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Dazu kam aber der unglaubliche Fall, daß er seine Überprüfung selbst vornehmen sollte. Könnte es sich dabei um einen besonders raffinierten, ja geradezu witzigen Trick der Kontrolleure handeln? Aber diesen Gedanken verwarf er bald; denn wenn eines feststand, war es die Tatsache, daß die Kontrolleure bei ihrer Arbeit nicht das geringste Anzeichen von Witz erkennen ließen. Sie gingen absolut kein Risiko ein. Dann blieb nur noch eine Möglichkeit, die aber ebenso unwahrscheinlich war, nämlich ein Irrtum der Maschine …

Aber auch bei diesem Gedanken stockte er. Die Maschine irrte sich nie, und wenn nun der sicher überaus seltene Zufall eintrat, daß ein Rechercheur seinen eigenen Fall zur Bearbeitung übertragen bekam, so konnte das einfach daran liegen, daß man vergessen hatte, diese Möglichkeit auszuschließen. Immerhin – das müßte sich überprüfen lassen. Er hatte Zugang zu den Programmen, und was gab es Einfacheres, als sich über diesen Punkt zu informieren … Schon wollte er zur Tastatur seines Fernschreibers greifen, als ihm einfiel, daß das, was er eben zu tun beabsichtigte, nicht zur üblichen Routine seiner Arbeit gehörte Obwohl es keine Anweisung gab, die es ihm untersagt hätte, so gab es auch keine, die es ihm nahelegte … was er tun wollte, war nicht vorgeschrieben – und aus diesem Grund zumindest bedenklich. Und in diesem Moment wurde ihm mit erschreckender Deutlichkeit klar, daß er aus seiner Situation nicht herausfinden würde, ohne seinen Status als loyales Mitglied der Freien Gesellschaft zu gefährden.

Ben hatte das interaktive System ausgeschaltet – zwei Minuten zu früh. Er war einfach nicht fähig, an diesem Tag noch weiterzuarbeiten. Die Unterbrechung kam ihm gelegen – er wollte mit seinen Gedanken ins reine kommen.

Bevor er das Haus verließ, ging er in den Waschraum. Er ließ sich einen Viertelliter Trinkwasser in den Papierbecher gießen und schluckte zwei Tabletten: eine zur Beruhigung und eine zur Ermunterung.

Am liebsten hätte er den Heimweg heute allein angetreten, doch als er am Ende des langen Korridors um die Ecke bog, trat ihm Olf entgegen, legte die Hand auf seinen Arm und dirigierte ihn zum Ausgang.

»Du bist ein Glückspilz«, sagte er. »Ein solcher Fall sollte mir auch einmal unterkommen! Ich bin sicher, daß du mindestens zwanzig Punkte Prämie bekommst−«.

Durch die Schleusentür kamen sie ins Freie, sie mußten ihre Atemfilter umbinden, wodurch Olfs Redefluß ein wenig gedämpft wurde. Wie schon in den letzten Tagen hatte sich gegen Abend der Smog gesenkt, und nun hatten sie Mühe, die paar Schritte durch die Schwaden hindurch bis zur Haltestelle der Schwebezüge zu finden.

Ben machte einen Versuch, dem hartnäckigen Gesprächspartner zu entgehen. »Wir sind heute ein wenig später dran – vielleicht finde ich eine freie Gondel.«

»Unsinn!« meinte Olf. »Da mußt du mindestens eine halbe Stunde warten. Komm, wir steigen ein – hier sind noch Plätze frei.«

Sie setzten sich, und Olf band sein Atemfilter ab. Die Luft war auch hier nicht gerade gut, aber man konnte sie ohne Schleimhautreizung atmen.

»Ich bereite mich schon auf meinen Urlaub vor«, berichtete Olf. Es war anzunehmen gewesen, daß er bald wieder auf seine eigenen Angelegenheiten zurückkommen würde. »Ich habe mich diesmal für einen Skikurs entschieden. Sie haben das alte Kohlerevier im Norden zum Winter-Erholungspark gemacht. Eisbahnen, künstlicher Schnee und so fort. Viel angenehmer als bei echter Kälte. Meinst du, daß ich Abfahrt machen soll? Oder könnte man mir das als Aggressivität anrechnen?«

Ben zuckte die Schultern. Er hatte Olf nicht zugehört. Wie sollte er sich verhalten? Natürlich war es möglich, sein Dilemma mit dem Psychiater zu besprechen; aber das wäre das letzte, was er tun würde. Er konnte Bengt Haman nicht ausstehen – was er sich natürlich nicht merken ließ.

»Wenn ich mich zusätzlich in eine Gruppe für meditativen Gesang einschreiben lasse, hätte ich sogar noch einige Bewertungspunkte gut – was meinst du? Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob ich Übernachtung in einem Ferienheim beantragen oder lieber zu Hause schlafen soll. Ich glaube, ich werde mich für das Ferienheim entscheiden. Das kostet mich freilich einige Formalitäten, aber ich habe ja Zeit.«

Zwar war es Vorschrift, alle persönlichen Schwierigkeiten mit dem psychologischen Personal durchzusprechen, aber in Bens Fall handelte es sich ja zunächst um ein berufliches Problem. Die zuständige Stelle war der Abteilungsleiter Oswaldo Efman, und ihm hätte sich Ben ohne weiteres anvertraut – wenn er sich darüber schlüssig gewesen wäre, ob das Problem für eine offizielle Anfrage ernst genug war. Vielleicht handelte es sich gar nicht um einen Irrtum oder einen unberücksichtigten Sonderfall – warum sollte es auch nötig sein, für Überprüfungen der eigenen Person besondere Ausnahmen vorzusehen. Ob es nun er war oder ein anderer – er konnte ja sowieso nichts tun als seiner Routine nachgehn, Punkt für Punkt durchnehmen, die Qualifikationen auflisten und bewerten, die Testergebnisse entschlüsseln und so fort.

»Ich glaube, daß mir der Wintersport recht gut liegt«, sagte Olf. Er sprach weiter, ohne darauf zu achten, daß ihm Ben kaum zuhörte. »Hast du schon gesehen, wie ich von der Drehscheibe auf das Schnellaufband springe? Ich habe nicht die geringsten Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. So ähnlich stelle ich mir das Skifahren vor. Man bekommt doch bei sportlichen Erfolgen auch Punkte – oder nicht?«

Ben schreckte aus seinen Grübeleien auf. »Gewiß, aber ich glaube, das gilt nur für Berufssportler – nicht für Amateure.«

»Schade!«, Olf bemühte sich, einen Blick nach draußen durch die Fensterscheiben zu werfen; sie waren – obwohl sie täglich gereinigt wurden – von einer dicken Schmutzschicht überzogen. »Hier muß ich raus! Machs gut!«

Er drängte sich durch die Menge, Ben hatte noch zwei Stationen zu fahren. Der Zug erhob sich ein wenig schwingend, die Beschleunigung drückte die Fahrgäste, die Sitzplätze gefunden hatten, in die Schaumgummikissen. Ben war unruhig, unauffällig griff er sich an den Hals, suchte mit der Fingerkuppe die Schlagader, um seinen Pulsschlag zu überprüfen. Fast hundert! Er holte eine weitere Beruhigungstablette aus seinem Schächtelchen und schluckte sie ohne Wasser hinunter. Hoffentlich wirkte sie! Mehr als drei Tabletten so kurz hintereinander – wie alle anderen hatte er das schon einmal mitgemacht: Man glaubte, nie mehr in den normalen Zustand zurückzukehren – so stark war das Gefühl der Übelkeit. Nun gut, diese eine ließ sich noch verantworten.