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Die Großmutter schüttelte energisch den Kopf, und ihr Hut rutschte dadurch noch schiefer. "Pünktlicher als pünktlich, das gibt’s nicht. Eine halbe Stunde zu früh ist genau so unpünktlich wie eine halbe Stunde zu spät."

Pony wollte eigentlich widersprechen. Aber der Professor hatte sie entdeckt, kam auf sie zu, zog die Mütze und sagte: "Guten Tag, meine Damen!" Er nahm Pony die Koffer ab und bahnte ihnen einen Weg.

"Guten Tag, Herr Großgrundbesitzer", antwortete die Großmutter.

Er lachte und brachte die Feriengäste zu seinen Eltern.

Justizrat Haberland begrüßte die beiden und stellte ihnen seine Gattin vor. Frau Haberland, die Mutter des Professors, war hübsch und zierlich und nicht größer als ihr Sohn. Neben ihrem langen, hageren Mann sah sie wie ein kleines Mädchen aus.

Pony machte etliche Knickse und entledigte sich der Grüße und Empfehlungen, die sie den Eltern des Professors von ihren Eltern zu überbringen hatte. Und die Großmutter erzählte, daß sie noch nie am Meer gewesen sei und sich riesig freue.

Dann schwiegen sie alle und warteten auf Emil. Lange brauchten sie nicht zu warten. Der Zug näherte sich der Bahnhofshalle und lief mit Getöse ein. Er hielt. Die Fahrgäste stiegen aus.

"Sicher ist der Junge wieder am Bahnhof Zoo ausgestiegen", jammerte Pony. Doch da stieg der ,Junge’ auch schon aus seinem Abteil, zog den Koffer hinterdrein, schaute sich suchend um, entdeckte die andern, lächelte und kam zu ihnen gelaufen.

Nachdem er den Koffer niedergesetzt hatte, gab er seiner Großmutter einen Kuß, reichte den Eltern des Professors die Hand und sagte zu Pony: "Meine Herrn, bist du aber gewachsen!"

Zum Schluß begrüßte er den Professor. Die Jungen benahmen sich sehr förmlich. Aber so sind Jungen stets, wenn sie einander lange nicht gesehen haben. (Nach zehn Minuten legt sich das übrigens.) "Gustav ist auf seinem Motorrad schon heute früh losgebraust", erklärte der Professor.

"Aha", sagte Emil.

"Er läßt dich vielmals grüßen."

"Vielen Dank."

"Und der kleine Dienstag ist schon gestern abend abgereist"

"Nicht nach Nauheim?"

"Nein. Der Arzt hat seiner Mutter die See erlaubt."

"Großartig", erklärte Emil.

"Finde ich auch", meinte der Professor.

Anschließend entstand eine Verlegenheitspause. Der Justizrat rettete die Lage. Er stieß dreimal mit dem Spazierstock auf den Boden. "Alles herhören! Wir fahren jetzt zum Stettiner Bahnhof.

Ich spendiere zwei Taxen. In dem einen Auto fahren die Erwachsenen. In dem andern die Kinder."

"Und ich?" fragte Pony Hütchen.

Da mußten alle lachen. Außer Pony natürlich. Die war leicht gekränkt und meinte: "Ein Kind ist man nicht mehr. Ein Erwachsener ist man noch nicht. Was bin ich überhaupt?"

"Ein albernes Frauenzimmer", sagte die Großmutter.

"Zur Strafe fährst du mit den Erwachsenen. Damit dir klar wird, daß du noch ein Kind bist."

Das hatte Pony Hütchen nun davon.

Im Wartesaal des Stettiner Bahnhofs aßen sie zu Mittag.

Später setzten sie sich in den Zug, der sie an die Ostsee fahren würde. Und weil sie beizeiten gekommen waren, hatten sie trotz des Ferienandranges ein Abteil für sich.

Der Zug war mit Kindern, Eimern, Fähnchen, Bällen, Schaufeln, Apfelsinenschalen, zusammengeklappten Liegestühlen, Kirschentüten, Luftballons, Gelächter und Geheul bis an den Rand beladen und dampfte munter durch die Kiefernwälder der Mark Brandenburg.

Es war ein kreuzfideler Zug. Der Lärm drang aus den offenen Abteilfenstern hinaus in die stille Landschaft.

Die Kiefern wiegten sich leicht im Sommerwind und flüsterten einander zu: "Die Großen Ferien haben begonnen." »Drum", brummte eine uralte Buche.

