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»Mach ich.«

Qiwi flog mit ihrem Taxi die restlichen Haltepunkte ab, inspizierte den Felshaufen, übermittelte Probleme und Veränderungen an das Blitzkopf-Netz. Unterdessen raste ihr Denken beängstigende Korridore entlang. Es war nur gut, dass ihr diese Zeit zum Nachdenken blieb. Wenn Floria Recht hatte, dann konnte es sogar mit Tomas an ihrer Seite sehr gefährlich werden. Ritser hatte die Hände einfach in zu vielen Dingen. Wenn er den Kälteschlaf sabotierte oder Sterbelisten fälschte, dann waren große Teile von Tomas’ Netz unterwandert worden.

Argwöhnt Ritser, dass ich es weiß? Qiwi glitt die Schlucht entlang, die Diamant Drei von Diamant Vier trennte. Arachnas blaues Licht schien direkt von hinten und erhellte die Höhlen, die die rauen Berührungsflächen der Blöcke bildeten. Ein Teil des Wasser-Klebstoffs sublimierte. Die Sublimation war zu gering, um vom Sensorraster erfasst zu werden, doch wenn sie mit dem Gesicht nur ein paar Meter von der Oberfläche entfernt schwebte, konnte sie es sehen. Sogar während sie das Problem weitermeldete, wandte sich ein Teil ihres Bewusstseins der tödlicheren Frage zu: Floria war klug genug, um ihre kleine Hütte sauber zu halten, sogar die Außenseite. Und Qiwi war sehr sorgsam mit ihrem Anzug. Tomas hatte ihr erlaubt, alle Wanzen daran auszuschalten, offizielle wie verborgene. Im Netz war es etwas anderes. Wenn Ritser tat, was Floria glaubte, dann überwachte er höchstwahrscheinlich sogar die Kommunikation in der Hülse. Es würde heikel sein, irgendetwas zu entdecken, ohne ihn zu alarmieren.

Also sei sehr, sehr vorsichtig. Für alles, was sie jetzt tat, brauchte sie einen Vorwand. Ah. Die Personalstudien, zu der sie und Ezr eingeteilt waren. Während sie von ihrer Inspektion des Felshaufens zurückflog, würde es plausibel sein, wenn sie daran weiterarbeitete. Sie setzte einen Anruf niedriger Priorität an Ezr ab und bat ihn um eine Besprechung, dann lud sie einen großen Block der Wach- und Personal-Datenbank herunter. Die Aufzeichnungen über Luan würden da drin sein, doch jetzt waren sie im lokalen Cache, und ihre Prozessoren waren mit Tomas’ eigenen Sicherheitsroutinen abgeschirmt.

Sie lud die Bio über Luan Peres. Ja, da war Tod im Kälteschlaf gemeldet worden. Qiwi überflog den Text. Es gab eine Menge Jargon, Mutmaßungen über die Ursachen des technischen Versagens. Sie konnte der Erörterung mehr oder weniger folgen, obwohl es nach den blühenden Übertreibungen eines schwafelnden Blitzkopfes klang, die man vielleicht bekam, wenn man einen Fokussierten aufforderte, ein glaubhaftes Versagen zu erfinden.

Das Taxi schwebte aus dem Schatten des Felshaufens heraus, und das Sonnenlicht spülte das ruhige Blau des Arachnalichtes weg. Die Sonnenseite des Felshaufens war nacktes Gestein, Graphit auf Diamant. Qiwi dämpfte das Bild und wandte sich wieder dem Bericht über Luan zu. Es war fast ein sauberer Bericht. Er hätte sie vielleicht getäuscht, wenn sie nicht misstrauisch gewesen wäre oder wenn sie nicht alle Anforderungen einer Aufsteiger-Dokumentation gekannt hätte. Wo waren die dritte und vierte Gegenprobe zur Autopsie? Reynolt verlangte immer, dass ihre Blitzer das taten; das bisschen Flexibilität, was sie besaß, verlor die Frau vollends, wenn es um Todesfälle bei den Blitzköpfen ging.

Der Bericht war gefälscht. Tomas würde das verstehen, sobald sie ihn darauf hinwies.

Ein Läuten erklang in ihrem Ohr. »Ezr, hallo.« Verdammt. Ihn anzurufen, war nur Tarnung gewesen, ein Vorwand, einen großen Block herunterzuladen und sich die Aufzeichnungen über Luan anzusehen. Doch nun war er da. Einen Augenblick lang schien er neben ihr im Taxi zu sitzen. Dann flackerte das Bild, als ihre Datenbrille erkannte, dass sie mit der Illusion nicht zurechtkam, und sich entschloss, ihn in einer Pseudo-Darstellung in unveränderlicher Position abzubilden. Hinter ihm lagen die blaugrünen Wände der Obergeschosse von Hammerfest. Er war zu Besuch bei Trixia, natürlich.

