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Floria ließ Qiwis Hand los und wischte die Tränen weg, die ihr noch immer in den Augen standen. Ihre Stimme hatte sie fast unter Kontrolle. »Ach ja. Vorher konnte ich es wegstecken. ›Duck dich‹, sagte ich mir, ›und sei ein richtiger kleiner besiegter Krämer.‹ Darin sind wir von Natur aus gut, meinst du nicht? Vielleicht liegt es an der langfristigen Sichtweise. Aber jetzt… Du weißt, dass ich eine Schwester bei unsrer Flotte hatte?«

»Nein.« Es tut mir Leid. Es hatte vor den Kämpfen so viele von der Dschöng Ho in der Flotte gegeben, und die kleine Qiwi hatte so wenige gekannt.

»Luan war eine Jokerkarte, nicht allzu intelligent, aber gut im Umgang mit Menschen… die Sorte, die ein kluger Flottenkapitän mit untermischt.« Ein Lächeln kam fast bis an die Oberfläche, ging dann in trostloser Erinnerung unter. »Ich habe eine Promotion in Chemietechnik, aber sie haben Luan fokussiert und mich freigelassen. Es hätte mich treffen müssen, aber sie nahmen stattdessen sie.«

Florias Gesicht verzerrte sich von einem Schuldgefühl, das nicht angebracht war. Vielleicht war Floria immun gegen eine dauernde Infektion mit der Geistfäule, wie so viele von der Dschöng Ho. Oder vielleicht nicht. Tomas brauchte mindestens ebenso viele Freie wie Fokussierte, sonst würde das System in Einzelheiten versinken. Qiwi öffnete den Mund zu einer Erklärung, doch Floria hörte nicht zu.

»Ich habe damit gelebt. Und ich habe verfolgt, was mit Luan geschah. Sie haben sie auf diese Aufsteiger-Kunst fokussiert. Wahrscheinlich hast du sie hundertmal gesehen.«

Ja, das stimmt gewiss. Die Schneidegruppen machten die niedrigste Arbeit unter den Fokussierten. Es war nicht das hohe Schöpfertum von Ali Lin oder den Übersetzern. Die Muster der ›Legendenkunst‹ der Aufsteiger ließen der Kreativität keinen Raum. Die Arbeiter arbeiteten sich die Diamantkorridore entlang, Zentimeter für Zentimeter, schlugen gemäß der Gesamtvorgabe winzige Stückchen ab. Ritsers ursprünglicher Plan war gewesen, bei dem Projekt alle ›menschlichen Abfälle‹ zu verbrauchen, indem man sie ohne medizinische Betreuung bis zum Tode arbeiten ließ.

»Aber sie arbeiten nicht mehr Wache um Wache, Floria.« Das war einer von Qiwis ersten Triumphen über Ritser Brughel gewesen. Die Arbeit der Diamantschneider wurde erleichtert, und medizinische Ressourcen wurden allen zugänglich gemacht, die wach blieben. Die Schneider würden das Ende des Exils überleben — und die Freilassungen, die Tomas versprochen hatte.

Floria nickte. »Stimmt, und obwohl sich unsere Wachen kaum überschnitten, konnte ich doch Luan im Auge behalten. Ich pflegte in den Korridoren herumzuhängen, und wenn andere Leute kamen, tat ich so, als sei ich unterwegs. Ich redete sogar mit ihr über diese verdammte dreckige Kunst, die sie liebte; es war das Einzige, worüber sie reden konnte, ›Die Niederlage des Frenkischen Orks‹.« Floria spuckte den Titel geradezu heraus. Ihr Zorn verrauchte, und sie schien in sich zusammenzusinken. »Dennoch konnte ich sie immer noch treffen, und vielleicht, wenn ich ein braver kleiner Krämer war, würde sie eines Tages freikommen. Doch jetzt…« — sie wandte sich um und schaute Qiwi an, und ihre Stimme verlor wieder ihren Halt — »jetzt ist sie einfach nicht mehr da, steht nicht einmal mehr auf der Liste. Sie behaupten, ihr Sarg habe versagt. Sie behaupten, sie sei im Kälteschlaf gestorben. Die verlogenen, heimtückischen Dreckskerle…«

Dschöng-Ho-Kältesärge waren so sicher, dass sich die Ausfallrate statistisch nicht einmal genau bestimmen ließ, zumindest, wenn sie richtig benutzt wurden und für Zeiträume unter 4 Gigasekunden. Die Ausrüstung der Aufsteiger war anfälliger, und seit den Kämpfen waren niemandes Geräte absolut vertrauenswürdig. Luans Tod war höchstwahrscheinlich ein schrecklicher Unfall, noch ein Echo des Wahnsinns, der sie alle beinahe umgebracht hätte. Und wie kann ich die arme Floria davon überzeugen? »Ich denke schon, dass wir nicht alles für bare Münze nehmen können, was man uns erzählt, Floria. Die Aufsteiger haben ein bösartiges System. Aber… ich war lange Zeit auf Hundert-Prozent-Wache, selbst jetzt bin ich noch bei fünfzig Prozent. Ich bin in fast alles eingeweiht. Und weißt du, in all der Zeit habe ich Tomas nie bei einer Lüge ertappt.«

»Na schön« — mürrisch.

