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Ich kniete nieder, zog ihn langsam aus und sah, daß sein Geschlecht ruhte, nicht reagierte. Ihn schien das nicht zu stören, und ich streichelte ihn zwischen den Beinen, kitzelte seine Füße. Sein Geschlecht begann langsam zu reagieren, und ich berührte es, dann nahm ich es in den Mund, und ohne Hast – damit er es nicht als ›los, mach dich bereit zu handeln‹ mißverstand – küßte ich ihn zärtlich wie jemand, der nichts erwartet, und gerade deshalb gelang mir alles. Ich fühlte, daß er erregt wurde, und er begann meine Brustwarzen zu berühren, umkreiste sie wie in jener Nacht vollkommener Dunkelheit, weckte in mir den Wunsch, ihn wieder zwischen meinen Beinen oder in meinem Mund zu haben oder wie auch immer er mich besitzen wollte.

Er zog meinen Mantel nicht aus; beugte mich nach vorn auf den Tisch, bis mein Oberkörper darauf lag und meine Beine fest auf dem Boden standen. Er drang langsam in mich ein, diesmal ohne Hast, ohne Angst, mich zu verlieren – denn im Grund hatte er auch schon begriffen, daß dies ein Traum war und für immer ein Traum bleiben, niemals Wirklichkeit werden würde.

Als ich ihn in mir spürte und er meine Brüste, mein Geschlecht kundig liebkoste wie eine Frau, begriff ich, daß wir füreinander geschaffen waren, beide mit unserer weiblichen und männlichen Seite, daß die beiden Teile, die einander verloren hatten, sich wiedergefunden hatten.

Als er in mich eindrang und mich liebkoste, spürte ich, daß er nicht nur mit mir Liebe machte, sondern mit dem ganzen Universum. Wir hatten Zeit, Zärtlichkeit, und wir kannten einander. Ja, es war wunderbar gewesen, mit meinen Koffern zu erscheinen; auch dieser Augenblick, als er mich auf den Boden zog, ich erst gehen wollte, dann aber sein heftiges Eindringen genoß; aber es war auch gut, zu wissen, daß die Nacht nie aufhören würde und daß der Orgasmus hier am Küchentisch nicht das Ziel, sondern der Beginn unserer Begegnung war.

Sein Geschlecht in mir bewegte sich nicht, während seine Finger sich schnell bewegten, und ich hatte nacheinander, ein, zwei, drei Orgasmen. Ich wollte ihn wegstoßen, der Schmerz der Lust war so groß, daß er mich fast in die Knie zwang, aber ich hielt stand, nahm hin, daß es so war, daß ich noch einen Orgasmus würde ertragen können und noch einen und noch einen…

…und plötzlich explodierte eine Art Licht in mir. Ich war nicht mehr ich selbst, sondern ein Wesen, das allem, was ich kannte, unendlich überlegen war. Als seine Hand mich zum vierten Orgasmus führte, trat ich in einen Raum ein, in dem alles Frieden war, und bei meinem fünften Orgasmus trat ich aus mir heraus und gab mich ganz hin.

Ich war die Erde, die Berge, die Flüsse, die in die Seen flossen, die Seen, die zum Meer wurden. Er bewegte sich immer schneller, und der Schmerz vermischte sich mit Lust, und ich hätte sagen können »ich halte es nicht mehr aus«, aber das wäre nicht richtig gewesen, denn jetzt waren er und ich nur noch ein einziges Wesen.

Ich ließ ihn gewähren. Seine Fingernägel krallten sich in mein Gesäß, und als ich dort bäuchlings auf dem Küchentisch lag, dachte ich, es gibt keinen besseren Ort, um sich zu lieben. Die Tischbeine knirschten, sein Atem ging immer schneller, seine Fingernägel taten mir weh. Geschlecht schlug gegen Geschlecht, Fleisch gegen Fleisch, und zusammen trieben wir auf einen neuen Orgasmus zu, und keiner spielte dem anderen etwas vor.

»Komm«, sagte er.

Und ich wußte, daß der Augenblick da war, spürte, wie mein ganzer Körper erschlaffte, wie ich aufhörte, ich selbst zu sein ­ich hörte, sah und schmeckte nichts mehr, fühlte nur noch.

»Komm!«

Und ich kam mit ihm. Es waren keine elf Minuten, sondern eine Ewigkeit, in der wir beide aus unseren Körpern heraustraten und freudig und einträchtig durch die Gärten des Paradieses wandelten. Ich war Frau und Mann, und er war Mann und Frau. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, aber alles schien still und ins Gebet versunken zu sein, als hätten das Universum und das Leben aufgehört zu existieren und wären zu etwas Namenlosem, Zeitlosem, Heiligem geworden.

Doch dann kehrte ich ins Jetzt zurück, und ich hörte seine Schreie, und ich schrie mit ihm. Die Tischbeine scharrten, und keinen von uns kümmerte es, was der Rest der Welt denken mochte.

Unvermittelt zog er sich aus mir zurück. Ich lachte, und er drehte mich zu sich herum und lachte auch. Wir drückten uns aneinander, als wäre es für uns beide das erste Mal gewesen.

»Segne mich«, bat er.

Ich segnete ihn, ohne zu wissen, was ich da tat. Ich bat ihn, es mir nachzutun, und er tat es mit den Worten: »Gesegnet sei diese Frau, die ich so liebe.« Und dann umarmten wir uns wieder und blieben so stehen, fassungslos darüber, wie weit elf Minuten einen Mann und eine Frau bringen können.

