fanden. Aber abgesehen von Sabotage oder einem Kapitän, der die Daten nach eigenem Gusto ummodelte, dürfte es keine isolierten Geheimnisse geben. Auf lange Sicht waren derlei Maßnahmen einfach zu mühevoll für die Systemwartung.

Ezr hätte gelacht, nur dass er argwöhnte, dass diese keimfreien Datenbrillen jedes Geräusch, dass er machte, an Brughels Blitzköpfe zurückmeldeten. Dennoch war das der erste frohe Gedanke des Tages. Trinli hat uns Blödsinn erzählt! Der alte Schwindler bluffte bei einer Menge Dinge, doch bei Tomas Nau sah er sich für gewöhnlich vor. Wenn es Zeit wurde, Reynolt die Einzelheiten zu liefern, würde Trinli in den Chip-Anleitungen kramen… und mit leeren Händen dastehen. Irgendwie konnte Ezr nicht viel Mitgefühl mit ihm empfinden; das eine Mal würde der alte Scheißkerl kriegen, was er verdiente.

Einundzwanzig

Qiwi Lin Lisolet verbrachte eine Menge Zeit draußen. Mit dem Ortertrick, den Trinli versprach, würde sich das vielleicht ändern. Qiwi schwebte tief über den alten Kontaktrand von Diamant Eins und Zwei. Jetzt lag er im Sonnenlicht, die flüchtigen Stoffe der früheren Jahre waren weggebracht worden oder verdunstet. Wo sie unberührt war, war die Oberfläche des Diamanten grau und stumpf und glatt, fast schimmernd. Das Sonnenlicht hatte im Laufe der Zeit den obersten Millimeter oder so zu Graphit gebrannt, eine Art Mikro-Regolith, der das Glitzern darunter verbarg. Alle zehn Meter den Rand entlang glitzerte es regenbogenfarben, wo ein Sensor angebracht war. Die E-Triebwerke zogen sich zu beiden Seiten hin. Selbst aus unmittelbarer Nähe konnte man ihre Aktivität kaum sehen, doch Qiwi kannte ihre Ausrüstung: Die elektrischen Triebwerke spuckten in Millisekunden-Ausbrüchen, gesteuert von den Programmen, die auf ihre Sensoren hörten. Und selbst das war nicht fein genug. Qiwi verbrachte über zwei Drittel ihrer Dienstzeit damit, um den Felshaufen herumzufliegen und die E-Triebwerke zu trimmen, trotzdem hatten die Felsbeben noch gefährliche Ausmaße. Mit einem feineren Sensornetz und den Programmen, die es Trinli zufolge geben sollte, müsste es möglich sein, bessere Arbeitsrhythmen für die Triebwerke zu entwerfen. Es würde Millionen Beben geben, doch so klein, dass niemand sie bemerken würde. Und dann bräuchte sie nicht mehr so viel Zeit hier zu verbringen. Qiwi fragte sich, wie es wohl wäre, wie die meisten Leute einen Wachzyklus mit weniger Dienst zu haben. Es würde medizinische Ressourcen sparen, der arme Tomas bliebe aber noch mehr allein.

Ihr Denken glitt um die Sorge herum. Manche Dinge kannst du bessern und andere nicht; sei dankbar für das, was Trinlis Orter Gutes bringen werden. Sie schwebte von der Spalte hoch und fragte beim Rest ihrer Wartungsgruppe nach dem Stand.

»Nur die üblichen Probleme«, erklang Floria Peres’ Stimme in ihrem Ohr. Floria glitt über die ›oberen Hänge‹ von Diamant Drei. Also oberhalb der gegenwärtigen Null-Oberfläche des Felshaufens. Dort büßten sie jedes Jahr ein paar E-Triebwerke ein. »Drei gelockerte Halterungen… Wir haben sie rechtzeitig erwischt.«

»Sehr gut. Ich setze Arn und Dima dran. Ich denke, wir sind früh fertig.« Sie lächelte vor sich hin. Jede Menge Zeit für die interessanteren Projekte. Sie schaltete ihr Kom von der Gruppenfrequenz weg. »He, Floria. Du bist diese Wache für die Raffinerie zuständig, nicht wahr?«

»Klar.« Auf der anderen Seite ertönte ein Kichern. »Ich versuche, diese Arbeit jedes Mal zu kriegen; für dich zu arbeiten, ist einfach eine der unvermeidlichen Mühen, die damit verbunden sind.«

»Nun ja, ich hätte da ein paar Dinge für dich. Vielleicht können wir ein Geschäft machen?«

