Выбрать главу

Über die Bildfläche flimmerten Symbole, wie hingeworfen bauten sich die Zeilen auf. Mit einem entspannenden Ausatmen konstatierte Ben, daß der Text völlig neutral war. Es handelte sich um die integralen Werte der ersten Qualifikation, und daran war nun beim besten Willen nichts Auffälliges zu bemerken. Vor allem aber erschien oben lediglich die Code-Zahl des Falls, nicht aber seine eigene Kennziffer.

Oswaldo ließ sich auch das Ergebnis des zweiten Qualifikationskomplexes einspielen und wandte sich dann uninteressiert ab. »Wirklich ein Routinefall. Eigentlich zu einfach für dich. Ich will dafür sorgen, daß du dich in Zukunft mit interessanteren Problemen zu beschäftigen hast!«

Hatte Oswaldo bei diesen Worten gezwinkert? War eine Nuance von Ironie in seinen Worten zu spüren? Nein – das bildete sich Ben nur ein. Es war das schlechte Gewissen, das mit ihm spielte – die Schuld, in die er sich allmählich zu verstricken begann: durch seinen Mangel an Vertrauen, durch seine Unentschlossenheit.

Fast hätte er nun Oswaldo alles gestanden, aber in diesem Moment stand dieser auf, und außerdem war Gunda hinzugetreten.

»Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Hast du die Mappe hier?« wandte er sich an die Frau.

Sie reichte ihm einen Umschlag, und Oswaldo zog eine Magnetkarte heraus. »Im Namen der zentralen Verwaltung überreiche ich dir einen Punktebonus – 64 Punkte: Verwende sie gut!«

Hatte er wieder gezwinkert?

Ben stammelte einige Dankesworte, doch Oswaldo schnitt sie ab. »Kein Grund, mir zu danken! Prämien werden nach einem Punktesystem berechnet. Danke dem Computer, wenn du willst!« Er lächelte selbst über seinen Scherz, und auch Gunda lachte, aber es war ein spöttisches Lachen. Beide drückten Ben die Hand, nickten ihm zu und gingen in den Korridor hinaus.

Ben setzte sich in seinen Stuhl und starrte auf die Magnetkarte. Vierundsechzig Punkte – zu jedem anderen Zeitpunkt Wäre das ein Fest für ihn gewesen. Und nun? Er steckte das elastische Blatt mit der magnetischen Kunststoffbeschichtung in die Brusttasche und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Systematisch, rasch und zielbewußt begann er zu arbeiten …

Nach zwei Stunden stand es fest: In seinem Leben fehlten drei Jahre. Der Nachweis dafür war nicht einfach gewesen – es bedurfte der ganzen Raffinesse eines bewährten Rechercheurs, um versteckte Anzeichen auf etwas Ungewöhnliches herauszufinden. Denn selbstverständlich gab es in den Akten keine Lücken. Medizinische Daten, Testergebnisse, Wiederholungskurse, Prüfungen, Verbrauch an elektrischem Strom, das Freizeitverhalten, die Auswahlindices für Sport-, Spiel- und Unterhaltungssendungen … überall waren die Angaben vollständig und homogen. Gerade hier aber lag der Schlüssel zur Überprüfung: Es waren genau drei Jahre, in denen der Homogenitätsgrad geradezu auffallend hoch war. Es gab kein herausstechendes Ereignis, nichts, das irgendwelche Folgen hinterlassen hätte, keinerlei Anhaltspunkte für Erinnerungen. Aus den medizinischen Protokollen dagegen konnte er die Daten jener Bestrahlungen entnehmen, die ihm von Zeit zu Zeit zur Behandlung seiner kranken Schulter verordnet worden waren. Sie fingen völlig unvermittelt an: genau nach jenen fraglichen drei Jahren. Und sie hörten genauso unvermittelt auf.

Selbstverständlich versuchte Ben, sich an diese Zeit zu erinnern. Aber sie lag zehn Jahre zurück, und was bedeuten da drei Jahre ohne herausragende Geschehnisse? An seinem inneren Auge zog nichts anderes vorüber als der Alltag in den Zellen, Unterrichtssälen und Arbeitsräumen, nichtssagende Gespräche mit Nachbarn und Kollegen, Spiele in der Psychogruppe, ein wenig Spannung bei den Sportveranstaltungen und Filmen, ein wenig Erregung mit Blondy, seiner Puppe, ein graues Allerlei, eine Reihe blasser Bilder, Fragmente der Vergangenheit, gleichgültig, irrelevant … Und so sehr er sich auch bemühte, das geringste Anzeichen für etwas Außergewöhnliches in seinem Gedächtnis zu finden – er fand nichts.