Viertes Kapitel

Villa Seeseite

Korlsbüttel ist keiner von den großen Badeorten. Noch vor zehn Jahren hatte Korlsbüttel nicht einmal einen Bahnhof. Damals mußte man auf der Strecke Lübeck­Stralsund in einem kleinen Nest aus dem Zug steigen, das, wenn ich nicht irre, Stubbenhagen hieß. Dort stand, wenn man besonderes Glück hatte, irgendein altmodisches Fuhrwerk, das mit einem schweren mecklenburgischen Gaul bespannt war, und zockelte die Badegäste nach Korlsbüttel hinüber. Auf zerfahrenen, sandigen Waldwegen. Links und rechts dehnte sich die Heide. Die Wacholderbüsche standen wie grüne Zwerge zwischen den hundertjährigen Eichen und Buchen. Und manchmal fegte ein Rudel Rehe durch die Stille. Und von den Kohlenmeilern, die auf den Waldwiesen lagen, stieg blauer, beizender Rauch in die Sommerluft empor. Es war wie in Grimms Märchen.

Heute ist das anders. Heute fährt man, ohne umzusteigen, bis Korlsbüttel, stiefelt vornehm aus dem Bahnhof, gibt seinen Koffer einem Gepäckträger und ist in drei Minuten im Hotel und in zehn Minuten am Meer. Ich glaube, daß es früher schöner war.

Damals war es mit Schwierigkeiten verbunden, ans Meer zu kommen. Und man soll Schwierigkeiten, die einem Ziel im Wege stehen, nicht unterschätzen. Sie haben ihr Gutes.

Halb Korlsbüttel war am Bahnhof, um den Ferienzug zu empfangen. Der Bahnhofsplatz stand voller Leiterwagen, Kutschen, Dreiräder, Tafelwagen und Karren. Man erwartete viele Gäste und noch mehr Gepäck.

Fräulein Klotilde Seelenbinder, Haberlands altes Dienstmädchen, lehnte an der Sperre und winkte, als sie den Justizrat erblickte, mit beiden Händen. Er überragte die aus dem Zug strömenden Menschen um Haupteslänge. "Hier bin ich!" rief sie.

"Herr Justizrat! Herr Justizrat!"

"Schreien Sie nicht so, Klotilde", sagte er und schüttelte ihr die Hand. "Lange nicht gesehen, was?"

Sie lachte. "Es waren doch nur zwei Tage."

"Ist alles in Ordnung?"

"Das will ich meinen. Guten Tag, gnädige Frau. Wie geht’s?

Ein Glück, daß ich vorausgefahren bin. So ein Haus macht Arbeit. Guten Tag, Theo! Du bist blaß, mein Liebling. Fehlt dir was? Und das ist sicher dein Freund Emil. Stimmt’s?

Guten Tag, Emil. Ich habe schon viel von dir gehört. Die Betten sind überzogen. Heute abend gibt’s Beefsteak mit Mischgemüse. Das Fleisch ist billiger als in Berlin. Ach, und das ist Pony Hütchen, Emils Kusine. Das sieht man sofort. Diese Ähnlichkeit!

Hast du dein Fahrrad mitgebracht? Nein?"

Emils Großmutter hielt sich die Ohren zu. "Machen Sie ‘ne Pause!" bat sie. "Machen Sie ‘ne Pause, Fräulein. Sie reden einem ja Plissee in die Ohrläppchen. Ich bin Emils Großmutter.

Guten Tag, meine Liebe."

"Nein, diese Ähnlichkeit!" meinte Haberlands Dienstmädchen. Dann verneigte sie sich und sagte: "Klotilde Seelenbinder."

"Ist das ein neuer Beruf?" fragte die Großmutter.

"Nein. Ich heiße so."

"Sie Ärmste!" rief die Großmutter. "Gehen Sie doch mal zum Arzt. Vielleicht verschreibt Ihnen der einen anderen Namen."

"Ist das Ihr Ernst?" fragte Klotilde.

"Nein", erwiderte die Großmutter. "Nein, Sie kluges Geschöpf. Ich bin fast nie ernst. Es lohnt sich zu selten."

Dann wurden die Koffer und Taschen auf einen Tafelwagen geladen. Den Wagen hatte Klotilde vom Fuhrhalter Kroger geliehen, und ein Knecht zog ihn. Emil und der Professor schoben.

So ging’s die Blücherstraße entlang. Die Erwachsenen und Pony spazierten hinterdrein.

Plötzlich hupte es laut. Aus einem Seitenweg bog, in voller Fahrt, ein Motorrad. Das Motorrad bremste. Krögers Knecht hielt den Wagen an und fluchte, daß die Fensterscheiben der Umgegend zitterten. Glücklicherweise fluchte er plattdeutsch.

"Nu treten Sie sich bloß nicht auf den Schlips!" rief der Motorradfahrer. "Is ja alles halb so wichtig."

Emil und der Professor guckten erstaunt hinter den Koffern vor und brüllten begeistert: "Gustav!" Sie rannten um Krögers Wagen herum und begrüßten den alten Freund.

Der legte vor Schreck sein Motorrad auf die Straße, schob die Schutzbrille hoch und sagte: "Das hätte mir gerade noch gefehlt, Herrschaften! Daß ich meine zwei besten Freunde zerquetscht hätte! Eigentlich wollten wir euch nämlich von der Bahn abholen."