»Und warum sollte jemand Luan töten wollen?«

»Ich habe nichts von Töten gesagt. Und vielleicht weiß dein Tomas es nicht. Zweimal habe ich Ritser Brughel gesehen. Einmal hatte er alle Frauen beisammen und war hinter ihnen, beobachtete nur. Das andere Mal… das andere Mal war er mit Luan allein.«

»Oh.« Das Wort kam sehr kleinlaut heraus.

»Ich habe keinen Beweis. Was ich gesehen habe, war weiter nichts als eine Geste, eine Haltung, der Gesichtsausdruck eines Mannes. Also habe ich geschwiegen, und jetzt ist Luan nicht mehr da.«

Plötzlich erschien Florias Verfolgungswahn ziemlich plausibel. Ritser Brughel war ein Ungeheuer, das von dem Hülsenmeister-System kaum in Schach gehalten wurde. Die Erinnerung an ihre Konfrontation hatte Qiwi nie verlassen, das Patschen des Stahlstocks in seinen Händen, als er gegen sie wütete. Damals hatte Qiwi zornigen Triumph empfunden, ihn in die Schranken zu weisen. Seither war ihr aufgegangen, welch große Angst sie hätte fühlen müssen. Ohne Tomas wäre sie damals gewiss umgekommen… oder schlimmer. Ritser wusste, was geschehen würde, wenn man ihn ertappte.

Einen Todesfall zu fingieren, selbst eine nicht genehmigte Hinrichtung durchzuführen, war heikel. Die Hülsenmeister hatten ihre eigenen, spezifischen Aufzeichnungspflichten. Falls es Ritser nicht sehr schlau anstellte, würde es Hinweise geben. »Hör, Floria. Es gibt Wege, wie ich das überprüfen kann. Du könntest Recht haben, was Luan betrifft, aber so oder so werden wir die Wahrheit herausfinden. Und wenn du Recht hast — nun, es ist ausgeschlossen, dass Tomas solchen Missbrauch duldet. Er braucht die Mitarbeit aller von der Dschöng Ho, oder keiner von uns hat eine Chance.«

Floria schaute sie ernst an, dann streckte sie die Arme aus und umarmte sie fest. Qiwi fühlte das Zittern, das durch ihren Körper lief, doch sie weinte nicht. Nach einer Weile sagte Floria: »Danke. Danke. Diese letzte Megasek habe ich mich so gefürchtet… so geschämt.«

»Geschämt?«

»Ich liebe Luan, aber der Fokus hat eine Fremde aus ihr gemacht. Ich hätte Mord und Totschlag schreien müssen, als ich hörte, dass sie nicht mehr da war. Zum Teufel, ich hätte mich beschweren müssen, als ich Brughel mit ihr sah. Aber ich hatte Angst um mich selbst. Jetzt…« Floria lockerte ihren Griff und betrachtete Qiwi mit einem unsicheren Lächeln. »Jetzt habe ich vielleicht noch jemanden in Gefahr gebracht. Aber du hast wenigstens eine Chance… und du weißt, es kann sein, dass sie sogar jetzt noch am Leben ist, Qiwi. Wenn wir sie schnell genug finden können.«

Qiwi hob die Hand. »Vielleicht, vielleicht. Sehen wir, was ich herausfinden kann.«

»Ja.« Sie tranken den Tee aus, sprachen alles durch, woran sich Floria über ihre Schwester erinnern konnte und was sie gesehen hatte. Sie tat jetzt ihr Möglichstes, ruhig zu wirken, doch Erleichterung und Nervosität ließen ihre Worte etwas zu schnell kommen, ihre Gesten etwas zu weit ausholen.

Qiwi half ihr, die Bonsaikugel und ihre hölzerne Halterung in Klammern unter der Hauptleuchte des Raumes zu befestigen. »Ich kann dir noch eine Menge Holz beschaffen. Gonle möchte wirklich, wirklich, dass du die Herstellung von Meta-Krylaten programmierst. Vielleicht möchtest du dein Zuhause mit poliertem Holz täfeln, wie es die Kapitäne früher mit ihren Innenkabinen gemacht haben.«

Floria schaute sich in ihrem kleinen Raum um und spielte mit. »Könnte ich wirklich. Sag ihr, vielleicht können wir ein Geschäft machen.«

Und dann stand Qiwi an der inneren Schleusentür und zog ihren Helm herunter. Für einen Augenblick stand wieder die Angst in Florias Gesicht. »Sieh dich vor, Qiwi.«