Interne Mitteilung zur Frage der Emotionen

Noch immer erweist sich die emotionale Unruhe des Menschen als unangenehmer Störfaktor im sozialen Gefüge. Im Sinne der Kybernetik sind Emotionen assoziativ ausgelöste bewußtwerdende Signale, die auf die Relevanz einer Situation hinweisen. Man unterscheidet positive und negative Emotionen, je nachdem, ob das Individuum dazu gebracht werden soll, eine bestimmte Situation beizubehalten oder sich ihr zu entziehen. In einer archaischen Umgebung haben die Emotionen eine biologische Funktion: Sie halten das Individuum an, sich sinnvoll zu verhalten, also etwa den eigenen Organismus zu schützen und zu versorgen bzw. Schäden und Gefahren abzuwehren oder zu meiden.

In unserem modernen Sozialstaat können Schutz und Versorgung des Bürgers nicht dem unkontrollierten Auftreten emotionaler Regungen überlassen bleiben. Diese Aufgaben werden vom Staat übernommen und unterliegen nicht mehr dem Eingreifen des Individuums. Somit sind Emotionen als ein Relikt archaischer biologischer Zustände zu werten, das in unserer sozialen Situation keinen Sinn mehr hat. Besonders unangenehm ist die Tatsache, daß Emotionen oft ohne erkennbaren Grund auftreten und somit zu Verhaltensweisen führen, die unvorhersehbar und deshalb nicht kalkulierbar sind und somit zu störenden Auswirkungen führen müssen. Das ist der Grund dafür, daß einige Teams der Abteilung für anthropologische Forschung damit beschäftigt sind, die Emotionen auszuschalten bzw. so umzufunktionieren, daß sie dem Bürger nützlich sein können. So könnten beispielsweise die positiven Emotionen der Begeisterung und der Freude als Lohn für besonders gute Anpassung, für kritiklose Befolgung der Richtlinien usw. eingesetzt werden.

Die dargelegte Situation läßt es als. wichtig erscheinen, die Untersuchung der Emotionen, ihre Auslösung, Kontrolle und Unterdrückung, als Schwerpunktprogramm durchzuführen. Nach den bisherigen Erfahrungen bieten sich hierfür insbesondere drei Wege an:

a) Die Beeinflussung der Emotionen durch Assoziation – eine Methode, die bereits in der archaischen Zeit bekannt war, beispielsweise zur Unterstützung kapitalistischer Wirtschaftssysteme. Man bietet dem Publikum Zeichen, Gestalten oder Begriffe an, die mit den betreffenden Emotionen assoziiert sind. Beispiele sind:

spielende Menschen – Lebensfreude hübsche Mädchen – erotische Anziehung

Kampf- und Folterszenen – Aggression.

Dieses Verfahren erweist sich als wenig wirkungsvoll, da der Adressat gegen Einwirkungen dieser Art abstumpft und sie dann unbeachtet läßt. Da sie andererseits die beste Methode zur simultanen Beeinflussung von größeren Gruppen sind, werden sie auch in unserem Soziogefüge – zum Wohl des einzelnen – noch angewandt. Das geschieht insbesondere in den Stunden des Psychotrainings, durch gemeinsames Zitieren von Versen und Sinnsprüchen.

b) Die medikamentöse Beeinflussung von Emotionen. Aus der archaischen Zeit sind Rauschgifte und Drogen bekannt, durch die sich die Menschen in von ihnen angestrebte angenehme emotionale Zustände versetzten. Die meisten dieser Mittel hatten eine sumative Wirkung, d. h., daß sie mehrere emotionale Zentren anregten und somit zu unkoordinierten Gemütszuständen führten. Im letzten Jahrzehnt vor der Stunde Null setzten Mediziner und Psychiater eine Reihe von Präparaten ein, die bereits eine weitaus gezieltere Wirkung erlaubten. In den medizinischen Zentren der Forschungsbehörde wurden auf diesem Gebiet in letzter Zeit nennenswerte Fortschritte erzielt. Heute stehen uns Präparate zur Verfügung, mit denen es gelingt, einzelne emotionale Regungen willkürlich hervorzurufen und zu unterdrücken. Der Intensitätsgrad sowie die Dauer zeigen zwar individuelle Varianten, doch sind sie in gewissen Grenzen festzulegen. Mit Hilfe dieser Mittel, die dem Trinkwasser oder allgemein gebrauchten Lebensmitteln zugefügt werden, ist es gelungen, bestimmte emotionale Regungen zu dämpfen, die den Bürgern bisher Beschwerden verursacht haben. Das gilt insbesondere für erotische und sexuelle Gefühle, die in archaischen Zeiten oft zu unüberlegten und widersinnigen Handlungen geführt haben. In einer Zeit, in der die volle Liebe des Bürgers dem Staat gehört und er in dieser Zuneigung seine volle Befriedigung findet, sind Gefühle dieser Art überflüssig und störend.