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Er trug einen Koffer und einen in Seidenpapier gewickelten Blumenstrauß und blickte sich nach allen Seiten um. Dann schleppte er den Koffer hinter den Zeitungskiosk, der sich an der Ecke befindet, setzte sein Gepäck ab und musterte die Umgebung.

Der Schaffner wartete noch immer auf mich. "Nun reißt mir aber die Geduld", sagte er dann. "Wer nicht will, der hat schon!"

Er zog an der Klingel schnur, und die Straßenbahn 177 fuhr ohne meine werte Person nach Steglitz.

Der Herr im steifen Hut hatte auf der Terrasse des Cafes Platz genommen und sprach mit einem Kellner. Der Junge guckte vorsichtig hinter dem Kiosk hervor und ließ den Mann nicht aus den Augen.

Ich stand noch immer am gleichen Fleck und sah wie ein Ölgötze aus. (Hat übrigens jemand eine Ahnung, wie Ölgötzen aussehen? Ich nicht.) Das war ja allerhand! Vor zwei Jahren waren Herr Grundeis und Emil Tischbein an genau derselben Ecke aus der Straßenbahn gestiegen. Und jetzt passierte die ganze Sache noch einmal? Da mußte doch wohl ein Irrtum vorliegen.

Ich rieb mir die Augen und blickte wieder zum Cafe Josty hin. Aber der Mann im steifen Hut saß noch immer da! Und der Junge hinterm Kiosk setzte sich müde auf seinen Koffer und zog ein betrübtes Gesicht.

Ich dachte: Das beste wird sein, wenn ich zu dem Jungen hingehe und frage: was das Ganze bedeuten soll. Und wenn er mir erzählt, man hätte ihm hundertvierzig Mark gestohlen, klettre ich auf den nächsten Baum.

Ich ging also zu dem Jungen, der auf dem Koffer saß, und sagte: "Guten Tag. Wo fehlt’s denn?"

Aber er schien nicht nur auf dem Koffer, sondern auch auf den Ohren zu sitzen. Er antwortete nicht und blickte unausgesetzt nach dem Cafe hinüber.

"Hat man dir vielleicht zufällig 140 Mark gestohlen ?" fragte ich.

Da blickte er auf, nickte und sagte: "Jawohl. Der Halunke dort drüben auf der Terrasse, der war’s."

Ich wollte gerade mit dem Kopf schütteln und dann, weil ich’s mir vorgenommen hatte, auf den nächsten Baum klettern, als es laut hupte. Wir fuhren erschrocken herum.

Doch hinter uns stand gar kein Auto, sondern ein Junge, der uns auslachte.

"Was willst du denn hier?" fragte ich.

Er hupte noch einmal und meinte: "Mein Name ist Gustav."

Mir blieb die Spucke weg. Das war ja ein tolles Ding!

Träumte ich auch ganz bestimmt nicht ?

Da kam ein fremder Mann quer über die Trautenaustraße gerannt, fuchtelte mit den Armen, blieb dicht vor mir stehen und brüllte: "Machen Sie sich gefälligst schwach!

Mischen Sie sich nicht in fremde Angelegenheiten! Sie schmeißen uns ja die ganze Außenaufnahme!"

"Was denn für ‘ne Außenaufnahme?" fragte ich neugierig.

"Sie sind ja reichlich begriffsstutzig", meinte der wütende Mann.

"Das ist bei mir ein Geburtsfehler", entgegnete ich.

Die beiden Jungen lachten. Und Gustav mit der Hupe sagte zu mir: "Mann, wir drehen doch hier einen Film!"

"Natürlich", erwiderte der Junge mit dem Koffer. "Den Emil Film. Und ich bin der Emil-Darsteller."

"Sehen Sie zu, daß Sie weiterkommen", bat mich der Filmonkel. "Zelluloid ist teuer."

"Entschuldigen Sie die kleine Störung", antwortete ich.

Dann ging ich meiner Wege. Der Mann rannte zu einem großen Auto, auf dem eine Filmkamera montiert war und auf dem der Kameramann stand und nun wieder zu kurbeln begann.

Ich spazierte nachdenklich zum Nikolsburger Platz und setzte mich auf eine der Bänke. Dort blieb ich lange sitzen und blickte leicht verblüfft vor mich hin. Ich hatte zwar gewußt, daß die Geschichte von Emil und den Detektiven verfilmt werden sollte. Aber ich hatte es wieder vergessen.

Na, und wenn man eine Geschichte wie diese nach zwei Jahren zum zweitenmal erlebt, mit Koffern,

Blumensträußen und Hupen und steifen Hüten, - ein Wunder ist es nicht, wenn einem die Augen vor Staunen aus dem Kopf treten...