»Oh, vielleicht.« Floria hatte nur einen Zehn-Prozent-Dienstzyklus; dennoch hatten sie dieses Spiel schon einmal gespielt. Außerdem gehörte sie zur Dschöng Ho. »Wir treffen uns in ein paar tausend Sekunden unten bei der Raffinerie. Wir können zusammen Tee trinken.«

Die Raffinerie für die flüchtigen Stoffe bewegte sich langsam über die dunkle Seite des Felshaufens. Ihre Türme und Retorten glitzerten reifbedeckt im Licht der Arachna; an anderen Stellen glühte sie von dumpfer roter Wärme, wo die Fraktionierung und die Rekombination stattfanden. Heraus kamen die einfachen Rohstoffe für ihre Fabrik und die organischen Schlämme für die Baktreien. Das Kernstück der L1-Raffinerie stammte von der Dschöng-Ho-Flotte. Die Aufsteiger hatten ähnliche Ausrüstung mitgebracht, doch sie war während des Kampfes verlorengegangen. Gott sei Dank war es unsere, die übrig blieb. Reparaturen und Neubau hatten sie gezwungen, Teile von allen Schiffen auszuschlachten. Wenn der Kern der Raffinerie von den Aufsteigern stammte, könnten sie von Glück sagen, wenn jetzt überhaupt noch etwas funktionieren würde.

Qiwi machte ihr Taxi ein paar Meter von der Raffinerie entfernt fest. Sie lud ihre in Thermoisolation eingeschlagene Fracht ab und zog sich an den Führungsseilen zum Eingang. Rings um sie lag in gewellten Dünen ihr verbliebener Vorrat an flüchtigen Stoffen: Luftschnee und Ozeaneis von der Oberfläche der Arachna. Sie hatten einen weiten Weg hinter sich und eine Menge gekostet. Viel von der ursprünglichen Menge, vor allem der Luftschnee, war beim Aufflammen verloren gegangen, auch später noch, wenn er zufällig ins Licht kam. Der Rest war in die sichersten Schatten geschoben und ausbalanciert worden, war beim vergeblichen Versuch, den Felshaufen zusammenzukleben, geschmolzen und zum Atmen und Essen und Leben verwendet wurden. Tomas hatte Pläne, Teile von Diamant Eins als wirklich sicheren Lagerraum auszuhöhlen. Vielleicht würde das nicht notwendig sein. In dem Maße, wie die Sonne schwächer wurde, sollte es leichter sein, das Verbliebene zu bewahren. Inzwischen rückte die Raffinerie langsam — weniger als zehn Meter pro Jahr — durch die Dünen von Eis und Luft vor. Hinter sich ließ sie Sternenfunkeln auf bloßem Diamant und eine Spur von Verankerungslöchern.

Florias Steuerkäfterchen lag an der Basis der hinteren Türme der Raffinerie. Als Teil des ursprünglichen Dschöng-Ho-Moduls war es nicht mehr als ein luftdichter Verschlag gewesen, in dem man essen und ein Nickerchen machen konnte. In den Jahren des Exils hatten die verschiedenen Bewohner es ausgebaut. Als sie vom Boden her hineinkam, hielt Qiwi für einen Moment inne. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie in engen Räumen oder Tunneln verbracht oder aber in der offenen Leere. Florias letzte Veränderungen machten aus diesem Raum etwas dazwischen. Sie konnte sich vorstellen, was Ezr dazu sagen würde: Es sah wirklich wie eine kleine Hütte aus, fast wie die Märchenbilder, wie ein Bauer in einem uralten Land in den schneebedeckten Ausläufern eines Gebirges leben mochte, nahe an einem glitzernden Wald.

Qiwi kletterte an den Außenstreben und Ankerkabeln vorbei — dem Rande des Zauberwaldes — und klopfte an die Tür der Hütte.

Handeln machte immer Spaß. Sie hatte so oft versucht, das Tomas zu erklären. Der arme Kerl hatte ein gutes Herz, doch er stammte aus einer Kultur, die es einfach nicht verstand.

Qiwi brachte einen Teil der Bezahlung für Florias neueste Erzeugnisse: In der Thermoisolation befand sich ein Zwanzig-Zentimeter-Bonsai, etwas, woran Papa Megasekunden lang gearbeitet hatte. Mikro-Zwergfarne wuchsen und bildeten vielschichtige Blattdächer. Floria hielt die Bonsai-Kugel nahe an die Raumbeleuchtung und schaute nach oben durch das Grün. »Die Mücken!« — Käfer von weniger als einem Millimeter. »Sie haben bunte Flügel!«