Wir waren beide nicht müde. Wir gingen ins Wohnzimmer, er legte eine Platte auf, und er machte genau das, was ich mir gewünscht hatte: Er zündete den Kamin an und schenkte mir Wein ein. Dann schlug er ein Buch auf und las:

»Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine einsammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.«

Das klang wie ein Abschied. Aber es war der schönste Abschied, der mir in meinem Leben je beschert worden war. Ich umarmte ihn, er umarmte mich, wir legten uns auf den Teppich vor dem Kamin. Alles war so warm und vertraut, als wäre ich schon immer eine erfahrene, glückliche, erfüllte Frau gewesen.

»Wie konntest du dich in eine Prostituierte verlieben?«

»Anfangs verstand ich es nicht. Doch jetzt, nachdem ich darüber nachgedacht habe, glaube ich, daß ich mich, da ich wußte, daß dein Körper mir nie allein gehören würde, ganz darauf konzentrieren konnte, deine Seele zu erobern.«

»Und die Eifersucht?«

»Man kann zum Frühling nicht sagen, ›hoffentlich kommst du bald und dauerst lange‹. Man kann nur sagen: ›Komm und segne mich mit deiner Hoffnung, und bleib so lange, wie du kannst.‹«

Worte, die in den Wind geschrieben waren. Aber ich mußte sie hören, und er mußte sie sagen. Ich schlief ein und träumte… von einem Duft, der alles erfüllte.

Als Maria die Augen aufschlug, drangen die ersten Sonnenstrahlen durch die Jalousien. ›Wir haben uns zweimal geliebt‹, dachte sie und blickte auf den neben ihr schlafenden Mann. ›Und dennoch ist es, als wären wir immer zusammengewesen und als kennte er mein ganzes Leben, meine Seele, meinen Körper, mein Licht, meinen Schmerz.‹

Sie stand auf, ging in die Küche, kochte Kaffee. Da sah sie die beiden Koffer auf dem Flur, und ihr fiel alles wieder ein: das Gelübde, das Gebet in der Kirche, ihr Leben, der Traum, der unbedingt Wirklichkeit werden und seinen Zauber verlieren wollte, der vollkommene Mann, die Liebe, bei der Körper und Seele eins und Lust und Orgasmus zwei verschiedene Dinge sind.

Sie hätte bleiben können; sie hatte nichts zu verlieren, nur eine Illusion mehr. Dann dachte sie an den Bibelvers: Weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit.

Doch danach kam noch ein Vers: Herzen hat seine Zeit, nicht mehr herzen hat seine Zeit. Sie trank den Kaffee, schloß die Küchentür, bestellte telefonisch ein Taxi. Sie nahm all ihre Willenskraft zusammen, die sie so weit gebracht hatte, die die Quelle ihres ›Lichts‹ war, die ihr gesagt hatte, wann sie weggehen mußte, damit die Erinnerung an diese Nacht bewahrt bliebe. Sie kleidete sich an. nahm ihre Koffer und trat vor die Haustür. Dabei wünschte sie sich sehnlichst, er möge aufwachen und sie bitten zu bleiben.

Aber er wachte nicht auf. Während sie draußen auf das Taxi wartete, kam eine Zigeunerin mit einem Armvoll Blumen vorbei.

»Möchten Sie eine Blume?«

Maria kaufte ihr eine ab; es war das Zeichen, daß der Herbst gekommen, der Sommer vorbei war. In Genf würden die Tische bald von den Bürgersteigen und die vielen Spaziergänger aus den sonnenbeschienenen Parks verschwinden. Nun denn. Sie ging schließlich freiwillig fort und durfte sich nicht beklagen.

Im Flughafen trank sie noch einen Kaffee, sie mußte die vier Stunden bis zum Abflug herumbringen. Sie hoffte inständig, Ralf würde jeden Augenblick hereinkommen, denn kurz vor dem Einschlafen hatte sie ihm noch gesagt, wann ihre Maschine nach Paris ging. Aber so war es nur in den Filmen: Im letzten Augenblick, wenn die Frau schon das Flugzeug besteigt, kommt der Mann verzweifelt angerannt, packt sie, küßt sie und holt sie unter den nachsichtigen Blicken des Flugpersonals wieder in seine Welt zurück. Dann wird das Wort ›Ende‹ eingeblendet, und alle Zuschauer wissen, daß die beiden von nun an glücklich leben bis in alle Ewigkeit.

›Die Filme erzählen nie, was nachher geschieht‹, tröstete sie sich. ›Hochzeit, Küche, Kinder, immer unregelmäßigerer Sex; die Entdeckung des ersten Briefes einer Geliebten, Zeter und Mordio schreien, seine Versprechungen, es würde nicht wieder vorkommen; ein zweiter Brief von einer anderen Geliebten, wieder Zeter und Mordio und die Drohung, sich von ihm zu trennen; diesmal reagiert der Mann nicht so selbstsicher, sagt seiner Frau nur, daß er sie liebt. Der dritte Brief der dritten Geliebten und dann der Entschluß, sich stillschweigend damit abzufinden und darüber hinwegzusehen, aus Angst, er könnte auf die Idee kommen, zu sagen, er liebe sie nicht mehr, es stehe ihr frei, zu gehen.‹

Ja, die Zeit danach wurde immer ausgespart. Die meisten Filme hörten immer auf, bevor Wirklichkeit und Alltag begannen. Doch darüber wollte sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen.