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Vor etwa zwei Jahren hatte es eine feine Veränderung gegeben, die in den schriftlichen Berichten der Blitzköpfe festgehalten wurde — und die Jau Xin und Rita Liao sofort instinktiv bemerkt hatten: ›Jirlib‹ und ›Brent‹ waren in der Sendung aufgetreten. Sie wurden wie alle anderen Kinder eingeführt, doch Trixias Übersetzungen ließen sie jünger als die anderen erscheinen. Moderator Grabber machte nie eine Bemerkung über den Unterschied, und die Mathe und Naturwissenschaft in der Sendung wurde weiterhin komplizierter.

 ›Viktoria junior‹ und ›Gokna‹ waren die letzten Zugänge in der Sendung, erst in dieser Wache. Ezr hatte gesehen, wie Trixia sie spielte. Ihre Stimme war mit kindlicher Ungeduld gesprungen, manchmal hatte sie glucksend gelacht. Ritas Bilder zeigten diese beiden Spinnen als lachende Siebenjährige. Es war alles zu weit hergeholt. Warum sollte das Alter von Kindern in der Sendung sinken? Benny behauptete, die Erklärung sei offensichtlich. ›Die Kinderstunde‹ muss unter neuer Leitung sein. Der allgegenwärtige Scherkaner Unterberg war jetzt als Autor der Stunden angegeben. Und Unterberg war anscheinend der Vater aller neuen Kinder.

Als Ezr aus dem Kälteschlaf zurückgekehrt war, hatte die Vorstellung so viel Zulauf gewonnen, dass der Salon bis zu seinem Fassungsvermögen gefüllt war. Ezr sah vier Vorstellungen, jede für ihn persönlich ein Horror. Und dann hörte es plötzlich auf. ›Die Kinderstunde‹ war jetzt seit zwanzig Tagen nicht gesendet worden. Vielmehr hatte es eine trockene Mitteilung gegeben: »Nach zahlreichen Hinweisen von Zuhörern haben die Eigentümer dieser Rundfunkstation festgestellt, dass die Familie von Scherkaner Unterberg die Unzeit-Perversion praktiziert. Bis zur Klärung dieser Situation sind die Sendungen der ›Kinderstunde der Wissenschaft‹ eingestellt.« Broute hatte die Ankündigung mit einer Stimme gelesen, die der von Rappaport Grabber gar nicht ähnelte. Die neue Stimme war kalt und distanziert und voller Abscheu.

Diesmal drang die Fremdartigkeit der Arachna durch all das glatte Wunschdenken. Die Spinnentradition erlaubte neue Kinder also nur zu Beginn einer Neuen Sonne. Die Generationen waren strikt getrennt, jede schritt als gleichaltrige Gruppe durchs Leben: Die Menschen konnten nur raten, warum dem so sein sollte, doch anscheinend war die ›Kinderstunde‹ die Tarnung für eine schwer wiegende Verletzung des Tabus gewesen. Sie fiel für eine geplante Sendung aus. In Bennys Biersalon sah es traurig und leer aus; Rita begann davon zu reden, die dummen Bilder wegzunehmen. Und Ezr begann schon zu hoffen, dies sei vielleicht das Ende des Zirkus.

Doch das war zuviel gehofft. Vor vier Tagen hatte sich die düstere Stimmung plötzlich gelichtet, wenngleich das Geheimnis blieb. Sendungen von Radiostationen überall im ›Goknischen Einklang‹ kündigten an, dass eine Sprecherin der Kirche des Dunkels auf Scherkaner Unterberg treffen würde, um über die ›Anständigkeit‹ seiner Rundfunksendung zu debattieren. Trud Silipan hatte versprochen, dass die Blitzköpfe bereit sein würden, imstande, diese neue Form der Sendung zu übersetzen.

Jetzt zählte Bennys Uhr die verbleibenden Sekunden bis zu dieser Sonderausgabe der ›Kinderstunde‹.

An seinem üblichen Platz an der anderen Seite des Salons schien Trud Silipan die Spannung zu ignorieren. Er und Pham Trinli unterhielten sich in gedämpftem Ton. Die beiden waren ständige Trinkkumpane und planten große Sachen, aus denen nie etwas zu werden schien. Komisch, ich hatte Trinli immer für einen großmäuligen Clown gehalten. Phams Behauptungen über wunderbare Orten hatten sich nicht als leeres Gerede erwiesen; Ezr hatte die Staubkörnchen bemerkt. Nau und Brughel hatten begonnen, die Geräte zu nutzen. Irgendwie hatte Pham Trinli ein Geheimnis über die Orter gekannt, das in den innersten Abschnitten der Flottenbibliothek gefehlt hatte. Ezr Vinh war vielleicht der Einzige, dem das bewusst war, doch Pham Trinli war nicht gänzlich ein Clown. Immer mehr ahnte Ezr, dass der alte Mann überhaupt kein Narr war. Überall in der Flottenbibliothek waren Geheimnisse versteckt, das konnte bei etwas derart Altem und Großem gar nicht anders sein. Doch dass ein derart wichtiges Geheimnis diesem Manne bekannt war… Pham Trinli musste eine lange Vorgeschichte haben.