Plötzlich setzte sich ein sehr großer, hagerer Herr zu mir.

Er war älter als ich, trug einen Kneifer und blickte mich lächelnd an. Nachdem er ein Weilchen gelächelt hatte, sagte er: "Eine verrückte Sache, hm? Man denkt, man erlebt etwas Wirkliches.

Und dabei ist es nur etwas Nachgemachtes." Dann sagte er, glaube ich, noch, die Kunst sei eine Fiktion der Realität.

Aber er meinte es nicht böse. Und so redeten wir eine Zeitlang gescheit daher. Als uns diesbezüglich nichts mehr einfiel, meinte er: "Nachher wird hier auf unsrer friedlichen Bank der Kriegsrat der Detektive abgehalten werden."

"Woher wissen Sie denn das? Sind Sie auch vom Film?"

Er lachte. "Nein. Die Sache liegt anders. Ich warte hier auf meinen Sohn. Der will die Filmaufnahmen begutachten.

Er war nämlich damals einer von den richtigen Detektiven."

Ich wurde munter und betrachtete meinen Nachbarn genauer.

»Gestatten Sie, daß ich zu raten versuche, wer Sie sind?"

"Ich gestatte", meinte er vergnügt.

"Sie sind Justizrat Haberland, der Vater vom Professor!"

"Erraten!" rief er. "Aber woher wissen Sie denn das?

Haben Sie das Buch ,Emil und die Detektive’ gelesen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe es geschrieben."

Das freute den Justizrat außerordentlich. Und binnen weniger Minuten unterhielten wir uns, als kennten wir uns seit der Konfirmation. Und ehe wir’s uns versahen, stand ein Gymnasiast vor der Bank und zog seine Schülermütze.

"Da bist du ja, mein Junge", sagte Justizrat Haberland.

Ich erkannte den Professor auf den ersten Blick wieder.

Er war seit damals gewachsen. Nicht sehr, aber immerhin.

Ich hielt ihm die Hand entgegen.

"Das ist doch Herr Kästner", meinte er.

"Das ist er", rief ich. "Und wie gefallen dir die Filmaufnahmen, die sie von eurer Geschichte machen ?"

Der Professor rückte seine Brille zurecht. "Sie geben sich alle Mühe. Kann man nicht leugnen. Aber ein Film wie dieser müßte selbstredend von Jungens geschrieben und gedreht werden. Erwachsene haben da nichts zu suchen."

Sein Vater, der Justizrat, lachte. "Er heißt noch immer der Professor. Aber eigentlich müßte er längst der □ Geheimrat’ genannt werden."

Na, und dann setzte sich der Professor zwischen uns und erzählte mir von seinen Freunden. Von Gustav mit der Hupe, der inzwischen zu seiner Hupe ein Motorrad bekommen habe.

Und vom kleinen Dienstag. Dessen Eltern seien nach Dahlem hinausgezogen. Er komme aber noch oft in die Stadt, weil es ihm ohne seine alten Kameraden nicht gefalle. Und von Bleuer und Mittenzwey und Mittendrei und von Traugott und Zerlett. Ich erfuhr eine Menge Neuigkeiten. Und der böse Petzold sei immer noch derselbe tückische, ekelhafte Lümmel wie vor zwei Jahren. Dauernd hätten sie mit dem Kerl ihren Ärger.

"Was sagen Sie übrigens dazu?" meinte der Professor dann.

"Ich bin Hausbesitzer geworden." Er setzte sich gerade und sah furchtbar stolz aus.

"Ich bin fast dreimal so alt wie du", sagte ich, "und ich bin noch immer kein Hausbesitzer. Wie hast du das bloß gemacht?"

"Er hat geerbt", erklärte der Justizrat. "Von einer verstorbenen Großtante."

"Das Haus steht an der Ostsee", erzählte der Professor glücklich. "Und im nächsten Sommer lade ich Emil und die Detektive zu mir ein." Er machte eine Pause. "Das heißt, wenn’s meine Eltern erlauben."

Der Justizrat blickte seinen Sohn von der Seite an. Und es sah sehr ulkig aus, wie sie einander gegenseitig durch ihre Brillengläser musterten. "Wie ich deine verehrten Eltern kenne", meinte dann der Justizrat, "werden sie nicht zu widersprechen wagen. Das Haus gehört dir. Ich bin nur der Vormund."

"Abgemacht!" sagte der Professor. "Und wenn ich später heiraten und Kinder kriegen werde, benehme ich mich zu ihnen genau so wie du zu mir."

"Vorausgesetzt, daß du so vorbildliche Kinder kriegst wie dein Vater", erklärte der Justizrat Haberland.

Der Junge lehnte sich dicht an den Justizrat und meinte: "Vielen Dank."