Das Bild genügte vollauf, um die Ungeduld auf seinem Gesicht zu zeigen. »Ich habe beschlossen, sofort zurückzurufen. Du weißt, dass ich in sechzig Kilosek von Wache gehe.«

»Ja, tut mir Leid, dass ich dich behellige. Ich habe mir die Personaldaten angesehen. Für diese Sache im Planungskomitee, die uns beiden anhängt? Jedenfalls bin ich auf eine Frage gestoßen.« Ihr Denken eilte ihren Worten voraus und suchte fieberhaft nach einem Thema, das den Anruf rechtfertigen würde. Komisch, wie der geringste Täuschungsversuch das Leben jedes Mal komplizierter zu machen schien. Sie stolperte ein paar Sätze lang einher und kam schließlich auf eine wirklich dumme Frage über die Mischung von Spezialisten.

Ezr schaute sie jetzt ein wenig sonderbar an. Er zuckte die Achseln. »Du fragst nach dem Ende des Exils, Qiwi. Wer weiß, was wir brauchen werden, wenn die Spinnen zum Kontakt bereit sind. Ich dachte, wir würden dann alle Fachgebiete aus dem Kälteschlaf holen und glatt durchziehen.«

»Natürlich, das ist der Plan, aber es gibt Einzelheiten…« — Qiwi schlängelte sich zur Glaubwürdigkeit durch. Die Hauptsache war, einfach das Gespräch zu beenden — »also werde ich darüber noch etwas nachdenken. Lass uns ein richtiges Treffen haben, wenn du aus dem Kälteschlaf zurückkommst.«

Ezr verzog das Gesicht. »Das wird eine Weile dauern. Ich bin für fünfzig Megasekunden weg.« Den größten Teil von zwei Jahren.

»Was?« Das war mehr als das Vierfache seiner üblichen Freiwache.

»Du weißt, neue Gesichter und überhaupt.« Es gab Sektionen in seiner Wachgruppe, die nicht viel Zeit bekommen hatten. Tomas und das Verwaltungskomitee — einschließlich Qiwi und Ezr! — waren zu der Ansicht gelangt, dass jeder Zeit zur praktischen Arbeit bekommen und an den üblichen Trainingskursen teilnehmen sollte.

»Du fängst ein bisschen früh an.« Und 50 Megasekunden war länger, als sie erwartet hatte.

»Na ja, irgendwo muss man anfangen.« Er sah von den Videokamera weg. Zu Trixia? Als er wieder herblickte, war sein Ton weniger ungeduldig, aber irgendwie dringlicher. »Schau, Qiwi. Ich werde ganze große fünfzig auf Eis liegen, und selbst danach werde ich eine Zeit lang wenig Dienst haben.« Er hob die Hand, um Einwänden zuvorzukommen. »Ich beklage mich nicht! Ich war selber an der Entscheidung beteiligt… Aber Trixia wird die ganze Zeit Wache haben. Das ist länger, als sie jemals allein gewesen ist. Es wird niemand dasein, der für sie eintreten kann.«

Qiwi wünschte, sie könnte die Hand ausstrecken und ihn trösten. »Niemand wird ihr Böses antun, Ezr.«

»Ja doch, ich weiß. Dafür ist sie zu wertvoll. Ganz wie dein Vater.« Etwas flackerte in seinen Augen, doch es war nicht der übliche Zorn. Der arme Ezr bat sie inständig. »Sie werden ihren Körper in Gang halten, sie werden sie einigermaßen sauber halten. Aber ich möchte nicht, dass sie noch mehr Mühe bekommt, als sie jetzt schon hat. Hab ein Auge auf sie, Qiwi. Du hast wirkliche Macht, zumindest über Kroppzeug wie Trud Silipan.«

Es war das erste Mal, dass Ezr sie wirklich um Hilfe bat.

»Ich werde auf sie aufpassen, Ezr«, sagte Qiwi leise. »Ich versprech’s.«

Nachdem er die Verbindung beendet hatte, saß Qiwi ein paar Sekunden lang reglos da. Seltsam, dass ein Telefongespräch, das sich zufällig ergeben hatte und planlos gelaufen war, solchen Eindruck machte. Doch Ezr hatte schon immer solche Wirkung auf sie gehabt. Als sie dreizehn war, war ihr Ezr Vinh als der wunderbarste Mann im Weltall erschienen — und die einzige Art, seine Aufmerksamkeit zu erheischen, war, ihm auf die Nerven zu gehen. Derlei Teenager-Schwärmereien müssten sich doch auswachsen, oder? Beiläufig fragte sie sich, ob das Diem-Massaker irgendwie ihre Seele habe verkümmern lassen, ihre Zuneigungen ein für alle Mal so festgelegt, wie sie in den letzten unschuldigen Tagen vor all dem Tod waren… Aus welchem Grund auch immer, es war ein gutes Gefühl, dass sie etwas für ihn tun konnte.