»He, Trud!«, rief Rita und zeigte auf die Uhr. »Wo sind deine Blitzköpfe?« Die Bildtapete des Salons zeigte noch immer die Wälder irgendeines Naturschutzgebiets auf der Balacrea.

Trud Silipan erhob sich von seinem Tisch und schwebte herunter vor die Menge. »Alles in Ordnung, Leute. Ich hab’s eben gehört.

Radio Weißenberg hat den Vorspann für die ›Kinderstunde‹ gestartet. Direktor Reynolt wird die Blitzköpfe gleich auf die Szene bringen. Sie stimmen sich noch in den Wortfluss ein.«

Liaos Irritation schmolz weg. »Prima! Gut gemacht, Trud.«

Silipan verbeugte sich und kassierte Ehre für etwas, wozu er nicht das Geringste beigetragen hatte. »In ein paar Minuten müssten wir also erfahren, was für seltsame Dinge dieser Unterberg mit seinen Kindern gemacht hat…« Er reckte den Kopf und lauschte auf seinen privaten Dateneingang. »Und da sind sie!«

Die nasse, blaugrüne Waldlandschaft verschwand. Die Bar-Seite des Raums schien sich plötzlich in eins der Versammlungszimmer unten in Hammerfest zu öffnen. Anne Reynolt glitt von rechts ins Bild, ihre Gestalt war von der Perspektive verzerrt; dieser Teil der Tapete kam mit 3D einfach nicht zurecht. Hinter Reynolt erschienen ein paar Techniker und fünf Blitzköpfe… fokussierte Menschen. Eine davon war Trixia.

Und das war der Punkt, wo Ezr zu schreien anfangen wollte — oder an einen dunklen Ort weglaufen und so tun, als existiere die Welt nicht. Normalerweise verbargen die Aufsteiger ihre Blitzköpfe tief im Innern ihres Systems, als empfänden sie einen Rest von Scham. Normalerweise bekamen die Aufsteiger lieber Ergebnisse von Computerbildschirmen und Datenbrillen, nur Graphiken und hygienisch gefilterte Daten. Benny hatte ihm erzählt, dass Qiwis Raritätenschau ursprünglich nur aus den Stimmen der Blitzköpfe bestanden hatte, die in den Salon übertragen wurden. Dann hatte Trud allen von den mimischen Zugaben der Übersetzer erzählt, und die Vorstellung war als Bild gekommen. Gewiss konnten die Blitzköpfe aus dem Ton der Spinnen keine Körpersprache intuitiv erfassen. Das schien keine Rolle zu spielen; die Mimik war vielleicht Unsinn, aber genau das, was die Ghule ringsum sehen wollten.

Trixia trug lockere Arbeitskleidung. Ihr Haar schwebte frei, teilweise verfitzt. Es war noch keine vierzig Kilosekunden her, das Ezr es glattgekämmt hatte. Sie schüttelte ihre Hundeführer ab und griff nach dem Rand eines Tisches. Sie schaute hin und her, murmelte etwas vor sich hin. Sie wischte sich mit dem Ärmel der Arbeitsbluse übers Gesicht und zog sich zu einer Sitzhalterung herab. Die anderen folgten ihr und sahen ebenso geistesabwesend wie Trixia aus. Die meisten trugen Datenbrillen. Ezr wusste, was sie sahen und hörten — die halbfertige automatische Umsetzung der Spinnensprache. Das war Trixias ganze Welt.

»Wir sind synchron, Direktor«, sagte einer der Techniker zu Reynolt.

Die Aufsteiger-Direktorin für menschliche Ressourcen schwebte die Reihe von Sklaven entlang und dirigierte die zappelnden Blitzköpfe aus Gründen umher, die Ezr nicht erraten konnte. Nach all der Zeit wusste Ezr, dass die Frau eine spezielle Begabung hatte. Sie war ein unerbittliches Miststück, aber sie wusste, wie man von den Blitzköpfen Ergebnisse kriegte.

»Gut, lass sie loslegen…« Sie bewegte sich nach oben, um den Blick freizugeben. Zinmin Broute hatte sich auf seinem Sitz hochgereckt und sprach bereits mit seiner gewichtigen Ansagerstimme. »Mein Name ist Rappaport Grabber, und Sie hören ›Die Kinderstunde der Wissenschaft‹…«

Papa hatte sie diesmal alle mit in die Rundfunkstation genommen. Jirlib und Brent waren auf der oberen Plattform des Wagens, sie verhielten sich sehr ernsthaft und erwachsen — und sie sahen den Rechtzeit-Geborenen ähnlich genug, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Rhapsa und Klein Hrunk waren noch winzig genug, um in Papas Fell zu sitzen; es würde noch ein Jahr dauern, bis sie sich nicht mehr gern die Babies der Familie nennen ließen.